Der damalige "Schock der Sars-Epidemie" sei, wie in der FAZ ausgeführt wird, schnell verflogen, für die kostspielige Medikamentenentwicklung gab es kein Geld mehr. Die Vorsorge sei "ein lausiges Geschäftsmodell", wenn es um "steigende Margen und Aktienkurse" gehe. Diese Maxime scheint die Pharmaindustrie auch fleißig zu befolgen, gelten deren Konzerne – gleich nach der IT-Branche – im Schnitt als die größten Profitmaschinen auf dem Weltmarkt. Im Vergleich zu 400 Großunternehmen aus diversen Industriezweigen, die im US-Aktienindex S&P-500 zusammengefasst seien, hätten die börsennotierten 35 Konzerne der Pharmabrache "in allen ökonomischen Erfolgskennzahlen" im 21. Jahrhundert im Schnitt doppelt so gut abgeschnitten, erläuterte die FAZ.
Kann man hier überhaupt von einem Marktversagen sprechen? Eigentlich findet die kapitalistische Logik, die auf Gewinnmaximierung abzielt, in der strategischen Ausrichtung der Pharmaindustrie ihre Vollendung. Das Ideal ist die Krankheit, die nie geheilt werden wird. Die Branche konzentriert sich bei ihrer Forschungstätigkeit zumeist auf chronische Krankheiten, bei denen Medikamenteneinsatz die Symptome lindert, ohne die Krankheit zu heilen. Die Krebsforschung bildet folglich einen der Schwerpunkte der Investitionstätigkeit der Pharmabranche.
Nachhaltige Geschäftsmodelle
2018 brachte ein Bericht der Investmentbank Goldman-Sachs diese Logik auf den Punkt, in dem provokant die Frage aufgeworfen worden ist, ob die "Heilung von Patienten ein nachhaltiges Geschäftsmodell" darstellen könne. Die Bank setzte sich in ihrem Bericht mit dem Beispiel eines Pharmaunternehmens auseinander, das ein sehr erfolgreiches Medikament zu Behandlung von Hepatitis C auf den Markt brachte – mit dem Ergebnis, dass nach einem Jahr mit sehr guten Umsätzen diese rasch einbrachen und nur noch einen Bruchteil an Profiten generierten. Das urkapitalistische Problem, das den Hintergrund dieser Erwägungen bildet, ist somit recht simpel: Erfolgreiche Medikamente zerstören die Märkte der Pharmaindustrie.
Dies gilt insbesondere für Infektionskrankheiten, die eine Herausforderung für die Rentabilität der Pharmabranche darstellen. Dies gilt aber auch für die Entwicklung von Impfstoffen neuer Antibiotika, deren Forschung schon seit vielen Jahren stagniert – was zur Ausbildung immer neuer Resistenzen führte und viele Menschen schlicht das Leben kostete. Mit Antibiotika kann man keinen beständigen Pool von Patienten aufbauen, die immer wieder mit Medikamenten versorgt werden können. Impfstoffe sind schlicht ein unkalkulierbares unternehmerisches Risiko, da nie klar ist, ob sich die Investitionen rentieren werden. So lassen die 20 größten Pharmakonzerne laut Schätzungen rund 50 Prozent ihrer Forschungsmittel in die Krebsforschung fließen – während in die Erforschung von Corona-Viren bis kurz vor dem Ausbruch der Pandemie keinerlei Mittel aufgewendet wurden, obwohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schon nach Ausbruch der Sars-Empidemie deren Erforschung empfahl. Zudem haben die Konzentrationsprozesse in der Pharmabranche dazu geführt, dass sich auch im Impfgeschäft ein Oligopol herausbildete, bei dem nur vier Großunternehmen den 43 Milliarden US-Dollar umfassenden Markt kontrollieren.
Diese Vernachlässigung von Infektionskrankheiten durch die profitorientierte Pharmaforschung ist auch weiterhin gegeben, trotz Corona. Die derzeit anlaufenden Forschungsbemühungen werden hauptsächlich von öffentlichen Geldern getragen oder von Stiftungen wie der Gates-Foundation. Die Wirtschaft hält sich, aus wohlverstandenem betriebswirtschaftlichen Kalkül, auch weiterhin zurück. Die Lizenzdeals, die bei Wirkstoffen zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten 2019 abgeschlossen worden sind, umfassten gerade mal 280 Millionen Dollar. Bei Krebswirkstoffen waren es hingegen 31,4 Milliarden – dieser Markt ist somit mehr als hundertmal so groß.
Das neoliberale Laissez-faire der globalen Märkte lässt somit den munter mutierenden Viren und Bakterien weitgehend freie Hand. In einer Situation, in der ökologische und ökonomische Krisenentfaltung das Aufkommen unbekannter Krankheiten befördert, in der die Welt laut Michael Ryan, dem Exekutivdirektor des WHO-Notfallprogramms, in eine "neue Phase hochwirksamer Epidemien" eintrete, beseitigte das blinde Profitkalkül des Kapitals alle Sicherungsmechanismen, die den Krisenverlauf eindämmen oder auch nur abmildern könnten. Einen Hoffnungsschimmer gibt es zumindest für die Menschen im globalen Süden, die besonders unter tropischen Krankheiten und vermeidbaren Todesfällen leiden. Da diese Märkte bislang kaum profitabel waren, spielte deren Erforschung in der Pharmabranche ebenfalls kaum eine Rolle. Mit dem Vorrücken tropischer Krankheiten in die Wohlstandszentren des Weltsystems könnte sich dies zumindest etwas ändern.
Tomasz Konicz befasst sich seit vielen Jahren mit Krisenanalyse und Ideologiekritik, er verfasste mehrere Bücher dazu. Im März erschienen: "Klimakiller Kapital – Wie ein Wirtschaftssystem unsere Lebensgrundlagen zerstört", Mandelbaum Verlag, 376 Seiten, zu haben für 20 Euro.
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Aras Peux
am 17.05.2020Die Virologen kritisieren den Kapitalismus ein bißchen, wenn es ihnen nutzt, weil sie sich mehr davon versprechen, ihre…