Das kam nach eigenen Angaben gut an. "Viele Bundesbürger unterschrieben gestern die Petition, machten damit deutlich: Wir wollen keine russischen Panzer, keine martialischen Kriegs-Symbole mehr am Ehrenmal mitten in Berlin. Beim Petitionsausschuss des Bundestags gingen in wenigen Stunden Hunderte Unterstützer-Faxe ein", vermeldete "Bild" am Folgetag. Als prominente Unterstützer der Petition präsentierte das Blatt unter anderen den Modedesigner Wolfgang Joop und Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU). "Bild" zitierte auch weniger prominente Mitpetenten wie etwa Yvonne (37) und Franco Lechner (35) aus Weilheim an der Teck (Baden-Württemberg): "Wir haben sofort unterschrieben, weil Gedenken mit Panzern das völlig falsche Signal ist."
Offizielle Stellen reagierten zurückhaltender. "Die Bundesregierung respektiert diese besondere Form des Gedenkens an die aufseiten der Roten Armee Gefallenen des Zweiten Weltkrieges", distanzierte sich ein Regierungssprecher vom Aufruf von "Bild" und "B. Z." Ähnlich zurückhaltend äußerte sich die Berliner Senatsverwaltung: "Die Petition verkennt den historischen Hintergrund", hieß es auf eine Anfrage der Deutschen Welle.
Medien: Kampagne schürt antirussische Ressentiments
Ein negatives Echo erntete die Aktion auch in den Medien. "Der Appell hat einen kleinen Schönheitsfehler. Der Brief fordert den Bundestag nämlich zu einem Verstoß gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag auf", belehrte der Berliner "Tagesspiegel" die Kollegen, wonach die auf deutschem Boden errichteten Denkmäler, die den Opfern des Krieges und der Gewaltherrschaft gewidmet sind, unter dem Schutz deutscher Gesetze stehen. Kritik sendete auch die "Deutsche Welle": "Die Initiative der größten deutschen Boulevard-Zeitung leistet nicht nur keinen Beitrag für eine Stabilisierung der Lage in der Ukraine und eine politische Lösung der Krise. Vielmehr gießt sie Öl ins Feuer: In Deutschland bedient sie alte antirussische Ressentiments und in Russland wird sie als willkommenes Geschenk die antiwestliche Kreml-Propaganda beflügeln", kommentierte der Sender. Und die taz rügte: "Es war der 'Bild'-Zeitung vorbehalten, die antirussischen Ressentiments der Deutschen in eine griffige Forderung zu bündeln." Und: "Diese Schlagzeile markiert eine Rückbesinnung auf den Kalten Krieg, wie es sie seit fast 25 Jahren nicht mehr gegeben hat."
Zurück zur von Kontext unterstützten Petition "Prellbock für Pofalla & Co.". Auch an ihr gab es im Laufe der Zeichnungsfrist Kritik, wenn auch nur vereinzelt. Zuletzt in der vorigen Kontext-Ausgabe, genauer gesagt in der Kommentarspalte eines Berichts zur Unterstützungskampagne Stuttgarter Medien für den abstiegsbedrohten Bundesligisten VfB Stuttgart. Bei der Trennung von Journalismus und PR müsse sich die Kontext-Redaktion an die eigene Nase fassen, kommentierte Leser Dominik: "Kontext hat zwei Petitionen verfasst und versucht Anhänger zu mobilisieren. Dabei wurde ebenfalls die journalistische Unabhängigkeit aufgegeben", kritisiert er.
Harter Vorwurf entbehrt jeglicher Grundlage
Kontext arbeitet also journalistisch abhängig, vermischt Journalismus mit Public Relations? Das sind harte Vorwürfe, die nicht ohne Entgegnung bleiben können. Dem Widerspruch vorauszuschicken ist am besten eine Definition. Nach allgemeinem Verständnis arbeiten Journalisten und Redaktionen nicht mehr unabhängig, sobald sie unter dem Einfluss wirtschaftlicher Unternehmen oder politischer Institutionen stehen. Die Einflussnahme kann etwa durch materielle Zuwendungen geschehen, für die bestimmte Gegenleistungen auf redaktioneller Art erwartet werden. Der Vorwurf von Leser Dominik impliziert dies, freilich ohne Näheres zu nennen.
Wer könnte Interesse haben, auf Redaktion und redaktionelle Inhalte von Kontext einzuwirken? Die CDU vielleicht, für die Ronald Pofalla derzeit noch im Bundestag sitzt? Wohl kaum! Oder der Staatskonzern Deutsche Bahn AG und dessen Manager in Vorstand und Aufsichtsrat? Auch wohl kaum, da sich die Petition gerade gegen deren Ignoranz gegenüber den unternehmenseigenen Ethik-Richtlinien richtet! Wer denn dann?
Zugegeben: In der heutigen hochtechnisierten, vernetzten und globalisierten Welt gibt es Einflussnahmen nicht nur durch materielle Zuwendungen oder gar dreiste Bestechung. Werbung und Lobbyismus erreichen ihr Ziel meist auf sehr subtile Art und Weise. Das fängt schon ganz früh an: Menschen werden von Geburt an sozialisiert und geprägt. Dem können sich auch Journalisten kaum entziehen, da auch sie wie alle anderen im hiesigen Sozial- und Gesellschaftssystem aufwachsen und leben. Auch besitzt diese Berufsgruppe gängige Werte ideeller wie materieller Art. Beispielsweise ein Aktiendepot, das im Zuge der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise massiv an Wert verlor. Dessen ungeachtet müssen die Berichterstatter dennoch objektiv über Bankenskandale und Geldgier berichten. Oder das neueste Smartphone, über das ein redaktioneller Testbericht ansteht. Auch fahren Journalisten mit der Eisenbahn und ärgern sich wie alle anderen Kunden auch über Zugausfälle und Verspätungen. Gefragt ist dennoch ein neutraler Bericht, wenn der Bahnvorstand die Jahresbilanz vorlegt.
Grundgesetz schützt Meinungsfreiheit auch von Journalisten
Die Beispiele zeigen, dass unabhängiger Journalismus ein Idealzustand ist, der allen möglichen Einflüssen, auch den subjektiven Sympathien und Antipathien des Journalisten selbst, widerstehen muss. Das zu schaffen ist die hohe Kunst des Berufs.
Dennoch sollen Journalisten nicht nur objektiv informieren. Sie dürfen auch eine Meinung zum Faktischen und Thematischen haben, schließlich gilt die Meinungsfreiheit auch für sie: Meinungsbeiträge in den Medien sind durch Artikel 5 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland ausdrücklich geschützt. Nicht von ungefähr gibt es die journalistischen Stilformen des Kommentars oder Leitartikels, der Kolumne und der Glosse. Darin verarbeitet ein Autor unter namentlicher Kennzeichnung seinen Meinungsbeitrag. Das unterscheidet den Journalismus von Public Relations, die in erster Linie der (werblichen) Kommunikation eines Unternehmens oder einer Institution dient. Meinung hat deshalb aus gutem Grund ihren Platz in den Medien. Alles andere wäre Diktatur, in der Meinungen unterdrückt sind.
9 Kommentare verfügbar
Tillupp
am 28.04.2014