In der Generaldirektion der württembergischen Bahnen war ein ehrgeiziger junger Baurat Mayer, der die Vorentwürfe gemacht hatte und den Bahnhof gerne selbst gebaut hätte. Ich wäre an die Aufgabe vielleicht nie gekommen, wenn sich nicht folgende Geschichte begeben hätte:
Die Stuttgarter Verwaltung schickte die Entwürfe einem berühmten Eisenbahngeheimrat nach Berlin, er möge über die Grundrissfrage ein Gutachten abgeben. Dies Gutachten kam mit sechs Forderungen, es wurde auch mir zugeschickt, und ich wurde zu einer Sitzung unter Präsident Stieler eingeladen, in welcher diese Fragen besprochen werden sollten. Ich fand, dass der Berliner recht hatte, und zeichnete in kleinem Maßstab einen neuen Grundriss auf, der sich etwa deckt mit dem heute ausgeführten. Diese Skizzen behielt ich in der Brusttasche und lauschte fast eine Stunde lang den Ausführungen Mayers, der alles besser wusste als der Berliner. Er hat mir später bei der Ausführung viel zu schaffen gemacht, ich war mit einem Satz noch nicht zu Ende, als er es schon besser wusste. Er erklärte, dies ginge nicht und sei Unsinn. Ich lauschte noch eine weitere Stunde der Debatte. Ich war ja nur als Gast eingeladen, und der Präsident wollte gerade die Sitzung aufheben, da fiel ihm noch ein, mich zu fragen: "Und was ist Ihre Meinung, Herr Professor?"
Es war mir sehr schwergefallen, so lange still zu sein, aber nun wurde ich belohnt. Ich sagte: "Fünf der Forderungen sind ausgezeichnet, sie ergeben einen guten Plan, die sechste ist ein Irrtum, sie ist nicht vereinbar mit den anderen", – dann zog ich meine bescheidenen Skizzen aus der Tasche. "Sehen Sie: Er fordert eine Haupteingangshalle, eine Vorortverkehrseingangshalle, dazwischen eine Ausgangshalle – natürlich müssen diese dann alle quer zur Front liegen –, alle anderen Dinge gehen hierbei spielend. Sein Irrtum ist nur, dass er Gepäckannahme und Gepäckausgabe symmetrisch zur Haupthalle beiderseits legen will, das geht offensichtlich nicht – und die Vereinigung von Gepäckannahme und -ausgabe zwischen Haupthalle und Ausgangshalle ist von klarem Vorteil." Alle machten lange Hälse, kamen nah heran, sogar Herr Mayer war still, und wir wurden aufgefordert, diesen Gedanken in einem Vorentwurf großen Maßstabes auszuarbeiten.
Mit dieser Grundrissumstellung kam der Turm an die heutige Stelle, gleichzeitig entstand die Arkade der Hauptfront – aber die Architektur wurde noch romantischer, es gab große Modelle und dann, Gott sei Dank, eine Pause und Abstand. [...]
Von der Notwendigkeit, härter und einfacher zu werden, war ich wohl überzeugt, aber wie dies den Beamten der Eisenbahndirektion klarmachen, die in den Konventionen, sagen wir Stil Hotel Marquardt, ergraut waren? Der Chef des Hochbaus war Oberbaudirektor Neuffer, der mich wie einen Sohn liebte. Schon zehn Jahre vorher hatte ich mit ihm zusammen die Wallstraßenbrücke in Ulm bearbeitet. Diesen betrübte ich nun am tiefsten. Als ich ihm die letzte Änderung des Turms vorlegte, das Weglassen des Tambours und das geradlinige Hinaufführen, da seufzte der liebe Mann tief auf: "'s wird immer wüschter, aber's paßt zum andre, meinetwege, machet Sie's." Meinen tröstlichen Zuspruch lehnte er ab.
Als mein Freund Hugo Wach einmal zu Besuch kam, sagte er: "Das hast du gut gemacht, aber viel mehr als den Bau bewundere ich, dass du es fertig gebracht hast, die Eisenbahner zur Zustimmung zu bringen."
Präsident Stieler hatte Vertrauen, aber ich merkte ihm immer an, wenn einer seiner alten Kollegen aus dem Reich bei ihm gewesen war und gesagt hatte: Was macht ihr denn da? Bei der nächsten Bausitzung konnte er seine Verdrießlichkeit nicht verbergen. Als aber der taube Fritz Stahl, der Kritiker des "Berliner Tagblatts", Verfasser guter Bücher über Paris und Rom, den Bahnhofsneubau entdeckt hatte, "endlich die Konventionen durchbrochen und Vorstoß in eine freie unbelastete Welt ...", da glänzte unser Präsident, und von da an war das Spiel gewonnen.
Später wurde viel darüber disputiert, ob ein Bahnhof einen monumentalen Rang überhaupt haben dürfe. Die Weißenhöfler prägten 1927 das Wort: "Dieser Bau erstickt seine Funktion in wilhelminischem Bombast." Ein Bahnhof sei eine primitiv technische Angelegenheit. Heute würde man einen Bahnhof auch viel einfacher bauen. Aber damals waren alle Beteiligten sich darüber einig, dass dieser Bau, der mehr bedeutet als früher ein Stadttor, mehr als alle Tore einer Stadt zusammen, der wirklich der Nabel des Landes und im Stadtorganismus ein wichtiges Glied ist, wohl einen höheren Rang und Ausdruck verdiene. [...]
Wir haben zunächst viel geplant, aber wenig gebaut. Der wesentliche Inhalt bis 1922 war die Fertigstellung der ersten Bahnhofhälfte, die sehr langsam vor sich ging. Die Nachkriegsarmut gab auch hier viele Schwierigkeiten. Der Stahl für die Bahnsteighallen wurde als Reparationsleistung beschlagnahmt; deshalb mussten wir so viel in Holz ausführen.
Erst im Oktober 1922 wurde der Verkehr aus dem alten Bahnhof neben Hotel Marquardt in den neuen umgelegt. Vier Stunden in der Nacht fuhr kein Zug ein und aus. Welche planvolle Arbeit darin steckte, die sich weit außerhalb des eigentlichen Bahnhofs im Talkessel bis zum Rosensteinhügel erstreckte – in fieberhafter Nachtarbeit neue Weichen einbauen – das kann ein Laie nie ermessen. Die Fernzüge Paris–Wien liefen planmäßig ein und aus. Mit äußerst komplizieren Kunstbauten der Ingenieure längs der Anlagen waren die Überwerfungen manchmal in drei Stockwerken übereinander so gelöst, dass keine Schienenkreuzung mehr blieb.
Es war für Stuttgart ein großer Tag. Am Vortag war eine würdige Feier in der Schalterhalle. Verkehrsminister war damals der General Gröner, Chef des Eisenbahnwesens im Krieg. Statt der bisherigen vier Geleise hatte die neue Bahnhofshälfte acht, der fertige Bahnhof später sechzehn. Und die City Stuttgarts gewann 400 Meter – die auch heute noch nicht voll ausgebaut sind.
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