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Wohngeld schafft keine Wohnungen

Wohngeld schafft keine Wohnungen
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Am Vorschlag von Wirtschaftsprofessor Friedrich Breyer, den sozialen Wohnungsbau abzuschaffen und stattdessen die Mieter mit Wohngeld zu unterstützen, lässt Rolf Gaßmann kein gutes Haar. Der Vorsitzende des Mieterbunds Baden-Württemberg kann auf Marktradikales aus der Mottenkiste verzichten.

Friedrich Breyer, Professor für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Universität Konstanz und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums, hält den sozialen Wohnungsbau für eine Scheinlösung, da nicht für jeden bedürftigen Mieter eine Sozialwohnung bereitstehe. Statt Geld in die Wohnbauförderung zu investieren, empfiehlt er, dieselbe Summe dafür auszugeben, die Bemessungsgrenzen des Wohngelds anzuheben. Rolf Gaßmann, der Vorsitzende des Stuttgarter Mietervereins und des Mieterbunds Baden-Württemberg, widerspricht.

"Der Herr Professor sitzt im Elfenbeinturm und hat von den realen Nöten vieler Wohnungssuchender offensichtlich keine Ahnung", ätzt Gaßmann in einer Pressemitteilung noch am selben Tag, an dem Breyer im Interview mit der "Stuttgarter Zeitung" seine These erläutert. Wer sozialen Wohnungsbau als "weiße Salbe" bezeichne und die Wohnraumversorgung dem Markt überlassen wolle, der "handelt sozial unverantwortlich. Modelle aus der Studierstube ersetzen keine soziale Wohnungspolitik, die bezahlbaren Wohnraum schafft und dauerhaft erhält."

"Das ist ja nun keine neue Idee", fügt Gaßmann auf Kontext-Anfrage hinzu: "Das verkünden die Marktradikalen seit Jahrzehnten. Es wird dadurch nicht richtiger." Er verweist auf Vonovia: Der größte private Vermieter Deutschlands hat 2015, damals noch als Deutsche Annington, den Wohnungsbestand übernommen, der ursprünglich einmal der Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) gehört hatte. 2007 waren die Wohnungen an die LBBW Immobilien überführt und 2012 an das Patrizia Konsortium verkauft worden. Die LEG war dazu da, bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen. Wenn nun die Mieter durch Wohngeld in die Lage versetzt werden sollten, die gestiegenen Mieten zu zahlen, so Gaßmann, wäre das so, als würde der Vermieter zu seinen Mietern sagen: "Wenn ihr die Miete nicht bezahlen könnt, geht bitte zum Staat und holt euch Wohngeld." Oder wie der Mieterbund kritisiert: "Öffentliche Mittel werden zur Befriedigung privater Renditeerwartungen eingesetzt."


Und die Mieten steigen drastisch: bei Modernisierungen, die Vonovia in großem Umfang vornimmt, um durchschnittlich 30 Prozent. Das sind bei einer mittleren Wohnung rund 200 Euro. Wenn aber eine Rentnerin in der Klingenstraße im Stuttgarter Osten, <link https: mieterverein-stuttgart.de de news vonovia-will-mieter-mit-mietsteigerungen-von-180-bis-230-pro-monat-hinausmodernisieren-mieterverein-kritisiert-das-fehlen-einer-.html external-link-new-window>wie der Stuttgarter Mieterverein vorrechnet, nach Erhöhung 918 statt 850 Euro Miete bezahlt, kann sie dafür keinen einzigen Cent mehr Wohngeld beantragen. Denn der Höchstbetrag, der für eine Person in Stuttgart bezuschusst wird, liegt bei derzeit 533 Euro. Dass dieser Betrag nur die kalten Nebenkosten enthält, während die Vonovia-Miete in diesem Fall mit allen Nebenkosten gerechnet ist, spielt dabei längst keine Rolle mehr. Selbst eine dreiköpfige Familie würde Wohngeld nur bis zu einer Miete von 753 Euro bekommen.

2016 ist das Wohngeld zum letzten Mal erhöht worden - nach sieben Jahren. Die Mieten steigen aber nicht nur alle sieben Jahre. Sie sind laut städtischem Mietspiegel allein in den letzten zwei Jahren um durchschnittlich sechs Prozent gestiegen und lagen im April 2016 bei 8,95 Euro pro Quadratmeter - inzwischen dürften es um die 9,50 Euro sein. Um bei der dreiköpfigen Familie zu bleiben: Für sie würde demnach das Wohngeld bei einer durchschnittlichen 70- bis 75-Quadratmeter-Wohnung noch ausreichen. Doch bei Neuvermietungen liegen die Mieten oft sehr viel höher. Wer in verschiedenen Immobilienportalen im Internet schaut, findet Dreizimmerwohnungen in Stuttgart nur ausnahmsweise unter 1000 Euro, zumeist nur in Randlagen. In der Stadt liegen die Angebote eher bei 1200 Euro aufwärts.

Bei solchen Mieten ist aufs Wohngeld kein Verlass

Wer wenig verdient und keine billige Wohnung findet, kann sich derzeit also, wie die Rentnerin in der Klingenstraße, aufs Wohngeld nicht unbedingt verlassen. Wenn die Miete ohnehin schon über der Höchstgrenze liegt, muss der Mieter für jede weitere Erhöhung selbst aufkommen. Das bedeutet Einschränkungen beim täglichen Grundbedarf, die Kinder wie Erwachsene aus der Gesellschaft ausschließen. Wer aber mehr verdient, ist auch nicht automatisch besser dran. Wenn das Haushaltseinkommen bestimmte Einkommensgrenzen übersteigt, erhält der Mieter überhaupt kein Wohngeld mehr. So ist die Zahl der Wohngeldbezieher in Baden-Württemberg im vergangenen Jahr aus diesem Grund um sechs Prozent gesunken.

Tatsächlich können sich aber auch die mittleren Einkommensgruppen die marktüblichen Mieten oft nicht mehr leisten. Eben deshalb fördert die Stadt nach dem Stuttgarter Innenentwicklungsmodell (SIM) ja nicht nur Sozialwohnungen, sondern auch Mietwohnungen für mittlere Einkommensbezieher (MME), die aber nach derzeitigem Stand kein Wohngeld beantragen können. Miet-Höchstgrenzen, Einkommensgrenzen und auch das Wohngeld selbst müssten also, wenn die Wohnbauförderung wegfiele, drastisch nach oben korrigiert und laufend angepasst werden, um einen Ausgleich zu schaffen. Notwendig sei, wie der Mieterbund feststellt, "die Dynamisierung des Wohngeldes, das heißt die automatische Anpassung an die Mieten- und Einkommensentwicklung."

Was Gaßmann außerdem missfällt: Dass das Wohngeld Mieter tendenziell zu Almosenempfängern mache und sie zwinge, ihre Einkommensverhältnisse im Detail darzulegen. Bei Sozialwohnungen wurde sogar darauf verzichtet, von Mietern, die inzwischen mehr verdienen, eine Fehlbelegungsabgabe zu verlangen, weil sie dann nicht selten abwandern und es zu einer Gettobildung kommt. Doch damit nicht genug: "Wohngeld schafft keine einzige neue Wohnung", so Gaßmann. Neue, und vor allem bezahlbare Wohnungen werden aber in erheblichem Umfang gebraucht. "Auch, weil der Markt fast nur Wohnungsangebote im oberen Preissegment schafft", so der Mieterbund, "muss der soziale Wohnungsbau wiederbelebt werden." Mit der aktuellen Situation im geförderten Wohnungsbau ist Gaßmann keinesfalls zufrieden. Es sei aber schon besser als zu Zeiten von Wirtschaftsminister Nils Schmid, wo sich jeder, der größere Anstrengungen der öffentlichen Hand gefordert habe, wie ein Bittsteller vorkommen musste. Fördermittel stünden in ausreichender Menge bereit. Das Problem sei, sie würden nicht alle abgerufen.

Land und Kommunen halten am sozialen Wohnungsbau fest

Seit Anfang der 1990er-Jahre wurde der soziale Wohnungsbau stark zurückgefahren. Von der völlig falschen Voraussetzung ausgehend, Sozialwohnungen würden nun nicht mehr gebraucht, hat die öffentliche Hand seither, wie Gaßmann kritisiert, "in erheblichem Umfang Sozialwohnungen verscherbelt." Bestes Beispiel in Baden-Württemberg: die ehemalige LEG, heute Vonovia. Gaßmann: "Vonovia schafft keine Wohnungen, sondern erhöht nur die Mieten."

Stuttgart hat seit der Jahrtausendwende, trotz des Ankaufs der Schienengrundstücke im Vorfeld des Hauptbahnhofs für 457 Millionen Euro, mehr Geld durch Grundstücksverkäufe eingenommen als für Ankäufe ausgegeben. Das bedeutet, die verkauften Grundstücke wurden, dem Markt überlassen, zum Objekt der Spekulation. Seit 2000 haben sich die Baulandpreise fast verdoppelt. Wenn Genossenschaften oder die städtische Wohnungsgesellschaft SWSG heute neue Wohnungen bauen wollen, finden sie oftmals keine passenden Grundstücke. Oder das Bauland ist so teuer, dass sich trotz Zuschüssen kein sozialer Wohnungsbau mehr rentiert.

Auch Genossenschaften - die seit 1990 auch nicht mehr als gemeinnützig eingestuft werden - verzichten daher oftmals auf die Fördergelder, da sie auf dem freien Markt, ohne Fördergelder, mehr einnehmen. Private Bauherren investieren dagegen von vornherein lieber in Luxuswohnungen. Und sie finden Abnehmer, da zum einen die sprichwörtlichen Villen in Halbhöhenlage kaum noch im Angebot stehen und unbezahlbar geworden sind, zum anderen sich nicht jeder auf Dauer in Stuttgart niederlassen will.

Wollte der Staat versuchen, durch Wohngeld die auf dem Markt ohne Fördermittel neu entstehenden Wohnungen auch für Geringverdiener erschwinglich zu machen, wie dies Breyer empfiehlt, wäre er schlecht beraten. Nicht nur würden dann Anreize wegfallen, neue Wohnungen zu errichten, wie sie die derzeitige Förderung, wenn auch nicht in ausreichendem Maß, immer noch bietet. Die Subjektförderung durch Wohngeld käme die öffentliche Hand auch wesentlich teurer zu stehen. "Allein der Teil der Subjektförderung, der aus Bundesmitteln bestritten wird, übersteigt die Ansätze für die Wohnraumförderung um ein Vielfaches", stellt der Mieterbund fest.

Die Politik, die Breyer nun vorschlägt, wird bereits seit den 1990er Jahren verfolgt: Die Ausgaben für Wohngeld stiegen stark an, während die Wohnbauförderung ebenso deutlich zurückging. "Niemand wird ernsthaft behaupten, dass in dieser Zeit eine Entspannung auf den Wohnungsmärkten erzielt wurde", bemerkt Gaßmann süffisant und fügt hinzu: "Wir begrüßen, dass das Land und die Kommunen am Konzept der sozialen Wohnraumförderung festhalten."


Info:

Am 21. September lädt die Bundesregierung zum Wohnungsgipfel. Der Verein LobbyControl ruft dazu auf, der Immobilienlobby nicht das Feld zu überlassen. <link https: www.lobbycontrol.de wohnen-aktion external-link-new-window>Hier geht es zur Online-Petition.


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3 Kommentare verfügbar

  • Manfred Fröhlich
    am 15.09.2018
    Antworten
    Der sogenannte soziale Wohnungsbau in Deutschland hat nur einen Fehler: Die gebauten Sozialwohnungen verlieren i.d.R. nach 10 Jahren ihren Status als Sozialwohnung. Wenn dieser Kardinalfehler behoben würde, dann hätten wir "Wiener Verhältnisse". - Wünschenswert wären dann auch noch "Wiener…
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