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Gastspiel beim S-21-Geologen

Gastspiel beim S-21-Geologen
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Das Tiefbahnhofprojekt Stuttgart 21 ist bis heute nur in Teilen genehmigt. Ob die Deutsche Bahn den Tunnelbahnhof zu Ende bauen darf, entscheidet das Eisenbahnbundesamt (EBA). An der Neutralität der Behörde tauchen nun Zweifel auf: Ein hochrangiger Beamter tritt als Redner beim Chefgeologen des Milliardenprojekts auf, während er zeitgleich wichtige Bauanträge des Gastgebers prüft.

Bis zum Vortrag ist es zwar noch eine Weile hin. Für rechtzeitige Voranmeldung bedankt sich der Veranstalter aber schon heute. Mit Andrang ist zu rechnen, wenn im kommenden November Jens Böhlke im "WBI-Forum Forschung und Praxis" in Weinheim auftritt, um über die "Umsetzung von EU-Regelungen im Bereich der Eisenbahninfrastruktur" zu referieren. Denn Doktoringenieur Böhlke ist in Bahnkreisen kein Nobody, sondern als Leiter der Abteilung 2 (Infrastruktur) des Bonner Eisenbahnbundesamts eine herausragende Persönlichkeit: Über den Tisch von Böhlke gehen alle Pläne von Schienenbauprojekten in Deutschland. Er verkörpert die Fachinstanz, die entscheidet, ob Bahnhöfe, Bahnbrücken und Bahntunnels hierzulande gebaut werden.

Böhlke hält seinen Forumsvortrag vor einem besonders interessierten Publikum. Gastgeber des Abteilungspräsidenten ist kein Geringerer als Walter Wittke. Der Professor gilt inzwischen als Haus- und Hofgeologe der Deutschen Bahn AG (DB). Sein familiengeführtes Unternehmen Wittke Beratende Ingenieure für Grundbau und Felsbau (WBI), im Jahr 1980 in Aachen gegründet, wurde groß durch Aufträge der Deutschen Bahn. "Unsere Arbeit wurde von Beginn an durch den Tunnelbau im Stadtgebiet von Stuttgart bestimmt", so Wittkes Eigendarstellung im Internet. Aktuell ist das Ingenieurbüro auch Auftragnehmer beim Milliardenprojekt Stuttgart 21.

Auf unterschiedlichen Seiten tätig

Beim Weinheimer WBI-Forum treffen somit zwei Experten aufeinander, die im beruflichen Leben auf verschiedenen Seiten mit diffizilen Interessenlagen arbeiten: EBA-Vortragsredner Böhlke entscheidet, ob sein Gastgeber Wittke als DB-Gutachter und Planer beim komplizierten Tiefbahnhofbau im Herzen der baden-württembergischen Landeshauptstadt richtig liegt.

Mit dem Böhlke-Vortrag drängt sich die Frage nach der Unabhängigkeit des Eisenbahnbundesamts auf, das als zuständige Bundesbehörde das größte Infrastrukturvorhaben der Republik überwacht. Das Gastspiel des EBA-Spitzenbeamten bei einem Planungsbüro der Bauherrin berührt auch juristische Aspekte. "Ein Vortragsredner übt eine Nebentätigkeit aus, und dafür braucht er die Genehmigung seines Arbeitgebers", verweist Gisela Rüß, Vorstandsmitglied von Transparancy International, auf das Beamtenstatusgesetz. "Eine Nebentätigkeit ist grundsätzlich anzeigepflichtig. Sie ist unter Erlaubnis- oder Verbotsvorbehalt zu stellen, soweit sie geeignet ist, dienstliche Interessen zu beeinträchtigen", heißt es wortwörtlich in Paragraf 40 des Gesetzes. Die Vorgabe soll Begünstigung wie Korruption in Behördenstuben vorbeugen."Es darf durch die Nebentätigkeit auf keinen Fall nur den Anschein haben, dass es einen Interessenkonflikt gibt. Jeder Beamte sollte bei diesem Thema sehr vorsichtig sein", betont Gisela Rüß, die von 2005 bis 2009 Antikorruptionsbeauftragte und Leiterin des Arbeitsstabs Korruptionsprävention in Brandenburg war. 

EBA sieht Vortragstätigkeit als "Informationsaustausch"

Böhlkes Arbeitgeber hat mit dessen Gastvortrag dagegen keine Probleme. Der technische Fortschritt im Eisenbahnwesen verlange nach einem stetigen Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten, teilt die Behörde auf Kontext-Anfrage in einer ausführlichen Stellungnahme mit. "Der Eisenbahnaufsicht ist es darum in mehrfacher Hinsicht ein Anliegen, diesen Informationsfluss zu fördern", so EBA-Sprecher Moritz Huckebrink. "Ein reger Gedankenaustausch befördert nicht zuletzt auch das Verständnis für das behördliche Handeln. Darum stellt sich das EBA – mitunter auch vertreten durch seine hochrangigen Beamten – dem öffentlichen Diskurs und erläutert die rechtlichen Rahmenbedingungen seiner Entscheidungspraxis", so der Sprecher weiter.

Das EBA wertet den Gastauftritt seines Spitzenbeamten in Wittkes Ingenieurbüro auch nicht als Nebentätigkeit. "Schriftstellerische, wissenschaftliche, künstlerische oder Vortragstätigkeiten sind nach § 100 Bundesbeamtengesetz (BBG) keine genehmigungspflichtigen Nebentätigkeiten", betont Sprecher Huckebrink. Bei dienstlichem Interesse seien diese sogar während der Arbeitszeit erlaubt.

Beim Gastspiel von Böhlke bei WBI spricht gerade alles für einen Interessenskonflikt: Aktuell steht beim Eisenbahnbundesamt ein wichtiger Planänderungsantrag beim Megaprojekt Stuttgart 21 zur Entscheidung an. Es geht um das Grundwassermanagement (GWM). Die Bahn will fast doppelt so viel Grundwasser wie bislang genehmigt während der mehrjährigen Bauphase abpumpen. Insgesamt sollen jetzt rund sechs Millionen Kubikmeter Wasser aufgefangen, gereinigt und anderer Stelle wieder infiltriert werden. Die alles entscheidende Annahme, dass es dabei im geologisch schwierigen Stuttgarter Untergrund zu keinen bösen Überraschungen wie Hangrutschungen, versiegenden Mineralwasserquellen oder verdurstenden Parkbäumen kommt, beruht auch auf Wittkes Arbeit. Der Bahngeologe hatte zuvor auch die (inzwischen überholte) Expertise mitgezeichnet, auf der die aktuelle GWM-Genehmigung fußt: nämlich dass die halbe Abpumpmenge reichen würde, die riesige Baugrube für den Bahnhofstrog trocken zu halten.

Trotz einer Fehlerquote von immerhin 100 Prozent beim geplanten S-21-Grundwassermanagement vertraut bereits mit dem Stuttgarter Regierungspräsidium (RP) eine wichtige Behörde weiter voll auf Wittkes Sachverstand. Im Auftrag des Eisenbahnbundesamts hatte das RP im vergangenen Sommer das Anhörungsverfahren zum GWM-Änderungsantrag durchgeführt. Wittke saß dabei als Sachverständiger für die Deutsche Bahn auf dem Anhörungspodium. "Nach sorgfältiger Prüfung ist das Regierungspräsidium zum Ergebnis gelangt, dass den von der Bahn beantragten Änderungen des Grundwassermanagements für das Projekt Stuttgart 21 keine unüberwindbaren Hindernisse entgegenstehen", so Regierungspräsident Johannes Schmalzl (FDP) im offiziellen Anhörungsbericht, der vor Kurzem ans EBA übermittelt wurde. Rund 10 000 Einwendungen von  Naturschutzorganisationen und Bürgern wurden von Schmalzls Behörde als unbegründet verworfen.

Mit dem positiven Bescheid aus Stuttgart steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch EBA-Abteilungspräsident Jens Böhlke den GWM-Änderungsantrag zustimmt. Alles andere wäre eine Katastrophe für Walter Wittke und seinen Auftraggeber Deutsche Bahn. Eine Ablehnung würde kostspielige Umplanungen erzwingen, die doch noch das Aus für das Prestigeprojekt bedeuten könnten. Dabei fehlen bereits jetzt zwei Milliarden Euro im Finanzierungstopf des Tiefbahnhofs.

Zurück zum WBI-Forum von Walter Wittke. Dort ist EBA-Abteilungschef Böhlke nicht der einzige Referent, der entscheidenden Anteil am Gelingen von Stuttgart 21 hat. Am 21. Mai ist auch Tanja Gönner, Vorstandssprecherin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), zu Gast in Weinheim. Die einstige baden-württembergische Umwelt- und Verkehrsministerin unter Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus (beide CDU) gilt als kompromisslose Verfechterin des Milliardenprojekts. "Hier wird mit Gürtel und Hosenträger gearbeitet, weil uns allen bewusst ist, dass wir mit wertvollen Gütern umgehen", lobte Gönner im Schlussplädoyer zur S-21-Schlichtung im Herbst 2010 die Arbeit ihres Gastgebers Wittke. Beim anstehenden Vortrag soll es aber nicht um Stuttgart 21 gehen. "Nachhaltige Rohstoffversorgung für Deutschland und die Rolle der internationalen Zusammenarbeit" ist der Vortrag der Ministerin a. D. betitelt. Um rechtzeitige Anmeldung wird gebeten.


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9 Kommentare verfügbar

  • Menne
    am 14.03.2014
    Antworten
    Filz und Vetterleswirtschaft haben weitere kreative und verharmlosende Namen bekommen! Von höchster Stelle als Gedanken- und Informationsaustausch bezeichnet, in dienstlichem Interesse und während der Arbeitszeit von hochrangigen Beamten! "Während der Arbeitszeit" heißt dabei nichts anderes, als…
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