Katholische Umzüge und Prozessionen, kirchliche Aufmärsche und Abläufe, die bis auf den heutigen Tag besser funktionieren als bei jedem Militär (das sich manches von Rom abgeguckt hat): Heidegger ist damit aufgewachsen. Von Kindesbeinen an marschierte er bei irgendwelchen Prozessionen und Wallfahrten mit, trug eine der Fahnen, den Weihwasserkessel oder das Rauchfass, die Uniform des Ministranten, Seminaristen, Soldaten, Rektors, Festredners. Nach Konstanz kam er, um von kirchlichen Händen erzogen zu werden (ziemlich hart). Es ist erstaunlich, was dennoch aus ihm wurde, einmal in die Hände der katholischen Kirche gegeben und dazu noch einem sogenannten Landsmann, Konrad Gröber, der als Erzbischof von Freiburg mit Freisler freundliche Briefe wechselte und dem Schlächter seiner anbefohlenen Schafe Gottes Segen wünschte.
Groß im Kleinen, klein im Großen
In einer Zeit, die von "Sündigen" spricht und damit auch den zu hohen Kalorienverbrauch "Ich habe gesündigt, ich habe zuviel Schokolade gegessen" meint, liest sich der Feldweg sonderbar. Damals, als Heidegger ihn schrieb, hätte er – im Gründungsjahr der Bundesrepublik – als Aufruf zu Besinnung und Warnung vor einer globalen Zerstörung gelesen werden können. So könnte er auch heute gelesen werden. Aber Heidegger gilt weithin als, theologisch gesagt, unbußfertig. Man vermißt ein "Sündenbekenntnis". Seine Äußerungen werden als Rechtfertigungen gelesen. Ist am Ende auch der Feldweg ein Stück Rechthaberei, eine Auslassung? (...).
Feldweg – wo soll das sein?
Und dies in einer Zeit, "überflogen von Sternen, die Menschenwerk sind" (Celan). Das gewöhnliche Auge unterscheidet einen Sputnik von einem Stern nicht. "Heimat" in der Nähe, aus der Nähe des Feldweges, vom "Hofgartentor zum Ehnried" laufend?
Heimat, deine Sterne! Auch über den Feldweg ziehen jetzt Sputniks und andere hinaufgeschossene Sterne ihre Bahn.
Die Erinnerung ist so brüchig wie die "roh gezimmerten Eichenbank", auf der sie sich niederlässt. Vor wie vielen Jahrzehnten schwankte hier zum letzten Mal ein Erntewagen "heim" (vgl. Feldweg)? Die Eiche allerdings "grüßt" noch. Kommen Gäste aus Japan, dann zeigen sie mit dem Finger auf den Feldweg. Halb so schlimm, sie wissen ohnehin nicht, was ein Feldweg war. Wären sie ein paar Jahrzehnte früher gekommen, hätte sie Heidegger auf ihm herumgeführt, hinter seiner Nase her. Er hätte auf die "roh gezimmerte Bank" gezeigt, auf der "bisweilen die eine oder die andere Schrift der großen Denker" lag.
Doch Japaner haben oft kurze Beine. Der Feldweg ist, so gesehen, eine Lüge. Eine gut asphaltierte Wohnstraße, deren Anlieger anscheinend Angst vor der Bepflanzung ihrer kleinen Vorgärten haben heutzutag, kein Baum weit und breit. Und die Eiche am Feldweg mit der Bank, auf der jene Schriften lagen, die "eine junge Unbeholfenheit" einst zu entziffern versuchte, ist eine der letzten.
Auch der Feldweg gehört zu den Holzwegen. Nicht umsonst kehrt der Denker mitten auf dem Weg wieder um. Oder ist es der Umstand, dass ein Weitergehen schließlich nur in den traurigen Ort Bichtlingen geführt hätte? Ein Holzweg im guten Sinn. "Holz lautet ein alter Name für Wald", sagt Heidegger. Ein Holzweg sei ein Weg, der nirgendwohin führe und doch begangen sein müsse, um den Reichtum des Waldes zu bergen, sagt er.
Die Feldweg-Metaphorik scheint im Erntemonat 1989 hoffnungslos veraltet. Damals gab es wenigstens noch den "heimwärtsschwankenden Erntewagen" und das "Reisigbündel". "Zunachten" ist auch heute noch ein Begriff. Und Mostfässer sind sogar wieder Mode. Der Rest ist von jener "Technik", deren Gefahren Heidegger sah, vor denen er im Feldweg warnt, eingeholt und beseitigt. Archaische Bilder werden mit dem Atomzeitalter konfrontiert. Widerpart? Bilder, vor allem die Bilder der Erinnerung sind nicht alles. Die Eiche am Weg "grüßt" noch. Und auch noch ihre Warnung vor unmäßigem Wachsen gilt nach wie vor, mehr als je.
Das Reisigbündel gibt es nicht mehr, aber die "Riesenkräfte der Atomenergie", die gibt es noch. Und es gibt auch noch, wenn schon nicht mehr den "Feldweg", so doch seinen Zuspruch. Der Mensch soll auf ihn hören. Er soll nicht die Erde "untertan" machen, sie nicht ausbeuten, wie die Bibel will, sondern bewahren. Hier kommt der Feldweg auch im Erntemonat 1989 zur rechten Zeit. Ist er am Ende ein grüner Gedanke, aus dem Leben sprießt?
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P.Wenda
am 28.01.2022