Wer es zu doll treibt, vergrault seine besten Freunde, und wenn das so weitergeht, wird Stuttgart noch zur Geisterstadt. Davor warnte eine Kleinunternehmerin sinngemäß schon im September 2017, als ein Grundsatzbeschluss des Gemeinderats die Existenz von 18 Parkplätzen in der Nähe der Markthalle zu vernichten drohte: "Allein schon der Gedanke daran lässt viele zögern, überhaupt noch in die Stadt zu kommen", sagte die Sprecherin einer Unterschriftenliste, die das Desaster abwenden wollte, gegenüber der "Stuttgarter Zeitung". Es nutzte nichts. Und als wären weniger Parkplätze nicht schon genug der Schikane, bemüht der grüne Oberbürgermeister Fritz Kuhn jetzt die nächste Eskalationsstufe: "Wir wollen eine autofreie Innenstadt", sagt er zum Entsetzen der örtlichen CDU, die in die Glaskugel blickte und dabei feststellte, dass in der nächsten Dekade "so oder so" noch 70 Millionen Autos pro Jahr gebaut werden. Daher die besorgte Frage, ob die Landeshauptstadt hiervon profitieren will, oder "ob die Automobilindustrie in Stuttgart bis dahin lahmgelegt wurde und abgewandert ist." Auf dem Spiel steht laut der Union nicht weniger als der "Wohlstand einer ganzen Region".
Eine Innenstadt ohne Autos steht nicht zur Debatte
Eine Nummer kleiner ging es nicht. Dabei steht die "autofreie Innenstadt" gar nicht wirklich zur Debatte, zumindest solange man darunter eine Innenstadt versteht, die frei von Autos ist: Direkt schränkte das grüne Stadtoberhaupt gegenüber der dpa ein, dass PKWs weiterhin auf bestimmten Routen verkehren dürfen sollen. Etwa auf der vielbefahrenen B14 oder der Theodor-Heuss-Straße. Oder auch auf den Zufahrten zu Parkhäusern. Zu denen "führen aber 90 Prozent der Straßen in der City irgendwie", wie der SÖS-Stadtrat Luigi Pantisano schon vor mehr als zwei Jahren gegenüber Kontext sagte. Ungefähr zur selben Zeit fasste der Stuttgarter Gemeinderat übrigens den Grundsatzbeschluss, dass in einem kleinen Teil der City künftig weniger Autos fahren sollen – was auch damals medial etwas übereifrig als "autofreie Innenstadt" verbreitet wurde. Da Kuhns aktuelle Forderungen darüber gar nicht hinaus gehen, hat er im Prinzip nicht mehr getan, als eine schon etwas angestaubte Entscheidung ins Gedächtnis zurückzurufen, deren Umsetzung ziemlich schleppend vorangeht.
Auch die grüne Fraktion im Rathaus verweist nach den Attacken der Union auf diesen Zielbeschluss vom 26. Juni 2017 und reagiert ziemlich sachlich mit "Unverständnis" darauf, dass "ein völlig normaler Vorgang" – nämlich ein OB, der im Auftrag des Gemeinderats handelt – der CDU eigentlich "nicht fremd sein dürfte". Japp. Und die CDU? Kontert noch einmal, indem sie ihrem Ärger, Kuhns Aussagen falsch verstanden zu haben, Luft macht. Ihren Kreisvorsitzenden lässt sie ausrichten: "Wenn die Grünen meinen, dass wir einen Beschluss der ökolinken Mehrheit gegen das bürgerliche Lager nicht mehr kritisieren dürfen, offenbaren sie ein eigentümliches Demokratieverständnis." Wird man ja wohl noch sagen dürfen.
Die ganze Aufregung wirkt aber nicht nur deplatziert, weil die Union sich über aufgewärmten Schnee von gestern echauffiert. Sondern auch, weil sie die Gelegenheit missbraucht – aller Debatten ungeachtet, wie militarisierte Rhetorik die Hemmschwelle zur Gewalt herabsetzen kann –, schon wieder über einen "Feldzug gegen die Automobilindustrie" zu schwadronieren. Es gibt in Stuttgart keine kriegslüsternen Heerscharen, die schwer gepanzert und Pickelhauben tragend mit Hellebarden auf Reifen einstechen. Also schaltet mal 'nen Gang zurück.
3 Kommentare verfügbar
Harold
am 22.10.2019Wenn eine Innenstadt, die frei von Autos ist, nicht zur Debatte steht: Warum redet Herr Kuhn dann von "autofreier Innenstadt"??? Auf…