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Geschäfte mit Benko und Signa

Vorsätzlich blauäugig

Geschäfte mit Benko und Signa: Vorsätzlich blauäugig
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Stuttgart ist mindestens zweimal auf die Versprechen von René Benko reingefallen. Nach der Insolvenz seiner Signa-Gruppe könnte es im Rathaus nun eng für seine Fans werden. Besonders Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) gibt kein gutes Bild ab.

Sie sind rar, die öffentlichen Auftritte des inzwischen 46-Jährigen mit dem wenig schmeichelhaften Spitznamen Ösigarch. Doch im Sommer 2008 ließ sich René Benko, Gründer der Signa Holding und damit des größten Immobilienunternehmens Österreichs, hinreißen und erklärte "das Modell eines Immobilienentwicklers". Es gehe im Grundsatz darum, interessante Liegenschaften zu kaufen, sie umzubauen oder, wenn das Grundstück auf der grünen Wiese liegt, neu zu bauen und dann zum Beispiel ein Shoppingcenter an sogenannte institutionelle Endinvestoren weiterzuveräußern. Klingt geschmeidig, wie so vieles, was der gebürtige Innsbrucker interessierten Kommunalpolitiker:innen von Hamburg bis München, von Düsseldorf bis in Stuttgart schmackhaft machte. Institutionelle Endinvestoren sind oft übrigens auch jene Pensionsfonds, denen gutgläubige Menschen ihre Altersversorgung anvertrauen – aber das ist eine andere Geschichte und es ist schon kompliziert genug, das Knäuel um Benkos Geschäfte in Stuttgart und seine Signa Gruppe zu entwirren, zu der über 1.000 Einzelunternehmen mit Schwerpunkt im Immobiliengeschäft gehören. Ende November meldete dieses Konglomerat Insolvenz an.

Viele Abläufe über das Engagement in der baden-württembergischen Landeshauptstadt sind in Anträgen, in Niederschriften und Protokollen dokumentiert. Gerade wichtige Debatten fanden hingegen oft hinter verschlossenen Ausschusstüren im Rathaus statt. Öffentlich bekannt ist allerdings die Zugewandtheit des Oberbürgermeisters. Frank Nopper (CDU) wollte den Signa-Leuten und ihren Versprechen einfach glauben, sogar als das Loch an der Königstraße noch zu verhindern war: dort, wo früher die Sportarena stand, die im Frühjahr 2023 abgerissen wurde und einem Signa-typischen Neubau mit Büroräumen und Geschäften weichen sollte – bis der Immobilienkonzern im Oktober dieses Jahres einen Planungsstopp bekannt gab.

Bei genauerem Hinsehen hätten dem Schultes und den Gemeinderät:innen die vielen Verschleierungen als zentraler Pfeiler des Geschäftsmodells auffallen müssen. Wenigstens eine Handvoll der Signa-Unterstützer:innen in den bürgerlichen Fraktionen, die Benkos Vorstellungen von Innenstadtentwicklung mit Freuden folgen wollten, aber auch Grüne und SPDler:innen, hätten sich irgendwann an Wendelin Wiedeking erinnern müssen: Schon 2017 hatte sich der selbst nicht immer nur mit unternehmerischer Fortüne gesegnete Ex-Porschechef aus dem Firmen-Dickicht von Signa verabschiedet. Die Begründung war unmissverständlich: Wiedeking solle sich "immer öfter über eine unklare Strategie und mangelnde Transparenz der Entscheidungsprozesse bei Signa beklagt haben", schrieb das "Manager-Magazin". Benko und seine Führungsriege wiederum seien "zunehmend genervt von den Nachfragen, Bedenken und Einwänden" gewesen.

Die Chance auf Stadtentwicklung vergeigt

Hätten sich Zweifler:innen durchgesetzt, wäre er heute nicht möglich, der freie Blick von der Königstraße auf die alten Reklameschriftzüge und auf die Stiftskirche. Im vergangenen Februar hatte "Die FrAktion" im Stuttgarter Gemeinderat einen Antrag zum vorübergehenden Stopp des angekündigten Abbruchs rund um die Sportarena beantragt. Es sollten "keine Veränderungen an den Fassaden an der Schulstraße" zugelassen werden, "bis der vom Gemeinderat beschlossene und finanzierte Wettbewerb", was hier entstehen könnte, "abgeschlossen ist". Hannes Rockenbauch, der Vorsitzende dieses linken Bündnisses, räumt ein, dies sei "ein Notnagel kurz vor knapp" gewesen.

Solide war er trotzdem, begründet unter anderem mit Zitaten von Noppers Vorgänger Fritz Kuhn (Grüne). Mindestens zwei Mal hatte dieser für deutlich mehr Vorsicht plädiert: Noch vor weiteren Arbeiten solle "die künftige Gestaltung geplant und dann unter stadtgestalterischen Gesichtspunkten in den entsprechenden Gremien diskutiert" werden, zitiert "Die FrAktion" in ihrem Antrag. Eine Mehrheit fand der nicht. "Dass die da noch abgerissen haben", sagt Rockenbach heute, "hat mich sehr gewundert."

Aus gutem Grund, denn als die Bagger auffuhren, war der Flop des anderen Großvorhabens an der Eberhardstraße bereits öffentlich. Auch hier wollte Benko eine dieser Mischimmobilien hinklatschen: modern, bestens vermietet und natürlich als große Aufwertung des jeweiligen Stadtteils. Dieses Vorhaben ist erst recht ganz besonders mit Nopper verbunden. Stuttgart hat in dem betroffenen Sanierungsgebiet 27 das Vorkaufsrecht. Das sollte eigentlich gezogen werden. Als der frühere Schultes von Backnang im Herbst 2020, vielbejubelt von seiner CDU ("Wir können auch Großstadt"), zum neuen Stuttgarter OB gewählt ist, nimmt er sich der Sache an, nachdem er persönlichen Kontakt mit Benko hatte. Auf seinem Facebook-Account lässt Nopper das Tun der Stadt erst kürzlich schlank, rank und geschönt von seinem "Kommunikationsteam" erläutern: Nachdem die Signa das Vorkaufsrecht der Stadt zunächst juristisch angezweifelt und mit Klage gedroht habe, habe der Oberbürgermeister "für eine gütliche Einigung geworben, um einen langwierigen Rechtsstreit zu verhindern". Dem habe der Gemeinderat zugestimmt. Als jedoch die Bundesbank als künftiger Mieter abgesprungen sei, sei auch die Stadt von ihren Plänen abgerückt und "konnte wie geplant ihr Vorkaufsrecht wahrnehmen".

Nopper glaubt noch an erfolgreiche Vermietungen

"Müssen" wäre präziser gewesen. Die Wahl des Verbs ist aber eine Petitesse im Vergleich zum Umgang mit dieser zweiten Signa-Baustelle. Denn trotz der Bundesbank-Entscheidung, die die Pläne durchkreuzt hat, argumentiert Nopper weiter mit den Zusagen designierter Mieter, sogar noch Ende Oktober 2023, als Benkos Kartenhaus schon so sehr wankt. Wieder Facebook, wieder das Kommunikationsteam: "In der Zeitung wurde gestern über einen vermeintlichen Planungsstopp für das Geschäftshaus 'Zwei hoch Fünf' berichtet, das an der Ecke Königstraße/Schulstraße auf dem Areal der ehemaligen Sportarena entstehen soll." Deshalb habe der OB "heute mit der Signa Real Estate gesprochen" und eine planmäßige Durchführung gesichert. Der Vermietungsstand des – allein in Hochglanzvisualisierungen existierenden – Geschäftshauses liege aktuell bei deutlich über 50 Prozent.

Diese geradezu vorsätzliche Blauäugigkeit hängt mit der Überzeugungskraft des Selfmade-Milliardärs Benko zusammen. Unterschiedlichste Gesprächspartner:innen beschrieben ihn als "erfrischend unprätentiös", als freundlich und charmant, das Tirolerisch erinnere an Skiurlaub. Vor allem sei er stets gut präpariert, um auf Skepsis und Kritik zu reagieren. Schlichte Gemüter reagierten sofort begeistert, berichtet einer, der mehrfach dabei war. Aber nicht nur die schlichten, wie die Liste renommierter Wirtschaftsfürsten in Österreich, Deutschland und der Schweiz belegt, die sehr viel Geld gegeben haben in der Erwartung höchster Renditen.

In Wien, bekanntlich die Stadt von Sigmund Freud, kursieren einschlägige tiefenpsychologische Erklärungsversuche: Der deutlich Jüngere hatte die durchweg älteren "Alpha-Investoren" an deren eigene Anfänge erinnert, daran, dass es Mut und Glück braucht, um Millionen oder gar Milliarden zu machen. Und gute Ideen. Die bestanden bei Benkos Verhandlungen mit Kommunalpolitiker:innen gern im Gesamtangebot: Die Projektentwickler hatten eben alles Wichtige bei der Hand, also Kapital, Baufirmen und angeblich auch Mieter:innen. Auch diese wunderbaren Animationen machten mächtig Eindruck, in denen glückliche Menschen durch Büros spazieren, vor der Kulisse der durch große Fenster schimmernden jeweiligen Stadt.

Fachleute erwarten, dass vor der staunenden Öffentlichkeit erst in den kommenden Wochen nach und nach ans Licht kommt, welche gut gelegenen Immobilien Benkos Signa schon einmal besaß, noch immer besitzt oder schon abgestoßen hat: vom Hamburger Elbtower bis zu den Münchener Schmankerln zwischen Hauptbahnhof und Marienplatz. In Stuttgart zum Beispiel hätte er sich im Zuge des Eberhardstraßen-Engagements Zugriff auf Wohnungen in der Kiene- und der Silberburgstraße verschafft. "Da es in Österreich kein Konzerninsolvenzrecht gibt, bedeutet die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht, dass über die Tochtergesellschaften automatisch ebenfalls Insolvenzverfahren zu eröffnen sein werden", beschreibt der als Spezialist zugezogene "Kreditschutzverband von 1870" das weitere Vorgehen. Es gelte, jede Gesellschaft separat zu prüfen. Allein im Nachbarland befinden sich mindestens 390 Unternehmen unter dem einen großen Dach. Aufgrund von Fristen und Verschachtelungen müssten übrigens elf pro Tag durchleuchtet sein. Irgendwann wird der Dominoeffekt den Neckar erreicht haben. Da könnten es schon Schockwellen sein.

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12 Kommentare verfügbar

  • Philipp
    am 08.12.2023
    Antworten
    Nie vergessen:
    Wem haben wir den Provinz- Nopper zu verdanken?
    genau:
    Hannes, dem ehrgeizigen Möchtegern-Bürgermeisterle !
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