Wenn die IG Metall am kommenden Donnerstag in der gesamten Republik ihre ehrenamtlichen Funktionär:innen zur Großen Tarifkommission lädt, steht auf Top eins die Tarifforderung für den Spätsommer. Der Vorstand hat schon einen Vorschlag gemacht: 7 bis 8 Prozent. Dass die Tarifkommissionen davon erheblich abweichen, ist erfahrungsgemäß unwahrscheinlich. Donnerstagabend weiß man mehr.
Vor allem in Baden-Württemberg allerdings dürfte es noch eine weitere wichtige Debatte geben. Und zwar um das sogenannte Sozialpartnermodell. Dabei geht es um ein System der betrieblichen Altersvorsorge, das am Kapitalmarkt Rendite machen soll. Hintergrund ist das Betriebsrentenstärkungsgesetz, das Andrea Nahles, SPD, in der Großen Koalition als Arbeitsministerin auf den Weg gebracht hat.
Dahinter steht ein langer Weg der stetigen Rentenverschlechterungen. Lange bestand in der Bundesrepublik Konsens, dass die gesetzliche Rente den Lebensstandard sichern sollte. Kanzler Gerhard Schröder, SPD, und sein Vizekanzler Joschka Fischer, Grüne, beendeten das 2001. Ab da sollte die gesetzliche Rente nur noch die Basis sein, Bürger:innen wurden aufgefordert, privat vorzusorgen, außerdem gab es ja noch Betriebsrenten. Drei Säulen also. Für die private Vorsorge entwickelte der damalige Arbeitsminister Walter Riester, SPD und ehemals Vize-Vorsitzender der IG Metall, die bekanntlich schwer gescheiterte Riester-Rente, von der nur die Versicherungswirtschaft (in die Riester später überwechselte) begeistert war.
Rot-Grün beschloss im Rahmen der Hartz-Gesetze zudem – mit Unterstützung von CDU und FDP – ein stetiges Absenken des Rentenniveaus von damals knapp 53 auf 43 Prozent im Jahr 2030. Die aktuelle Ampel hat das jetzige Niveau von 48 Prozent gestoppt, auf dem sollen die Renten zumindest bis zum Ende der Legislaturperiode bleiben.
Arbeitgeber werden weiter entlastet
Das alles zusammen – Riester, Senkung des Rentenniveaus und auch, dass es stetig weniger Betriebsrenten gibt – führte wenig überraschend zu immer mehr Altersarmut. 2017 schmiedete Nahles dann das Betriebsrentenstärkungsgesetz. Das freute vor allem die Arbeitgeber, denn das Modell nimmt sie aus der Haftung. In alten Betriebsrentenmodellen mussten sie Rücklagen bilden. Das war teuer, im Sozialpartnermodell bleibt ihnen das erspart. "Pay and forget" heißt das schöne Prinzip, wonach Arbeitgeber für jede:n Beschäftigte:n einmal pro Monat eine bestimmte Summe einzahlen und das war's. Wie viel die einzelnen Beschäftigten nach 20 oder 30 oder 40 Jahren rausbekommen, liegt nicht mehr in ihrer Verantwortung. Entsprechend gibt es für die Beschäftigten damit auch keine Garantierente, sondern eine "Zielrente", die erreicht werden soll.
Mit dem Sozialpartnermodell würde die IG Metall also im Namen ihrer Mitglieder zum Finanzmarkt-Akteur. Für Roman Zitzelsberger, Chef der IG Metall Baden-Württemberg, ist das im Moment der einzige Weg, etwas für Metaller hinzubekommen. "Wir leben nun mal im Kapitalismus." Und da geht es einer Gewerkschaft nicht anders als Privatmenschen, die nicht wissen, wohin mit Erspartem, wenn es auf der Bank keine Zinsen mehr gibt. Manche legen‘s unters Kopfkissen, manche kaufen dann Aktien und in den vergangenen Jahrzehnten hat es im Großen und Ganzen auch geklappt, dass – jedenfalls bei längeren Laufzeiten – am Ende ein beachtliches Plus rauskam. Man sollte halt nur nicht bei Firmen wie Wirecard anlegen.
Zitzelsberger betont, es gehe beim Sozialpartnermodell nicht darum, am Aktienmarkt zu zocken, sondern um längerfristige Strategien. Aber was, wenn ein Beschäftigter gerade dann in Rente geht, wenn die Börsen absacken wie jüngst wegen des Ukrainekriegs beziehungsweise dessen Folgen? Gibt's dann nix? Niemand werde leer ausgehen, versichert der 55-Jährige. Denn es werde ein Sicherungspuffer aufgebaut, der ebenfalls an den Finanzmärkten angelegt wird.
Mit Südwestmetall ist sich Zitzelsberger im Großen und Ganzen bereits einig. Deren Sprecher Volker Steinmeier erklärt: "Wir sind bereit." Das Sozialpartnermodell sei wegen der fehlenden Garantie für Unternehmen attraktiv und: "Alle Simulationsmodelle besagen, dass bei geringerer Risikoabsicherung langfristige Modelle einträglicher sind." Damit sei es doch auch für Arbeitnehmer:innen besser. Doch er weiß auch: "Jetzt muss Herr Zitzelsberger seine eigenen Truppen überzeugen – das ist sicher eine Herausforderung."
Kritik kommt von ganz oben
In der IG Metall gibt es durchaus Gegenstimmen. Als beim Gewerkschaftstag 2019 in Nürnberg über das Sozialpartnermodell diskutiert wurde, gab es eine Reihe von Anträgen, die das Konzept ablehnten. Am Ende kam ein Beschluss heraus, der in erster Linie die Stärkung der gesetzlichen Rente forderte. Bezüglich des Sozialpartnermodells bleiben Interpretationsspielräume offen. Jedenfalls meint Zitzelsberger, dass seine nun vorgelegte Ausarbeitung beschlusskonform ist. Zum Überzeugen hat er für die Teilnehmer:innen der Tarifkommission extra eine 68-seitige Broschüre erstellen lassen.
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Denis Davidovac
am 29.06.2022