Die Erleichterung über die Erfolgsmeldungen bei der Impfstoffentwicklung des Mainzer Pharmaunternehmens Biontech von vergangener Woche dürfte an der Frankfurter Börse weitaus größer gewesen sein als in den Armenvierteln von Dhaka oder Nairobi. Ob von dem Impfstoff etwas für die Länder des Südens abfällt, ist noch völlig ungeklärt. In der Berichterstattung fand der Rest der Welt nicht mal mehr Erwähnung. Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch unvernünftig, denn eine epidemiologische Erkenntnis gilt weiterhin: Es ist dann vorbei, wenn es für alle vorbei ist. Das weiß auch die Politik.
"Niemand ist sicher vor COVID-19, bevor nicht alle davor sicher sind. Selbst wer das Virus in seinen eigenen nationalen Grenzen besiegt, bleibt Gefangener dieser Grenzen, solange es nicht überall besiegt ist." Völlig zutreffend beschrieb Bundespräsident Frank Walter Steinmeier bei der Eröffnung des World Health Summit am 25. Oktober in Berlin das Wesen der Pandemie: Die Befreiung vom Virus bedarf eines globalen Handelns. Deutschland, Europa und alle anderen großen Industrienationen verhindern allerdings genau das. Eine kleine Gruppe reicher Länder, die 13 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren, hat sich bereits mehr als die Hälfte der zukünftigen Versorgung mit führenden COVID-19-Impfstoffen gesichert, berichtet die Hilfsorganisation Oxfam. Konkret haben die reichen Länder bereits mehr als fünf Milliarden Dosen von Impfstoffen aus den Kandidatenländern gekauft oder sind dabei, sie zu kaufen, bevor die klinischen Studien abgeschlossen sind. Weniger als 800 Millionen Dosen sind für die ärmsten Länder der Welt vorgesehen, berichtet die Duke University in einer kürzlich veröffentlichten Studie. Auch Deutschland hat solche Exklusivverträge abgeschlossen.
Nimmt man die richtungsweisenden Entscheidungen seit Beginn der Pandemie genauer in den Blick, wird schnell deutlich, dass die Industrienationen an einer neoliberalen Politik festhalten, die das Recht auf Gewinn für Unternehmen gegen die Menschenrechte, konkret den gerechten und gleichen Zugang zu den Impfstoffen, absichert. Diese Ordnung wird mit aller Gewalt verteidigt und das ist durchaus wörtlich zu verstehen: Betrachtet man das Ringen um die kommenden Impfstoffe, zeigt sich, wie die Krise gelöst werden soll – auf Kosten der Armen. Die Nebenwirkungen sind tödlich und werden auch die wirtschaftliche, geographische und soziale Ungleichheit dramatisch vergrößern. Es droht die Restaurierung der Zweiteilung der Welt in Nord und Süd, auch wenn deren Überwindung verbal immer wieder bekräftigt wird.
Vorstoß von Indien und Südafrika
An Alternativen mangelt es indes nicht. Kürzlich beantragten die Regierungen von Indien (mit rund 130.000 Corona-Toten weltweit auf Platz drei) und Südafrika, das wie kein anderes afrikanisches Land von der Corona-Pandemie betroffen ist, bei der Welthandelsorganisation (WTO, nicht zu verwechseln mit der Weltgesundheitsorganisation WHO) eine Ausnahmeregelung im TRIPS-Abkommen, in dem die handelsbezogenen Aspekte des geistigen Eigentum geregelt werden. Gebraucht werde, argumentieren Indien und Südafrika, eine grundlegende und umfassende Aussetzung der Regelungen, bis die Weltbevölkerung eine Immunität gegen das Virus entwickelt hat.
Das umkämpfte und bis heute umstrittene TRIPS-Abkommen wurde 1995 auf Initiative der Industrienationen und internationaler Unternehmen wie Microsoft oder dem Pharmakonzern Pfizer geschlossen. Explizites Ziel war es, Einwände aus den Ländern des globalen Südens bei vorherigen Handelsrunden auszubooten. Doch das Abkommen sieht Ausnahmeregelungen vor, die es im Falle eines Gesundheitsnotstandes gestatten, über sogenannte Zwangslizenzen oder Parallelimporte Medikamente oder einen Impfstoff unter Umgehung des Patentschutzes kostengünstig und lokal herzustellen.
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