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Grüne Aufrüstung

Die große Böllerei

Grüne Aufrüstung: Die große Böllerei
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Die Grünen haben die Friedensbewegung und den Pazifismus hinter sich gelassen, meint unser Autor. Insbesondere die ihnen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung engagiere sich als Nato-Handlanger für "robuste Einsätze" im Osten und mit deutscher Beteiligung.

"Wir engagieren uns leidenschaftlich für den Vorrang ziviler Krisenprävention, Abrüstung und eine restriktive Rüstungsexportpolitik." (Website der Partei Bündnis 90/Die Grünen)

"Nicht zuletzt treten wir für Gewaltfreiheit und eine aktive Friedenspolitik ein." (Website der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung)

Die westlichen Falken kreisen wieder, sie wollen mehr Waffen, sie wollen losschlagen können gegen Russland, gegen China, gegen wen auch immer. Sie publizieren – auch in und für Deutschland – Strategiepapiere, die zum Beispiel heißen: "Transatlantisch? Traut euch!" Darin fordern sie "maßgeschneiderte, proaktive Programme, um strategische Partner wie Australien, Japan und Südkorea enger an den Kern des Westens zu binden." Was für Europa bedeuten würde: "Die europäischen Nato-Staaten – mit Deutschland an erster Stelle – erhöhen ihre Fähigkeiten zur konventionellen Verteidigung erheblich. Dadurch entlasten sie die USA in Europa und erleichtern es ihnen, sich auf den Indo-Pazifik zu konzentrieren und dort die Interessen der liberalen Demokratien zu schützen." Ein wahrhaft waffenfähiger Satz!

Schluss mit dem diplomatischen Rumgesülze. In diesem Papier wagt sich jemand aus der Deckung und will frank und frei: Aufrüstung! Dies auch bei und von uns, damit die USA sich nicht immer wegen der Russen umschauen müssen, sondern mit Bombern und Drohnen nach liberalen Demokratien Ausschau halten können, um dann, wenn sie eine gefunden haben, ausgiebig deren Interessen zu schützen. Aber wir schweifen ab. Wir sollten lieber mal schauen, wer dieses Papier verantwortet. Unterschrieben hat es, zusammen mit Nato-Fans von der Atlantik-Brücke, dem German Marshall Fund und dem Aspen Institute, die evangelische Theologin und Kirchenfunktionärin Ellen Ueberschär. Sie ist eine von zwei Vorständinnen der Heinrich-Böll- Stiftung, welche das oben genannte Papier publiziert hat.

Böll und Kelly in Mutlangen – Geschichte

Jawohl, die Zeiten ändern sich. Wer will sich denn noch diese pathetisch-penetranten Bilder aus Mutlangen zumuten, auf denen die Grünen-Mitgründerin Petra Kelly sich 1983 an einer Sitzblockade gegen die Nato-Nachrüstung beteiligt, genauso wie Heinrich Böll, der damals schon und noch vor ihrer Gründung die später nach ihm benannte Stiftung für friedliche Zwecke missbraucht hat. Dass die Stiftung immer noch einen Friedensfilmpreis und sogar einen Petra-Kelly-Preis "für das gewaltfreie Lösen von Konflikten" vergibt, sind offenbar Altlasten, die schnellstens getilgt oder umgewidmet werden müssen. Ein Petra-Kelly-Preis für das lauteste Aufrüstungsgeschrei vielleicht, quasi ein Böllizismus-Preis?

Die gröbsten der grünen und böll'schen Verirrungen in den Pazifismus hinein hat Joschka Fischer freilich schon im Jahr 1999 als Außenminister korrigiert, als Deutschland mit der Nato und ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrats in den Kosovo-Krieg zog. Er rechtfertigte das, was flattrige Friedenstauben als Bruch des Völkerrechts bezeichneten, als "humanitäre Intervention" und erklärte, es gehe ihm darum, ein zweites Auschwitz zu verhindern. Sogar in seiner eigenen Partei wurde Fischer von Ewiggestrigen kritisiert, die meisten aber teilten seine Pro-Kriegs-Position. "In jedem zweiten Feuilleton", schrieb damals Heribert Prantl in der Süddeutschen, "findet sich mehr Kritik am Kosovo-Krieg als in der Führungsriege der grünen Partei." Was damals nur Übelwollende nicht als Lob verstanden wissen wollten. Genauso wie heute den Vorschlag des "Die Partei"-EU-Abgeordneten Martin Sonneborn, die Heinrich-Böll- in Heinrich-Böller-Stiftung umzubenennen.

Die aktuelle Fraktionschefin der Grünen Katrin Göring-Eckardt war damals auch für den Nato-Krieg im Kosovo, wollte 2014 außerdem in Syrien militärisch intervenieren und sagt heute, am 18.12.2020 in der "Rheinischen Post", dass die Bundeswehr notfalls auch ohne völkerrechtliches Mandat eingesetzt werden müsse: "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass ein Mandat der Vereinten Nationen blockiert werden kann und dann wichtige Hilfe in Kriegsregionen mitunter nicht möglich wäre." Göring-Eckardt betont jedoch, dass sie es sich bei solchen Entscheidungen nicht leicht mache, sie ist ja auch, so wie ihre Kollegin Ellen Ueberschär, eine Theologin und Kirchenfunktionärin, und sie liest auch, so weiß die FAZ, täglich einen Bibelvers. Womöglich Sprüche aus dem Alten Testament, mit denen sie an die panzersegnende Tradition ihrer Kirche anknüpfen könnte.

Grüne denken über "robuste" Militäreinsätze nach

Auch die Entspannungspolitik von Willy Brandt und Egon Bahr muss jetzt korrigiert werden. Bahr erklärte noch 2013 vor Schülern in Heidelberg: "In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt." Dagegen schreibt im Jahr 2020 Stefan Meister, Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung im georgischen Tiflis, in einem Aufsatz für die "Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik": "Eine Modernisierungspartnerschaft mit Russland in der Tradition der neuen Ostpolitik der 1970er Jahre war der entscheidende außenpolitische Ansatz bis 2012. Diese Politik des Wandels durch Annäherung ist jedoch gescheitert." Das sitzt!

Meister fordert nicht nur mehr Waffen, sondern auch deren von UN-Einwänden unabhängige Anwendung: "Wenn Deutschland ein Waffenstillstandsabkommen in Libyen durchsetzen möchte, muss es auch im EU- oder Nato-Rahmen bereit sein, dieses militärisch zu schützen. Das Gleiche gilt für Syrien: Nur durch die Bereitschaft, Schutzzonen für Zivilisten zu schützen, können Deutschland und die EU-Partner bei der Nachkriegsordnung in Syrien als entscheidende Akteure auftreten. Ebenso könnte in der Ukraine ein Abkommen für eine robuste EU-Mission unter deutscher Beteiligung tatsächlich den Druck auf Moskau erhöhen…" Das schöne Euphemismus-Wort "robust"! Die Grünen-Chefin Annalena Baerbock hat es auch im Repertoire und im neuen Jahr bereits verwendet. Sie hat sowohl über mehr Waffen als eben auch über "robuste Militäreinsätze" nachdacht: "Einfach wird das nicht. Aber wir dürfen uns nicht wegducken."

Dass mit ihr ebenfalls gut Kanonenpolitik, pardon, eine UN-unabhängige und also verantwortungsvolle Kriegspolitik zu machen ist, gibt auch Franziska Brantner, europapolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, auf ihrer Webseite "Mein Europa" bekannt. Am 16.4.2020 zieht sie Schlüsse aus deutscher Historie und Auschwitz respektive aus Joschka Fischers Balkanjahren: "Diese Verbrechen bleiben für uns Verpflichtung, der Anwendung militärischer Mittel ganz besonders skeptisch und kritisch zu begegnen. Trotzdem schließen wir die Anwendung solcher Mittel nicht grundsätzlich aus. In den rot-grünen Regierungsjahren haben wir gezeigt, dass wir uns in Fragen über Krieg und Frieden nicht aus der Verantwortung stehlen."

Volle Verantwortung für Krieg und Frieden

Franziska Brantner ist Jahrgang 1979, gehört also zu den jungen Grünen, ist aber doch schon zu alt für das 2019 gegründete "Forum Neue Sicherheitspolitik" der Heinrich-Böll-Stiftung. In dem versammeln sich nämlich "grün-nahe Expert/innen der Außen- und Sicherheitspolitik, die das 40. Lebensjahr noch nicht erreicht haben." Auf die aber trotz ihrer Jugend schon Verlass ist. Die Homepage des Forums stellt zum Beispiel klipp und klar fest, was uns die UN-Bedenkenträger angehen, nämlich nichts: "Die Grünen sollten darauf verzichten, im Grundsatzprogramm und im nächsten Wahlprogramm die Zustimmung zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr von einem Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen abhängig zu machen."

Verlässlich in der Sache waren und sind auch die Grünen-Urgesteine Marieluise Beck ("Schutz derjenigen, die zu Angegriffenen werden. Aber um sie zu schützen, braucht man notfalls militärische Mittel") und Ralf Fücks, der bis 2017 im Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung saß und dort schon vor zwölf Jahren nicht nur fragte: "Könnte es etwa sein, dass die Parole 'Frieden statt Krieg' zwar zeitlos richtig ist, aber keine hinreichende Orientierung angesichts einer komplizierten Weltlage gibt?", sondern damals auch zu Afghanistan schrieb: "Die Forderung nach einem vorzeitigen Abzug der Bundeswehr dient deshalb nicht dem Frieden, sondern fördert die erneute Eskalation der Gewalt." Allerdings wurde und wird das Ehepaar Beck/Fücks manchmal in der eigenen Partei kritisiert, die beiden haben deshalb 2017 als Böllerei-Geleitschutz das Zentrum Liberale Moderne gegründet, einen transatlantischen Think-Tank, was hier wohl mit Denk-Panzer zu übersetzen wäre.

Für dieses Zentrum Liberale Moderne hat im Jahr 2019 Manuel Sarrazin, Osteuropa-Sprecher der Grünen, über seinen Besuch in der Ukraine berichtet, für deren liberal-demokratische Ausrichtung diese Partei schon immer gekämpft hat. Laut Webseite der Grünen steht man seit vielen Jahren "kritisch-solidarisch an der Seite der Ukraine." Dass beim Sturz der Regierung und beim Euro-Maidan im Jahr 2014 faschistische Kräfte wie die Swoboda-Partei oder der Rechte Sektor tatkräftig mitgemischt haben, wird von den Grünen ausnahmsweise mal so zurückgewiesen: entrüstet. Und dass inzwischen Straßennahmen und Feiertage nach dem Antisemiten und Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera benannt werden, scheint Sarrazin ebenfalls entgangen zu sein. Herr Sarrazin jedenfalls hat sich im ukrainischen Mariupol umgeschaut, hat aber nichts gesehen oder nichts geschrieben etwa vom Trainingscamp der Asow-Miliz, das sich dort nach Angaben des "Time"-Magazine vom 18.1.2021 befindet.

Mit Joschka Fischer wehrhaft bleiben

Ein Zitat aus der achtseitigen Geschichte in Gänze: "Asow ist viel mehr als nur eine Miliz. Sie hat ihre eigene Partei; zwei Verlagshäuser; Sommer Camps für Kinder; eine Vigilanten-Truppe, die als National Militia bekannt ist und zusammen mit der Polizei durch die Straßen ukrainischer Städte patrouilliert. Anders als ihre ideologischen Gleichgesinnten in den USA und Europa hat sie auch einen militärischen Flügel mit zwei Ausbildungs-Stätten und einem riesigen Waffenarsenal, von Drohnen und gepanzerten Fahrzeugen bis hin zu Artillerie." Mehr? Also gut: "Das Hauptrekrutierungscenter für Asow, bekannt als Cossack House, steht im Zentrum von Kiew, ein vierstöckiges Ziegelgebäude, das vom ukrainischen Verteidigungsministerium gemietet wurde."

Wie? Noch mehr? Na, wenn's sein muss: "Außerhalb der Ukraine nimmt Asow eine zentrale Rolle in einem Netzwerk extremistischer Gruppen ein, das sich von Kalifornien über Europa bis Neuseeland erstreckt." Asow habe lange mit Nato-Truppen geübt und, so das "Time"-Magazin weiter, "eine globale Ideologie des Hasses angefeuert, die jetzt mehr terroristische Attacken in den USA inspiriert hat als der islamische Extremismus und eine wachsende Bedrohung in der ganzen westlichen Welt darstellt."

Grüne Kriegsrhetorik

Eine besondere Beziehung zum Namensgeber der Stiftung hat der Publizist Wolfram Frommlet. Der 76-Jährige, heute in Ravensburg lebend, stand der Familie nahe und war mit Böll-Sohn René an der Gründung der Stiftung beteiligt. Heinrich und Annemarie Böll hat er nach dem Militärputsch in Chile (1973) als Asylgeber für verfolgte Schriftsteller erlebt, ebenso als Helfer für Jugendliche in schwierigsten Verhältnissen. Frommlet hat beim WDR in Köln und später lange für die Deutsche Welle gearbeitet. In einem Offenen Brief an die Heinrich-Böll-Stiftung übt er scharfe Kritik an der "Kriegsrhetorik" ihres Positionspapiers "Transatlantisch? Traut Euch". (jof)

Bliebe noch zu klären: Wie halten es die Grünen mit dem Atom und mit den Frauen? Nun, in Sachen Atom sind sie gespalten. Dass in einer Greenpeace-Umfrage 92 Prozent der Deutschen für eine Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrags sind, ändert allerdings nichts daran, dass Joschka Fischer und viele andere Grüne wehrhaft bleiben und weiter für eine nukleare Teilhabe sind, also dafür, dass in Deutschland US-Atomraketen gelagert werden und deutsche Tornados jederzeit bereit sind, diese zu transportieren. Und auch in der Frauenfrage geht es gut voran, das Forum Neue Sicherheitspolitik etwa spricht von "aufstrebenden Paradigmen" einer "feministischen Außenpolitik", und von den fünfzehn mit Foto vorgestellten Mitgliedern auf der Homepage sind tatsächlich elf Frauen, alle verbindlich lächelnd, in der Sache aber ganz hart.

Diese jungen Frauen haben die noch 2010 von der Heinrich-Böll-Stiftung zusammen mit dem Gunda-Werner-Institut gestellte Frage, ob "das Militär abgeschafft oder geschlechtergerecht gestaltet werden" solle, längst beantwortet. Und beantwortet hat diese Frage natürlich auch die oben zitierte Stiftungsvorständin und Theologin Ellen Ueberschär, die 2003 übrigens auch mal ein christliches Buch geschrieben hat, dessen Titel heute vielleicht nicht als Motto der Grünen insgesamt, aber doch für die Heinrich-Böll-Stiftung und ihre angedockten Nato-Freunde taugen könnte: "Lebensart und Sterbenskunst".


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4 Kommentare verfügbar

  • Ingrid Bohsung
    am 08.02.2021
    Antworten
    Der Artikel macht mich unendlich traurig.Wo sind die Ideen bei den Grünen für eine friedvollere Welt geblieben? Die jungen Grünen sollten ernst genommen werden ! Ich will mich weiterhin mit meinen Enkeln und Urenkeln für eine Welt mit immer weniger Waffen einsetzen.
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