KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Die Russen kommen! Oder?

Die Russen kommen! Oder?
|

Datum:

Es geht gegen Putin, und da machen die meisten deutschen Medien mobil. Doch das ist zu einseitig. Der neue Kalte Krieg hat begonnen, meint unser Autor, und Deutschland war von Anfang an dabei.

Der neue Kalte Krieg hat im Geheimen vielleicht schon vor dem Jahr 2014 begonnen, aber mit der Ukraine- und der Krimkrise wird er sozusagen öffentlich. Von nun an wird Russland von westlichen Regierungen, von der Nato und von großen Teilen der deutschen Medien als Hauptschuldiger gebrandmarkt, vom G-8-Gipfel ausgeschlossen, der nun wieder G-7 heißt, und danach und bis heute mit immer weiteren Sanktionen belegt.

Russland ist vom europäischen Partner zum Feind geworden und bekommt durch Personalisierung ein sofort erkennbares Feindgesicht: Das von Wladimir Putin. Hier aber soll nicht darüber berichtet werden, was dieser Putin alles anrichtet beziehungsweise was in Russland alles schief läuft. Das machen andere schon zur Genüge. Hier soll es vielmehr darum gehen, dass viele dieser anderen, sowohl in der Politik als auch in den Medien, sehr einseitig Schuld zuweisen. Dass sie sich zwar äußerst kritisch mit Russland auseinandersetzen, aber zum Beispiel kaum mit der von einem Oligarchen regierten Ukraine – im Transparency-International-Korruptionsindex ziemlich gleichauf mit Russland – oder mit einem anderen Verbündeten des Westens wie Saudi-Arabien, das die Scharia praktiziert, global Islamisten unterstützt und im Jemen Krieg führt.

Aber ist diese Kritik nicht ihrerseits überzogen, ist sie vielleicht zurückzuführen auf ein subjektives und somit leicht zu widerlegendes Empfinden? Nun, der Programmbeirat der ARD hat 2014 in Sachen Ukraine-Berichterstattung ebenfalls den "Eindruck der Voreingenommenheit" festgehalten, sie sei "einseitig", "fragmentarisch", "mangelhaft" und "tendenziell gegen Russland und die russischen Positionen" gerichtet. Insbesondere gerügt wurden die "Weltspiegel"-Ausgaben des Bayerischen Rundfunks mit ihrer "einseitigen, fast schon an die Sprache des Kalten Krieges gemahnenden Moderation". Auch was die Nato, den Majdan-Rat oder das Assoziierungsabkommen mit der EU betrifft, das Präsident Janukowytsch verschieben wollte, schreibt der Programmbeirat, es habe dazu keine differenzierenden Berichte gegeben. Dass dieses Abkommen nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine militärische Anbindung der Ukraine an den Westen beinhaltet, wurde und wird den Zuschauern und Lesern also meist vorenthalten.

Die Nato wollte sich doch nicht nach Osten ausdehnen

War nicht schon die Nato-Osterweiterung geschichtsvergessen? Wurde Michail Gorbatschow bei der von ihm ermöglichten deutschen Wiedervereinigung nicht versichert, dass sich das Militärbündnis "keinen Zentimeter nach Osten" bewegen würde? Könnte man nicht, nachdem 2016 in den neuen Nato-Mitgliedsstaaten Polen und Rumänien Raketensysteme installiert wurden (vom Westen als nur zur Abwehr tauglich, von Russland als angriffsfähig bezeichnet), russische Vorbehalte gegen eine militärische Assoziierung der Ukraine nachvollziehen? Sollte man sich mal wieder eine Karte anschauen und von der geografischen auf die politische und militärische Situation schließen? Und sollte man sich nicht erst mal im eigenen Lager umschauen, bevor man mit dem Finger auf andere zeigt? Als die Sowjetunion 1962 Raketen auf Kuba stationieren wollte, fühlten sich die USA bedroht und es kam beinahe zum Weltkrieg.

Kleiner Exkurs 1: Russland hat im Jahr 2017, so das Internationale Institut für strategische Studien, 61,2 Milliarden Dollar für Rüstung ausgegeben, es liegt damit auf Platz vier der Liste. Auf Platz 1 stehen die USA, die 602,8 Milliarden Dollar ausgeben haben, also fast zehnmal so viel wie der Feind Russland, das übrigens noch hinter Saudi-Arabien (76,7 Milliarden Dollar) firmiert.

Sogar der deutsche Ex-General Klaus Reinhardt, der die KFOR-Truppen im Kosovo befehligte, hat den Ausschluss Russlands vom G-7-Treffen damals kritisiert ("Damit vergibt man sich die Möglichkeit, auf der höchsten Ebene mit Putin zu reden und zu verhandeln."), genauso wie Harald Kujat, Ex-Generalinspekteur der Bundeswehr, der von einem Versagen der Nato in der Ukraine spricht und nachvollziehen kann, dass Russland sich eingekreist fühlt. Warum werden solche Positionen ignoriert, marginalisiert oder als blanker Unsinn bezeichnet?

Was könnte dahinter stecken? Nun, in einer Ausgabe der ZDF-Sendung "Die Anstalt" von 2014 deckt eine Schautafel auf, in welchen und in wie vielen transatlantischen Aufrüstungs-Lobby-Bündnissen Journalisten wie Stefan Kornelius von der "Süddeutschen Zeitung" oder Josef Joffe von der "Zeit" tätig sind. "Aber dann sind ja alle diese Zeitungen nur so etwas wie Lokal-Ausgaben der NATO-Pressestelle," stellt Claus von Wagner fest. Dietrich Krauß, der für "Die Anstalt" schreibt, hat <link https: www.kontextwochenzeitung.de medien mal-nato-hure-mal-putin-pudel-3331.html _blank internal-link-new-window>in einem Kontext-Interview über den "Zeit"-Redakteur Jochen Bittner gesagt: "Wenn Bittner erst an einem Papier eines transatlantischen Thinktanks mitarbeitet, das einen Strategiewechsel in der Außenpolitik fordert; wenn dieses Papier dann in die wichtige Rede von Bundespräsident Gauck auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 zur neuen Verantwortung Deutschlands einfließt und derselbe Redakteur danach in der ‘Zeit’ durchaus wohlwollend über diese Rede schreibt, dann ist das, finden wir, ein merkwürdiges Rollenverständnis von Journalismus." Bittner und Joffe haben gegen diese Sendung geklagt, der BGH hat die Klage 2017 abgewiesen.

Schon Kohl hat vor der Isolation Russlands gewarnt

Auch der Ex-Kanzler Helmut Kohl hat die Isolation Russlands durch den Westen kritisiert, die Ausladung des Landes beim Treffen der Industrienationen als "einschneidend" und "bedrückend" bezeichnet. Der Ex-Kanzler Helmut Schmidt hat Kohl beigepflichtet, für "eine stabile europäische Sicherheitsordnung" sei die Einbeziehung Russlands notwendig, der Versuch der EU-Kommission, die Ukraine anzugliedern, sei falsch, er halte auch "nichts davon, einen dritten Weltkrieg herbeizureden, erst recht nicht von Forderungen nach mehr Geld für Rüstung der Nato. Aber die Gefahr, dass sich die Situation verschärft wie im August 1914, wächst von Tag zu Tag."

Dass Ex-Kanzler Gerhard Schröder eine andere Russland-Politik fordert, überrascht nicht. Dass aber 60 weitere Personen - darunter Antje Vollmer, Erhard Eppler, Roman Herzog, Hans-Jochen-Vogel, Reinhard Mey, Manfred Stolpe, Mario Adorf, Wim Wenders, Otto Schily, Margot Käßmann, Burkhard Hirsch, Herta Däubler-Gmelin und Lothar de Maiziere – 2014 den Appell "Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!" unterzeichnet haben, müsste eigentlich aufhorchen lassen. Darin werden auch die Medien ("Leitartikler und Kommentatoren dämonisieren ganze Völker...") aufgerufen, ihrer Pflicht zur vorurteilslosen Berichterstattung nachzukommen. Der Appell wurde, so kritisiert Stefan Niggemeier in seinem Blog, von ARD und ZDF zunächst völlig ignoriert.

Wären die rechten Lügenpresse-Schreier vielleicht nicht ganz so laut, wenn der seriöse Journalismus ein bisschen seriöser wäre, wenn er es ihnen also nicht ganz so leicht machte? Denn bis heute hat sich beim propagandistischen Russland-Bashing (und Ukraine-Loben) ja wenig geändert. Ausgewogenere Beiträge sind selten, in den öffentlich-rechtlichen TV-Nachrichten wird weiter einseitig selektiert, genauso wie in Aufmachern, Leitartikeln und Kommentaren der Printmedien. In den "Heute"-Nachrichten etwa darf der britische Außenminister Boris Johnson in Sachen Giftanschlag einen Verdacht als Tatsache ausgeben und Richtung Osten drohen, und dies - dabei auf einer Militärkarte Objekte hin- und herschiebend – im Museum der Luftschlacht um England! Auch in der "Stuttgarter Zeitung", die sich nach einer Fusion nur unwesentlich von den "Stuttgarter Nachrichten" unterscheidet, braucht der leitartikelnde Markus Grabitz keinen Beweis, um den Westen in Stellung zu bringen: "Dass die USA und die EU sich mit dem engen Nato-Bündnispartner Großbritannien in dieser schwierigen Lage solidarisch zeigen, ist nur eine Selbstverständlichkeit."

In der StZ, um weiter regional zu bleiben, hat es Knut Krohn 2014 sogar fertig gebracht, Stéphane Hessels Aufruf "Empört euch!", in welchem der Autor Finanzkapitalismus, Sozialabbau oder Pressekonzentration kritisiert, gegen Russland aufzufahren. "Diese Liste der hingenommenen Unsäglichkeiten lässt sich aktuell um die Ukraine-Krise verlängern", so schreibt der StZ-Redakteur in infamer Anmaßung und erinnert an "jene Menschen, die unter wohlwollender Beobachtung des Westens auf dem Maidan mit der Europa-Flagge in der Hand für Demokratie und Freiheit gekämpft haben. Viele sind bei den Protesten in Kiew auf dem Maidan für diese fundamentalen Rechte gestorben." Dieses Ukraine- und Krimkrise auslösende Maidan-Massaker hat Ivan Katchanovski von der Universität Ottawa untersucht, in seinem 2018 publizierten Resümee weist er die Schuld "Oligarchen-Parteien" und extrem rechten Gruppen zu, etwa der später an der Regierung beteiligten Svoboda-Partei. Der Wissenschaftler kommt zu dem Schluss: "Diese Massentötungen wurden von den Medien und den Regierungen der Ukraine und des Westens falsch dargestellt."

Russland-Bashing in den Stuttgarter Blättern

Kleiner Exkurs 2: Amnesty International schreibt in seinem Ukraine-Bericht 2017: "Der UN-Unterausschuss zur Verhütung von Folter brach seinen Besuch in der Ukraine am 25. Mai 2016 vorzeitig ab, nachdem der Inlandsgeheimdienst der Ukraine (Sluschba bespeky Ukrajiny - SBU) ihm den Zugang zu einigen seiner Einrichtungen in der Ostukraine verweigert hatte. Berichten zufolge werden dort Gefangene in geheimer Haft gehalten, gefoltert und anderweitig misshandelt." Und weiter: "Medien, deren Ausrichtung als pro-russisch oder pro-separatistisch wahrgenommen wurde oder die sich besonders kritisch über die Behörden äußerten, wurden unter Druck gesetzt, u. a. indem man ihnen mit dem Entzug der Zulassung oder mit physischer Gewalt drohte." Anfügen könnte man, dass Präsident Poroschenko, der sich nach der Wahl nicht, wie versprochen, von seinen Unternehmen trennte und zudem in den Panama-Papers als Briefkastenfirmen-Betreiber auftaucht, dass also dieser Poroschenko über eigene TV-Sender verfügt, zum Beispiel über den Kanal 5.

Noch einmal zurück zur "Stuttgarter Zeitung", in welcher der Kolumnist Götz Aly am 26. Februar 2018 aus der russlandfeindlichen Syrien-Berichterstattung ausschert: "Von Saudi-Arabien und der Türkei massiv gefördert, haben sich seit 2013 in Ost-Ghuta islamistische Gotteskrieger eingenistet. Von dort beschossen diese immer wieder die syrische Hauptstadt mit Granaten, verbreiteten mit Bombenattentaten Terror und Tod unter der Zivilbevölkerung von Damaskus... Die von Russland – nicht von den USA oder Deutschland! – im September 2017 für Ost-Ghuta ausgehandelte Waffen- und Verhandlungsruhe wurde von den Führern der islamistischen Freikorps, Bombenleger und Heckenschützen bislang beharrlich missachtet... Zu all dem schweigen die meisten deutschen Journalisten und Politiker." Einen Tag später versucht der StZ-Redakteur Dieter Fuchs den "Ausrutscher" in seinem Seite-3-Kommentar wiedergutzumachen. Er wirft Russland, so als müsse er sich mit Götz Aly gar nicht erst auseinandersetzen, "schnellen Völkermord" vor, also das schlimmste aller Verbrechen, und schließt mit einer Forderung: "Wenn dieses Lügen und Morden bei den UN keine Konsequenzen hat, ist es Zeit, sie aufzulösen." Die UNO auflösen!? Doch, so steht es tatsächlich da. Wie gesagt, der neue Kalte Krieg hat begonnen, und Deutschland kann später, wenn er vielleicht schon heiß geworden ist, stolz sagen: Wir sind von Anfang an dabei gewesen.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


22 Kommentare verfügbar

  • Andreas Hildebrandt
    am 02.04.2018
    Antworten
    Ich begreife viele nicht,vorallem unsere Politiker.Es hat sich militärisch nichts verändert seit 1990.wir können die Erde bei Einsatz von Atomwaffen vernichten.Deutschland ist in Sekunden in Asche gelegt,begreifen diese Idioten das nicht.
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!