Richtig. Trotzdem geht der Einwand am Problem vorbei. Das besteht darin, dass unser Wähler beim Thema Koalition nichts zu sagen hat. Abhilfe schaffen könnte hier leicht eine Reform des Wahlrechts, welche die eine Zweitstimme ersetzt durch – sagen wir – fünf. Damit könnten die WahlbürgerInnen ihrem politischen Willen und ihren strategischen Überlegungen sehr präzisen Ausdruck verleihen: zum Beispiel das ganze Stimmenpaket der SPD anvertrauen; als Freund von Jamaika einen Mix anrühren aus CDU (zum Beispiel zwei), Grünen (zwei) und FDP (eine); als Merkel-geneigte Befürworter einer GroKo der Union drei Stimmen gönnen und der SPD zwei. Und ein Zeitgenosse, der vom Wahl-o-Mat bestätigt bekommt, dass bei ihm Linke, SPD und Grüne weit voraus, aber nahezu Kopf an Kopf rangieren, muss seine Stimme nicht einer einzigen Partei geben und die beiden anderen leer ausgehen lassen. Eine anders tickende Wählerin ist sauer auf den Politikbetrieb, will aber keinesfalls durch bloßes Daheimbleiben ein nur sehr ungenaues Signal der Unzufriedenheit versenden – also vergibt sie beispielsweise nur zwei Stimmen und behält die restlichen drei ein. Auf so simple Weise würde der Souverän die Rolle los, in die ihn das heutige Wahlrecht nötigt: die eines Hundertprozentigen, eines Stammwählers, der er für gewöhnlich gar nicht (mehr) ist. Ein willkommener Nebeneffekt: Das Interesse an Parteien, Programmen und ihren Unterschieden könnte wieder zunehmen.
Beim Eisbecher klappt's ja auch
Mit diesen zusätzlichen Optionen wären einerseits die politischen Präferenzen genauer zu benennen. Und die WählerInnen dürften nicht zuletzt das tun, was die Parteien offenbar als ihr ureigenstes Privileg betrachten: Koalitionen basteln. Jahrzehntelang gab es in den Anfängen der Bonner Republik ein Drei-Parteien-System aus Union, SPD und FDP, da fanden sich Mehrheiten quasi von selbst. Tempi passati. Nach sieben Jahrzehnten Bundesrepublik hat sich die parteipolitische Landschaft zu sehr ausdifferenziert, als dass das Wahlrecht aus der Gründungsphase noch taugt – jedenfalls aus Perspektive und Interessenlage des Wahlvolks. Parlamente von heute sind bunt.
Wenn Frauke Petry demnächst ihre eigene Partei gründet, sitzen derer ganze acht im Deutschen Bundestag. Unter solchen Umständen ist eine einzelne Zweitstimme total antiquiert, die Wirklichkeit ist dem bewährten Modell von einst davongelaufen, und der so oft beschworene wachsende Anspruch der BürgerInnen auf mehr Mitsprache und Teilhabe bleibt hinter dem Möglichen und Wünschenswerten weit zurück. Dem überzeugten Demokraten, der weiß, dass es Demokratie ohne Parteien und Wahlen nicht gibt, ist seine Zweitstimme lieb und teuer; in Zeiten wie diesen will und braucht er mehr davon.
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Falko S
am 15.10.2017