Am Anfang der Proteste steht immer der unmittelbare Versuch, Altes und Vertrautes zu bewahren. Bürgerliche Protestbewegungen, insbesondere gegen technische Großprojekte, sind also in ihrem Anfang konservativ. Bereits die erste große Bürgerbewegung gegen ein technisches Großprojekt in Deutschland, das Wasserkraftwerk bei Laufenburg am Oberrhein, wollte vor allem die landschaftliche Umwelt der Anwohner erhalten. Die Winzer und Bauern, die den Protest gegen das Atomkraftwerk in Wyhl begannen und damit eine erfolgreiche Kampagne initiierten, wollten ebenfalls ihre Landschaft und ihre Arbeitsweise bewahren. Nicht anders die Protestbewegung gegen Stuttgart 21: Motivierend war der Erhalt eines Ortes, der städtische Identität stiftet, der Hauptbahnhof und der Schlossgarten. Das ist durchaus legitim. Allerdings ist keineswegs ausgemacht, wohin die Entwicklung geht, und die Geschichte zeigt, dass sich Konservatismus nicht selten in Rechtsextremismus verwandelt.
Eindringliche Beispiele dafür liefert die Protestbewegung gegen den Bau des Wasserkraftwerks am Oberrhein bei Laufenburg. Den Anstoß bildete die Empörung der Anwohner gegen die geplante Zerstörung der Stromschnellen des Rheins. Dieses "Naturdenkmal" sollte zum Zweck der Elektrizitätsgewinnung verschwinden. Schon vor 1904 organisierten lokale Akteure erste "Volksversammlungen", problematisierten nicht nur die Zerstörung der Natur, sondern stellten auch Eigentumsverhältnisse, "Geldverschwendung" und das Vorgehen internationaler Konzerne – etwa der AEG oder der Dresdner Bank – infrage. Neben den regionalen Protesten, deren schillerndste Figur der Reformpädagoge Alfred Klingele war, engagierte sich bald der 1904 in Dresden gegründete und deutschlandweit organisierte "Deutsche Bund Heimatschutz" gegen die Baupläne des Wasserkraftwerks. Geschützt werden sollte die "Heimat" vor den Folgen der Industrialisierung, etwa vor Baumrodungen für Industrieanlagen und Reklametafeln an Bahnhöfen, vor Luftverschmutzung und Flussbegradigungen oder vor dem Abriss von Denkmälern und Ruinen.
Der Bund bestand vor allem aus bürgerlichen Intellektuellen: Akademikern, Künstlern und Beamten. Den Vorsitz hatte der Maler und Architekt Paul Schulze-Naumburg. Ein überregionaler "Aufruf zur Erhaltung der Laufenburger Stromschnellen" wurde im Jahr 1905 etwa von dem Ökonomen Werner Sombart, dem Theologen Ernst Troeltsch und dem Soziologen Max Weber unterschrieben.
Enttäuschung und Fatalismus kann Boden für Extremismus bereiten
Trotz massiver lokaler Proteste, landesweiter Petitionen und Kampagnen wurde 1906 die offizielle Erlaubnis zum Bau des Kraftwerks erteilt – nicht ohne die Bürger zu beteiligen, nämlich an der ästhetischen Gestaltung des Wasserkraftwerks. Die Enttäuschung und Verbitterung war groß. "Von all dem, was ich seit langen Jahren an landschaftlichen und historischen Schönheiten schützen wollte, ist es mir bei keinem einzigen Fall gelungen", schrieb der Maler Hans Thoma 1906 an den Tübinger Heimatschützer Professor Carl Johannes Fuchs. Die Gründung des deutschen "Heimatschutzes" hatte mit einer kompletten Niederlage gegenüber dem Industriekapitalismus begonnen. Und so machte sich ein bestimmter Fatalismus breit, der immer einen Boden für Extremismus bereiten kann.
11 Kommentare verfügbar
kornelia
am 15.03.2016Ist es nicht toll, wie gut Propaganda wirkt?
Das "72 Jungfrauenmodell" nenn ich das spötisch, denn auch und gerade sogenannte Gebildete scheinen auf PR reinzufallen und dann über…