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Friedrich Merz, Deutschland und der IStGH

Opportunistischer Rechtsbruch

Friedrich Merz, Deutschland und der IStGH: Opportunistischer Rechtsbruch
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CDU-Chef Friedrich Merz will den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu nach Deutschland einladen – obwohl gegen ihn ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vorliegt. Die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin warnt vor einem Rechtsbruch und seinen politischen Folgen.

Wir erinnern uns: Schon als der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag gegen die Verantwortlichen der Hamas wegen des terroristischen Horror-Anschlags vom 7. Oktober 2023 Haftbefehl erließ, wurden im Berliner Politikbetrieb heftige Diskussionen geführt. Keineswegs wegen des berechtigten Haftbefehls gegen die Hamas-Verantwortlichen. Wohl aber wegen eines weiteren Haftbefehls des IStGH gegen den israelischen Premier Benjamin Netanjahu und seinen damaligen Verteidigungsminister. Ihm wurden ebenfalls auf der Grundlage von Fakten, also von Dokumenten und Aussagen von Opfern und Zeugen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bei der Kriegsführung in Gaza vorgeworfen.

Der IStGH arbeitet auf Basis klarer rechtsstaatlicher Regelungen und Verfahren, die Deutschland mit ausgearbeitet hat. Das zuständige Richtergremium hat seinen Beschluss gut begründet.

Die Folgen eines solchen Haftbefehls sind klar: Auch Deutschland hat aufgrund seiner Einbindung in das Völkerrecht und seiner klaren Unterstützung des IStGH die Verpflichtung übernommen, mit Haftbefehl Gesuchte, die sich auf seinem Territorium befinden, festzuhalten, um eine Auslieferung an den IStGH möglich zu machen. Deutschland hat durch die Verabschiedung des deutschen Völkerstrafgesetzbuchs im Jahr 2002 diese Unterstützung des IStGH nochmals unterstrichen.

Bei den Haftbefehlen gegen die Hamas-Verantwortlichen, gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin oder – früher – gegen den Sudanesischen Präsidenten Umar Al Bashir gab es keine Widerstände in der deutschen Politik.

Klar, die Verpflichtung durch Völkerrecht und das Römische Statut ist eindeutig und die Deutschen sind rechtstreu. Jetzt, wo es um Netanjahu geht, wollen das einige offensichtlich ändern. Schon die Reaktion der bisherigen Bundesregierung nach Erlass des Haftbefehls war allzu schwammig – "man prüfe", so ließ die Regierung ihren Sprecher verkünden. CDU-Politiker erklärten schon damals, der Haftbefehl gegen Netanjahu sei "absurd", hier liege eine ungerechtfertigte "Gleichsetzung" vor.

Merz' Begründungen sind entlarvend und unhaltbar

Friedrich Merz' Festlegungen könnten eine weitere Verschärfung einleiten: Der CDU-Chef und mögliche neue Bundeskanzler konstatierte am 10. Februar 2025 in einem Zeitungsartikel in der "Jüdischen Allgemeinen" und jetzt wieder in seiner Pressekonferenz am 24. Februar: Natürlich könne Netanjahu, "sein Freund", in Deutschland ungehindert ein- und ausreisen.

Wie er das begründet, ist ebenso entlarvend wie unhaltbar:

1.  Der IStGH sei nur gegen autoritäre Staaten gemacht worden, nicht gegen Demokratien wie Israel, behauptet Merz. Das ist schlicht unzutreffend. Der qualifizierte Jurist weiß genau – oder sollte es wissen –, dass wir natürlich von Demokratien erwarten, dass sie das Völkerrecht einhalten, keine Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit zulassen und ihre (vermeintlichen) Kriegsverbrecher selbst vor Gericht stellen. Er weiß auch, dass wir in Deutschland diesem Anspruch folgen und die entsprechenden verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Regelungen geschaffen haben.

Er könnte aber auch wissen, dass das leider nicht überall so ist. Gerade in Israel wehren sich bekanntlich viele gegen Netanjahus Kampf gegen die dortige Justiz und deren Anspruch, auch die Beschlüsse seines rechtsextremen Kabinetts an Recht und Gesetz zu messen.

Hinzu kommt, dass die Knesset in diesen Tagen ein Gesetz berät und mit der rechtsextremen Mehrheit verabschieden will, das Kontakte und auch die Übergabe von Fakten und Informationen über die Kriegführung an den IStGH zu Straftaten erklärt. Außerdem wollen sie mit einem NGO-Gesetz nach russischem Muster die unglaublich eindrucksvolle, auf Demokratie und Menschenrechte orientierte Zivilgesellschaft in Israel von oben herab kontrollieren und unter Strafe stellen.

Was also soll die Behauptung von Friedrich Merz? Will sie festlegen, dass Israel über dem Recht, über dem Völkerrecht steht? Und dass die Verfolgung von Menschheitsverbrechen dort nicht zulässig sein soll? Das darf nicht Deutschlands Haltung werden: Deutschland steht nicht für Rechtsbrüche.

2.  Zusätzlich beruft Friedrich Merz sich auf die besondere Verantwortung Deutschlands für Israel. Soll daraus die Verpflichtung Deutschlands zur Nichtbefolgung des Haftbefehls folgen? Also eine Ausnahme für Netanjahu?

Die besondere Verantwortung Deutschlands für Israel aus unserer Geschichte teile ich voll und ganz. Aber Merz verdreht, was daraus folgt: Wer "Nie wieder" bejaht, der will und arbeitet dafür, dass in Deutschland nie wieder Zustände und Verbrechen wie in der Nazizeit möglich werden. Natürlich bezieht sich das auf das Menschheitsverbrechen der Schoa und den Schutz jüdischen Lebens, auch bei uns. Es gehört aber auch die Verantwortung dazu, entschieden gegen Rechtsextreme vorzugehen. Vor allem aber, und das scheint mancher zu verwechseln oder gering zu achten, auch der Wille und die Verantwortung für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Bindung an das Völkerrecht.

Im Übrigen ist Netanjahu keineswegs Israel – auch nicht, wenn er und seine Politik von US-Präsident Donald Trump unterstützt werden. Das gleichzusetzen würde den vielen, die in Israel für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kämpfen, geradezu ins Gesicht schlagen.

3.  Merz' dritte Bemerkung, Netanjahu sei sein "Freund", ist allerdings in diesem Zusammenhang mehr als unpassend: Natürlich wählt sich jeder seine Freunde selbst, das ist klar. Ausnahmen für "Freunde" vom völkerrechtlichen Verbot, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere Menschheitsverbrechen zu begehen oder geschehen zu lassen, kann das jedoch ebenso wenig begründen wie Ausnahmen bei der Befolgung völkerrechtlicher Verpflichtungen.

Nicht nur ein Rechtsbruch, sondern auch Doppelmoral

Wer solche Gründe im Zusammenhang mit richterlichen Beschlüssen, auch denen des IStGH anführt, der setzt die Axt an die Wurzel des IStGH und seine strikt rechtsstaatliche Vorgehensweise. Das geht nicht. Einbrüche in die Rechtsstaatlichkeit sollte sich auch die CDU/CSU nicht leisten, Deutschland darf für opportunistischen Rechtsbruch nicht zur Verfügung stehen, und für die Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen auch nicht.

Unser Land darf eine solche Wendung nicht mitmachen: Wen sein eigenes juristisches Wissen und seine eigene rechtsstaatliche Gesinnung nicht zu dieser Einsicht bringt, der sollte wenigstens die mehr als schädlichen politischen Folgen vor Augen haben: Schon heute werfen Menschen in vielen südlichen Staaten unserer Welt "dem" Westen häufig unterschiedliche Maßstäbe, ja Heuchelei und Doppelmoral vor, wenn es um eigene Interessen oder die von Freunden geht.

Freunde sollten Freunden auf den richtigen Weg helfen. Aber Deutschland, auch eine neue Regierung, kann sich den Vorwurf der Doppelmoral, der Heuchelei und des Zynismus wahrhaftig nicht leisten.


Herta Däubler-Gmelin, Jahrgang 1943, war Bundesministerin der Justiz (1998 bis 2002) und zuvor stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD (1988 bis 1997).

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3 Kommentare verfügbar

  • Peter Nowak
    vor 2 Wochen
    Antworten
    Der Internatioanale Gerichtshof ist eine Institution, die nur in Fällen Anklage erheben soll, wo die vermeintlichen Verbrechen in den Ursprungsländern nicht belangt werden. Israel ist aber eine bürgerliche Demokratie mit einer Jusitz, die sich auch erfolgreich gegen die Einschüchterungsversuche der…
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