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Quantum Gardens Ehningen

"Scheiße für die Gemeinde"

Quantum Gardens Ehningen: "Scheiße für die Gemeinde"
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In Ehningen auf dem IBM-Areal wollte ein afghanischer Investor einen neuen ökologischen Stadtteil bauen: autofrei, viel Grün, nachhaltig. Dann setzten die USA ihn wegen Korruption auf die Sanktionsliste, gebaut wurde bisher nichts. Und jetzt?

Ehningen, eine kleine Gemeinde etwa 30 Kilometer westlich von Stuttgart, geriet vor kurzem groß in die Schlagzeilen. Dort sollte mit dem Projekt Quantum Gardens auf dem ehemaligen IBM-Gelände zwischen Ortskern und A 81 ein ökofuturistisch anmutender neuer Stadtteil entstehen. Der Siegerentwurf des Tübinger Architektenbüros Hähnig/Gemmeke sah ein autofreies Quartier mit Wohnungen, Büros und Geschäften vor, das durch eine Fußgängerbrücke über die Kreisstraße mit dem Ortskern verbunden werden sollte. Die bis zu sieben Stockwerke hohen Gebäude sollten nicht nur aus wiederverwertbaren Materialien gebaut und teils begrünt werden, auch ringsum sollte eine üppige Bepflanzung Wasser aufnehmen und auch im Sommer für Schatten und angenehme Temperaturen sorgen. Fest eingeplant ist auch die Ansiedlung von Technologieunternehmen vor Ort. Darauf weist das Quantum & AI Experience Center (Q.AX) im Herzen der Anlage hin, das Besuchern Einblicke unter anderem in die Quantencomputertechnologie liefern soll. Bei dessen Eröffnung im April 2023 durchschnitt Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) persönlich das rote Band. Kurzum: Arbeit, Einkaufen und Erholung an einem Ort – im Idealfall sollten die tech-affinen und womöglich lastenradfahrenden Bewohner:innen ihre klimaresiliente Oase kaum mehr verlassen müssen.

Finanzieren wollte das der afghanische Investor Ajmal Rahmani, der sein Geld nach den Angaben auf seiner Website als Transportunternehmer mit der Belieferung von US- und NATO-Streitkräften in Afghanistan mit Treibstoff und Verpflegung verdient haben will. 2021 erwarb er über seine Ozean Group in Herrenberg das ehemalige IBM-Gelände im nahegelegenen Ehningen von einem israelischen Investmentfonds. Den Preis in Höhe von 50 Millionen Euro für das rund neun Hektar große Firmengelände soll er laut SWR aus eigenen Mitteln bezahlt haben.

Die Rahmanis weisen die Vorwürfe zurück

Doch am 11. Dezember 2023 macht das US-Finanzministerium den Projektpartnern einen Strich durch die Rechnung – die taz hatte darüber zuerst berichtet: Infolge interner Ermittlungen landet Ajmal Rahmani auf einer Sanktionsliste des U.S. Office of Foreign Assets Control (OFAC). Konkret wirft die Behörde ihm und seinem Vater Mir Rahman Rahmani, dem ehemaligen afghanischen Parlamentspräsidenten, vor, in ihrem Heimatland für ein komplexes Korruptionssystem im Beschaffungswesen verantwortlich gewesen zu sein. Damit sollen sie Millionen von Dollar veruntreut haben, die die US-Regierung zur Unterstützung afghanischer Sicherheitskräfte bezahlt hatte.

Laut OFAC sollen die Rahmanis zunächst künstlich die Preise für Treibstoff hochgetrieben haben, indem sie in betrügerischer Absicht mit Strohfirmen Gebote auf Lieferverträge der US-Regierung abgaben und ihre Konkurrenz ausschalteten. Auch den afghanischen Staat sollen die Rahmanis demnach im großen Stil betrogen haben. Zollbeamte sollen ihnen gegen Bestechung Dokumente überlassen haben, die ihren Firmen den einfuhrsteuerfreien Import von Treibstoff ermöglichten. Selbst bei den Lieferungen an afghanische Sicherheitskräfte sollen die Rahmanis sich illegal bereichert haben, indem sie geringere Mengen als vereinbart ablieferten und afghanische Militärs für die Verschleierung dieses Umstands bezahlten. Darüber hinaus wirft ihnen die US-Behörde vor, sich bei der afghanischen Parlamentswahl Wählerstimmen gekauft sowie afghanische Wahlbeamte bestochen zu haben.

Die Rahmanis haben die Vorwürfe stets energisch zurückgewiesen und im Januar 2024 gegen die Sanktionen geklagt. Nachdem ein US-Gericht im April desselben Jahres ihren Antrag auf eine einstweilige Verfügung zurückwies, entschlossen sie sich, ihre Klage zurückzuziehen und stattdessen ihr Ziel auf dem Verhandlungsweg weiter zu verfolgen. Wie erfolgversprechend das ist, ist derzeit unklar. In Ehningen jedenfalls steht seit mittlerweile bald zwei Jahren die Entwicklung der Quantum Gardens still. Die Projektpartner, darunter IBM und die Fraunhofer-Gesellschaft, zogen sich aus der Zusammenarbeit zurück. Grund hierfür sind wahrscheinlich die Sekundärsanktionen, die all denen drohen, die Geschäfte mit von den USA sanktionierten Personen und Firmen machen.

Die ganze Sache sei "sehr scheiße für die Gemeinde", sagt Rainer Klein, der für die CDU im Gemeinderat von Ehningen sitzt. Er war von Anfang an gegen das Projekt. Wegen der vielen Wohnungen, die im Rahmen von Quantum Gardens entstehen sollen, rechnet er mit dem Zuzug von rund 2.000 Menschen nach Ehningen. Das sei zu viel für seine Heimatgemeinde, die derzeit rund 9.000 Einwohner zählt, argumentiert Klein, und werde zu einer starken Überlastung der Infrastruktur führen. Deshalb solle das alte IBM-Gelände weiterhin als Industrie- beziehungsweise Gewerbegebiet bestehen bleiben.

Nachdem die Gegner des Projekts bei der Abstimmung im Gemeinderat den Befürwortern, zu denen auch Ehningens Bürgermeister Lukas Rosengrün (SPD) gehört, unterlegen waren, startete Klein mit Gleichgesinnten eine Bürgerinitiative. So wollten sie das Projekt Quantum Gardens doch noch per Bürgerentscheid zu Fall zu bringen. Das Bürgerbegehren wurde von der Verwaltung jedoch als rechtswidrig abgelehnt. Klein fühlt sich deshalb "vom Schultes ausgetrickst".

Komisches Bauchgefühl

Klaus Sattler ist einer von Kleins Mitstreitern. Er hatte schon früh ein komisches Bauchgefühl in Bezug auf den Investor und die Ozean Group, sagt er. "Denen ist Ehningen doch völlig egal." Die Ideen der Planungsgruppe für Quantum Gardens wirken auf ihn weltfremd und elitär: "Autofrei in einem Ort wie Ehningen zu leben, das ist doch unrealistisch", sagt er. Das Konzept sei für ihn insgesamt nicht stimmig. "Wer will schon direkt neben seiner Arbeitsstelle wohnen?", wundert er sich. Er sei sowohl vom Bürgermeister als auch von den Räten enttäuscht. "Die sollten besser aufpassen, was sie sich da unterjubeln lassen", fordert er. "Wenn etwas in Ehningen akut fehlt, dann Wohnraum für Senioren. Auch ein Ärztehaus und einen Laden könnte ich mir bei uns gut vorstellen. Aktuell haben wir zum Beispiel keinen Augenarzt und auch sonst kaum Fachärzte."

CDU-Gemeinderat Klein selbst vermutet Prestigedenken bei den Befürwortern von Quantum Gardens. "Mein Eindruck ist, dass unser Bürgermeister dieses Großprojekt für seine eigene Karriere und gegen den Willen von uns Bürgern verwirklichen wollte", sagt er. Über den vorläufigen Stopp des Projekts freuen sich die beiden. Was ihre Freude trübt: Laut Klein seien der Gemeinde wegen des gestoppten Projekts rund 30 Millionen Euro Gewerbesteuer entgangen. Wegen der finanziellen Turbulenzen verzögerten sich wichtige Projekte wie der Umbau der Schule und der Neubau des Feuerwehrhauses. "Insgesamt hat uns dieses Fiasko als Gemeinde fünf bis acht Jahre nach hinten versetzt", resümiert das Ratsmitglied.

Bürgermeister Lukas Rosengrün widerspricht im Gespräch mit Kontext vehement: "Wenn jemand aus dem Gemeinderat so etwas sagt, habe ich erhebliche Zweifel, dass die Person sich überhaupt damit beschäftigt hat", sagt er. Das Projekt Quantum Gardens sei zu 100 Prozent eine private Investition: Die Gemeinde Ehningen habe es – einmal abgesehen von der Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter – bislang keinen Cent gekostet. Es stimme zwar, dass die Gemeinde durch den Auszug der IBM aus Liegenschaften in Ehningen weniger Gewerbesteuer eingenommen habe, jedoch nicht in dem Ausmaß. Darüber hinaus sei dieser Umstand nicht etwa auf Fehler der Gemeinde zurückzuführen, sondern auf eine Verkettung mehrerer unglücklicher Umstände, wozu auch die Insolvenz eines Bauträgers zähle, der den Neubau der IBM-Unternehmenszentrale neben den geplanten Quantum Gardens verzögert habe.

Auch im Bau von rund 400 neuen Wohnungen in den Quantum Gardens mag Rosengrün keine Gefahr für Ehningen erkennen. Im Gegenteil: Die Gemeinde sei sogar verpflichtet, neuen Wohnraum für die knapp 10.000 Menschen zu schaffen, die bei großen Unternehmen vor Ort arbeiten. Besonders auch mit Blick auf die Demographie sei dies eine sinnvolle Maßnahme: Schaffe seine Gemeinde nicht genügend Wohnraum für junge Menschen und Familien, drohe ihr auf lange Sicht die Vergreisung, sagt der Bürgermeister.

Zudem habe die Gemeinde die Möglichkeit, Investoren über städtebauliche Verträge zur Finanzierung neuer Infrastruktur wie einer neuen Kita oder Schule zu verpflichten. Mit der Ozean Group habe es bereits Gespräche zu diesem Thema gegeben, bevor das Projekt auf Eis gelegt wurde. Bis dahin sei die Zusammenarbeit durchweg gut gewesen, betont Rosengrün.

Der Bürgermeister wünscht sich einen Neustart

Sein Hauptargument pro Quantum Gardens: Er habe unbedingt verhindern wollen, dass auf dem verkehrsgünstig gelegenen Gelände ein Logistikzentrum entsteht. Das hätte er potenziellen Investoren, die während des Bieterverfahrens auf die Gemeinde zukamen, auch so mitgeteilt. "Wir haben denen klar gesagt: Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um das zu verhindern", so Rosengrün. In der Folge seien auch Investoren vom Kaufinteresse zurückgetreten.

Wenn die Sanktionen gegen Ajmal Rahmani aufgehoben würden, würde er das Projekt mit dem Investor fortsetzen? "Wenn man ganz ehrlich ist, wäre ein Neustart mit einem neuen Partner besser", sagt Rosengrün. "Denn selbst wenn er es schafft, sich von den Vorwürfen reinzuwaschen – es bleibt halt immer etwas kleben." Der Bürgermeister macht aber auch klar: Den Eigentümer des Grundstücks könne er sich im Zweifel nicht aussuchen. Er müsse in jedem Fall auf eine für die Gemeinde positive Entwicklung hinarbeiten.

Deshalb schaue er selbst regelmäßig auf der Sanktionsliste des OFAC nach, ob Rahmani noch draufstehe, sagt Rosengrün. Auch Mitarbeiter der Ozean Group meldeten sich noch regelmäßig im Ehninger Rathaus. Sie seien im Begriff, die Sanktionen loszuwerden, die Erfolgsaussichten seien gut, behaupteten sie. "Durchhalteparolen", meint Rosengrün.

Einen passenden neuen Investor für das Projekt zu finden, dürfte sich schwierig gestalten: Nicht nur müsste der gegenwärtige Eigentümer einem Verkauf zustimmen, zusätzlich müssten US-Behörden ein solches Geschäft mit einer sanktionierten Person auch extra genehmigen. Denn ansonsten drohen dem Käufer ebenfalls Sanktionen – ein Umstand, der potenzielle Interessenten eher abschreckt. Ob und unter welchen Umständen Ajmal Rahmani zu einem Verkauf des Geländes bereit wäre, lässt sich derzeit nur mutmaßen. Eine Anfrage von Kontext dazu ließ er bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

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