Über eine Woche dauerte es, bis die ersten Zeitungen darüber schrieben, was der Rat der nach Kriegsende neu gegründeten Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), am 19. Oktober 1945 unterzeichnet hatte. "Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden" lautet der wohl am häufigsten zitierte Satz der von den EKD-Ratsmitgliedern Martin Niemöller, Otto Dibelius und Hans Christian Asmussen verfassten Erklärung. Mindestens ebenso wichtig erscheint die Feststellung, dass sich der EKD-Rat "mit unserem Volk nicht nur in einer großen Gemeinschaft der Leiden ..., sondern auch in einer Gemeinschaft der Schuld" wisse.
Um die öffentliche Verbreitung kümmerten sich die Verfasser und Unterzeichner indes wenig. "Weil sie Angst hatten, dass die Öffentlichkeit gleich über sie herfällt", so der ehemalige Stuttgarter Prälat Martin Klumpp. Was dann auch geschah. Heftige Empörung und Widerspruch aus Bevölkerung und Kirchenkreisen folgte, als der "Kieler Kurier" als erste Zeitung am 27. Oktober das Dokument aufgriff – und seinen Inhalt in der Schlagzeile auch gleich gehörig zuspitzte: "Evangelische Kirche bekennt Deutschlands Kriegsschuld." Das stand so nicht in der Erklärung, entsprach aber offenbar der ersten Assoziation vieler Deutscher in jener Zeit, die sich unter der Besatzung nicht als Täter, sondern als Opfer fühlten und, analog zum Ersten Weltkrieg, eine harte Siegerjustiz fürchteten.
Der eigenen Schuld wurden Kriegsverbrechen der Alliierten – ob reale oder erfundene – entgegengestellt. Eine Haltung, die sich etwa in der Reaktion des schleswig-holsteinischen Präses Wilhelm Halfmann widerspiegelt: "Die polnischen Greuel, die Frauenschändungen, ... die Vertreibung der Millionen – kurz der beispiellose Volksmord, der jetzt vor sich geht – ist der keine Schuld? Solange darüber verlegen verschwiegen wird, solange hat man drüben keine Vollmacht, von deutscher Schuld zu reden." Wie Halfmann distanzierten sich viele konservative evangelische Kirchenleute von der Erklärung als zu weit gehend. Von den 27 Landeskirchen stellten sich nur vier hinter die Erklärung.
Allerdings gab es auch Kritik daran, dass die Erklärung zu vage ausfiel. Stein des Anstoßes war etwa, dass weder die Shoah noch die Ursachen des Krieges benannt wurden. Durchaus kritisch sieht auch Martin Klumpp noch heute diesen Aspekt: "Aus historischer Sicht ist das Schuldbekenntnis brüchig und bescheiden, weil es die Vernichtung der Juden nicht nennt, nicht die Verfolgung der Sinti und Roma und der Homosexuellen. Es war nur ein allgemeines Schuldbekenntnis."
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Heinz Greiner
am 14.10.2015So zieht sich eine gerade Linie von der Kriegsunterstützung des von der deutschen Elite vom Zaun gebrochenen Ersten Weltkriegs zu Hitler und…