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"Physik Instrumente" in Karlsruhe

Weniger Lohn für Frauen

"Physik Instrumente" in Karlsruhe: Weniger Lohn für Frauen
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Rund 800 Mitarbeitende entwickeln und bauen bei "Physik Instrumente" in Karlsruhe Positioniergeräte, die bis in den Nanometerbereich präzise arbeiten. Die Kunden: Forschungslabore, High-Tech-Unternehmen, die NASA. Was dem Unternehmen aber fehlt, ist ein Tarifvertrag. Vor allem Frauen seien benachteiligt, sagt die IG Metall.

Ganz am Ende des Dorfes Palmbach, Karlsruhe, kurz vor der Autobahn nach Stuttgart, ragt ein heller Gebäudekomplex in den Himmel: Auch mit Blick auf seine Lage etwas abseits ist "Physik Instrumente" (PI) der Prototyp eines "Hidden Champion". Das 1970 gegründete Unternehmen ist Weltmarktführer, Familienunternehmen, beschäftigt weltweit 1.800 Menschen, verweist auf rund 500 Patente und Patentanmeldungen und dürfte hochprofitabel sein. Nur eines passt nicht ins Bild: eine Litfaßsäule der IG Metall an der Abfahrt zum Firmengelände, darauf auch der Dreizeiler "Höhenflug zum Mars, aber Bruchlandung bei den Gehältern." Eine Anspielung darauf, dass der Mars-Rover "Curiosity" mit Piezo-Aktoren, elektrisch-mechanischen Bauteilen, von PI bestückt ist.

Trotz solcher Erfolge: In der Einfahrt zum PI-Hauptwerk in Palmbach versammeln sich Ende April rund 150 von 800 Mitarbeiter:innen zum Warnstreik. Eine noch ungewohnte Situation, denn bei PI gibt es erst seit zwei Jahren überhaupt einen Betriebsrat. Der Vorsitzende Peter Diez wurde im Mai 2023 gewählt. "Anfang 2024 hat sich eine Tarifbewegung formiert", sagt er. Mittlerweile ist über die Hälfte der Palmbacher Belegschaft Mitglied der IG Metall.

Der Grund: Die Gehälter bei PI sollen mindestens zehn Prozent unter dem Tarif liegen. Das sagt Mihai Balan, Sekretär der IG Metall Karlsruhe. Das Gewerkschaftsteam habe mit einem repräsentativen Querschnitt der Mitarbeiter:innen – insgesamt zehn Prozent der Belegschaft – Einzelgespräche geführt. "Es gab beim Gehalt nur zwei Ausreißer nach oben, alle anderen lagen unter dem Flächentarif", sagt Balan. Auffällig war auch, dass drei Viertel der Frauen weniger verdienen als die Hälfte der Männer. Auf sieben Prozent beziffert Balan den Gender-Pay-Gap im Median, aber in einzelnen Abteilungen seien es bis zu 20 Prozent.

Auch bei PI werden Frauen schlechter bezahlt

Den Frauenanteil schätzt der Betriebsratsvorsitzende Diez auf etwa 30 Prozent. Der Pay-Gap lohnt sich also für das Unternehmen. Dementsprechend protestieren auch auffallend viele Frauen vor dem Werkstor. "Das ist ein Unding", sagt Helene Ludwig: "Das bedeutet, dass Frauen im Vergleich mit Männern bis Mitte Februar umsonst arbeiten." Aber auch die IG Metall mache Unterschiede zwischen Frauen- und Männerberufen, merkt sie an: "Das technische wird viel höher bewertet als das kaufmännische." – "Man soll für die Arbeit bezahlt werden, die man macht", fordert eine Kollegin. Auch unabhängig davon, ob man eine Facharbeiter-Ausbildung hat oder nicht. Denn auch da stünden Frauen oft schlechter da.

Vor dem Werkstor sind sich alle einige. "Gleiche Arbeit, gleiches Geld", sagt Tobias Herken. "Der Pay-Gap ist fehl am Platz", meint Henrik Gropp und das sei ein Grund mehr für die Einführung einer Tarifstruktur. Auch sonst sind sich alle einig: Es geht ums Geld. "Im Grunde ist es ja so: Es wird alles teurer und irgendwie muss man über die Runden kommen", sagt eine Kollegin. Wenn es möglich ist, mehr Geld zu bekommen, werde sie darum kämpfen.

Seit dem Herbst verhandelt die IG Metall mit der Geschäftsführung von PI über die Forderungen der Belegschaft. Die bisher vier Termine blieben nicht ganz ohne Ergebnisse: Das Unternehmen hat das Urlaubsgeld und die Azubi-Gehälter erhöht. Das höhere Urlaubsgeld bedeute effektiv 1,5 Prozent mehr Lohn, rechnet Peter Diez den Teilnehmern des Warnstreiks vor. Auch sonst sperrte sich die PI-Geschäftsführung bisher nicht gänzlich, sagt IG-Metall-Sekretär Balan: "Sie haben schon zugesagt, dass das neue tarifliche Entgeltsystem bis Ende 2027 kommt." Aber über das Gehaltsniveau sei damit noch nichts gesagt.

Zudem seien die Verhandlungen mittlerweile ins Stocken geraten, erzählt Balan. Gleichzeitig wurden in der Metall- und Elektroindustrie Entgelterhöhungen für 2025 und 2026 in der Fläche verhandelt. Die Schere zwischen den PI-Gehältern und dem Tarif würde sich damit absehbar weiter öffnen. "Die Leute erwarten von PI mindestens etwas Wertgleiches. Das ist deren Erwartungshaltung, die wir auch so gegenüber der Geschäftsleitung vorgebracht haben", sagt Balan. Eine Reaktion stehe noch aus. "Jetzt will die PI-Geschäftsführung auf Zeit spielen, habe ich das Gefühl", sagt Balan: "Unsere Leute wollen ein nachgebessertes Angebot. Wenn da nicht schnell etwas passiert, dann wird alles auf eine massive Eskalation hinauslaufen."

Niemand nimmt Petition der Mitarbeitenden entgegen

Was bedeutet, dass es möglicherweise sogar zu einem Streik kommen kann. Angesichts des Organisationsgrads von über 50 Prozent dürfte der Betrieb dann lahmgelegt sein. Zum Abschluss des ersten Warnstreiks beschränken die PI-Beschäftigten sich noch darauf, eine Petition zu überreichen. 400 Mitarbeiter:innen haben unterschrieben, von der Geschäftsführung steht niemand bereit, sie entgegenzunehmen. Die Unterschriften werden in den Briefkasten der Verwaltungszentrale geworfen, die einen kurzen Fußmarsch vom Betriebsgelände entfernt ist. "Eigentlich ist PI ein angenehmer Arbeitgeber", sagt Diez: "Ich bin überzeugt, dass wir für die Tarifeinführung einen ambitionierteren Zeitplan umsetzen können.''

PI in Zahlen

Laut dem Konzernabschluss hat "Physik Instrumente" mit allen Tochterunternehmen 2022 einen Gewinn von rund 30,4 Millionen Euro erzielt (2021: rund 44 Millionen Euro, 2020: knapp 26 Millionen Euro). Die Lohnkosten werden für 2021 auf rund 81 Millionen Euro beziffert (2020: knapp 71 Millionen Euro). 2021 machte der Konzern den Großteil seines Umsatzes von rund 250 Millionen Euro an den drei Produktionsstandorten in Deutschland: in Karlsruhe 117 Millionen Euro, in Lederhose (Thüringen) 43 Millionen Euro, in Eschbach bei Freiburg 32 Millionen Euro. Das macht in der Summe 192 Millionen Euro. Der Rest entfiel auf Standorte in Israel, USA, China und Japan. Eine Verlagerung der Produktion, die manche Mitarbeitende jetzt befürchten, dürfte damit kaum machbar sein. Seit 2021 ist PI gewachsen: Mittlerweile gibt es vier Produktionsstandorte in Deutschland und fünf im Ausland.  (al)

Die PI-Geschäftsleitung will Fragen von Kontext zur Tarifauseinandersetzung nicht beantworten. Warum das Unternehmen beispielsweise Frauen schlechter entlohnt und bisher keine Tariflöhne zahlt? Dazu werde PI sich "zum jetzigen Zeitpunkt nicht näher (...) äußern (...), da wir einen konstruktiven Austausch mit der Gewerkschaft fortsetzen möchten", antwortet ein Sprecher kurz. Auch zu seiner aktuellen wirtschaftlichen Situation will das Unternehmen nichts sagen, "da wir die aktuellen Gespräche mit der IG Metall nicht mit Teilinformationen beeinflussen wollen."

Die Umsatzrendite von PI betrug 2022 beachtliche 16 Prozent (2021: 20 Prozent). Und das Unternehmen hat einiges auf der hohen Kante: Für Ende 2022 wird ein Kassenbestand von 75 Millionen Euro ausgewiesen (2021: 92,4 Millionen Euro). "In Bezug auf die Liquiditätslage sind aufgrund der hohen Bestände an liquiden Mitteln bei Tochtergesellschaften auch weiterhin keine Engpässe zu erwarten", sagte Markus Spanner, PI-Geschäftsführer, im September 2022. Und mit Blick auf die Mitarbeiter:innen meinte er: "Der deutschlandweit herrschende Fachkräftemangel trifft auch PI. Neue und gute Mitarbeiter zu rekrutieren, dauert oftmals sehr lang und ist zum Teil sehr kostenintensiv."

Der finanzielle Spielraum für eine Erhöhung der Lohnkosten in Deutschland um rund zehn Prozent – das wäre die Auswirkung der Einführung des Tarifs – scheint also grundsätzlich vorhanden zu sein. Bezogen auf die Gesamtlohnkosten im Konzern im Jahr 2021 wären das grob geschätzt maximal 8 Millionen Euro. Das wäre in etwa so viel wie die nicht ganz sechs Millionen Euro, die im gleichen Jahr vom Gewinn an die drei Eigentümerfamilien ausbezahlt wurden.

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