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Arbeiten hinter Gittern

Spitzengehalt 2,47 Euro

Arbeiten hinter Gittern: Spitzengehalt 2,47 Euro
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Arbeit von Inhaftierten zählt nicht als Arbeit. Das zeigt sich in der Pandemie besonders deutlich. Während es draußen bei coronabedingten Ausfällen weiter Lohn oder Kurzarbeit gibt, gehen Häftlinge oft nahezu leer aus. Jedenfalls in Baden-Württemberg.

Arbeit in Corona-Zeiten: Die einen schaffen im Home-Office, andere schuften in Krankenhäusern am Rand der Belastbarkeit. GastwirtInnen fürchten um ihren Betrieb, ErzieherInnen fühlen sich als Spielball praxisferner Regularien. Manche dieser Stimmen hat man seit Pandemiebeginn lauter gehört, andere leiser. Nahezu nichts hört man jedoch von Inhaftierten hinter hohen Mauern. Die Arbeit, zu der sie in Justizvollzugsanstalten (JVA) verpflichtet sind, ist schon in normaleren Zeiten besonders prekär. Sie gilt offiziell als Resozialisierungsmaßnahme und somit zählt für diese Arbeit "kein Mindestlohn, keine Rentenversicherung, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, kein Kündigungsschutz", schreibt die Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) auf ihrer Webseite. Und schätzt weiter ein: "Dabei blüht das Geschäft in der Sonderwirtschaftszone Knast." Dafür spricht auch eine Äußerung von Mannheims Anstaltsleiter Thomas Weber vor einiger Zeit in den "Stuttgarter Nachrichten": "Wir bräuchten eigentlich mehr Gefangene mit längeren Haftstrafen."

Während der Corona-Pandemie hat sich auch in den Gefängnissen die Lage zugespitzt. Während der aktuellen Corona-Welle wurden wieder Einschränkungen vorgenommen, die den Haftalltag stark beeinflussen. "Abendliche Freizeitgruppen (wie die Gesprächsgruppe des Pfarrers) wurden ausgesetzt", schreibt Thomas Meyer-Falk, der in der JVA Freiburg inhaftiert ist, auf Kontext-Anfrage zu Beginn der aktuellen vierten Welle. Damit fiele eine wesentliche Ablenkungsmöglichkeit im streng reglementierten Alltag im Gefängnis weg. Aktuell dürfen wegen Omikron keine ehrenamtlichen HelferInnen mehr kommen, Sport- und Freizeitgruppen fallen damit auch aus. Besuch dürfe "nur durch eine einzige Person" erfolgen, und weiter: "Insasse und besuchende Person dürfen sich nicht berühren, müssen an einem langen Tisch mit einer hohen Plexiglasscheibe in der Mitte Platz nehmen." Zudem gebe es "verunsicherte Insassen, die Sorge vor einer Infektion haben" und Meyer-Falk schreibt: "Von einigen Beamten weiß ich, dass sie sich nicht impfen lassen". Auch Arbeitsausfälle gehörten immer wieder zum Lockdown in Gefängnissen. "In Baden-Württemberg wird von Insassen bemängelt, dass es keine Corona-Zuschüsse und keinen Lohnersatz gibt, so wie es zum Beispiel NRW oder Hessen praktizieren. Hessen zahlt monatlich einen Corona-Zuschuss. Entfällt wegen Corona die Arbeitsmöglichkeit, wird ein Großteil als Ersatz dennoch gezahlt", so Meyer-Falk.

Billige Arbeitskräfte für die Industrie

Im ersten Halbjahr 2021 waren durchschnittlich 6.635 Inhaftierte in Justizvollzugsanstalten in Baden-Württemberg untergebracht, wovon 4.246 beschäftigt waren. Die meisten arbeiten in den JVA, zum Beispiel in der Wäscherei oder in der Küche oder sind in Schule oder Ausbildung, rund ein Drittel der Inhaftierten schafft für externe Unternehmen. Laut Pressesprecher Robin Schray vom Justizministerium Baden-Württemberg sind das "Firmen der unterschiedlichsten Branchen, die Lohnarbeiten einfacher Art – wie Montagearbeiten, Entgratungsarbeiten, Schleifarbeiten, Sortierarbeiten, Konfektionierung und Verpacken von Gegenständen aller Art etc. – durchführen". Vermittelt werden diese Aufträge über den Landesbetrieb Vollzugliches Arbeitswesen (VAW). Die Kontext-Anfrage, welche Unternehmen in Gefängnissen Baden-Württembergs für sich arbeiten lassen, will das Justizministerium nicht beantworten: "In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des VAW wird zugesichert, alle persönlichen Daten der Auftraggeber vertraulich zu behandeln", heißt es. Laut "Deutschlandfunk" haben in den letzten Jahren unter anderem "Konzerne wie BMW, Volkswagen oder Miele, aber auch mittelständische Unternehmen wie die Haus- und Sicherheitstechnik-Firma Brennenstuhl oder der Schreibwarenhersteller Edding" Aufträge an Gefängnisse vergeben. Die externen Aufträge werden von den JVA gerne angenommen. "Nur mit entsprechenden Aufträgen der Wirtschaft, der öffentlichen Hand und von Privatkunden kann das Vollzugliche Arbeitswesen […] seinen Beitrag zur Resozialisierung der Gefangenen leisten", ist auf der Webseite der JVA Freiburg zu lesen. "Wissen Sie, dass Wachstum für Ihr Unternehmen auch mit unserer Erfahrung und unserer Leistungsstärke möglich ist?"

Das entscheidende Lockmittel, Aufträge in den Knast zu vergeben, dürften die dortigen Löhne sein. Aktuell erhalten Strafgefangene in Baden-Württemberg ein Arbeitsentgelt zwischen 1,48 und 2,47 Euro pro Stunde – letzteres für "Arbeiten, die die Kenntnisse und Fähigkeiten eines Facharbeiters erfordern oder gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten voraussetzen" und zusätzlich "ein besonderes Maß an Können, Einsatz und Verantwortung erfordern". Im Vergleich: Der IG Metall-Tarif in Baden-Württemberg sieht für FacharbeiterInnen in der niedrigsten Lohngruppe einen Stundenlohn von etwa 21 Euro vor – in den JVAs in Baden-Württemberg liegt der Stundenlohn für FacharbeiterInnen bei 2,21 Euro.

Von ihrem "Lohn" kaufen sich ArbeiterInnen in den JVAs beispielsweise Tabak und Hygieneartikel zu sehr hohen Preisen. Das "Neue Deutschland" stellte jüngst einen Preisvergleich gegenüber Ladenpreisen außerhalb der JVAs an: "Eine Zitronenlimonade war 89 Prozent teurer, ein Stück Käse 70 Prozent und Fleisch 26 Prozent." Auf ähnliche Ergebnisse stößt "Plusminus" bei einer Stichprobe: "Das günstige Wasser kostet fast 80 Prozent mehr, Cola 25 Prozent, eine Packung Salami ebenfalls 25 Prozent." Um finanzielle Verpflichtungen außerhalb der Anstalt wahrzunehmen, beispielsweise den Unterhalt für Kinder zu zahlen, reicht die Bezahlung nicht aus.

Keine Rentenversicherung, kein Coronageld

Im Gesetzbuch über den Justizvollzug in Baden-Württemberg ist in Paragraph 11, Absatz 2 vermerkt, dass Arbeitsbetriebe in den Justizvollzugsanstalten "den Verhältnissen außerhalb der Justizvollzugsanstalt anzugleichen" sind. Was darunter zu verstehen ist, bleibt unklar. Mindestlohn und Rentenversicherung gehören offenbar nicht dazu. Bislang jedenfalls ist Gefangenenarbeit nicht rentenversicherungspflichtig. Das heißt, Inhaftierte sind von Altersarmut bedroht. Ein Problem, das auch der Politik aufgefallen ist, erläutert der Sprecher des Justizministerium Baden-Württemberg: "Die Konferenz der Justizministerinnen und -minister hat sich mit der Thematik eingehend befasst und im Jahr 2018 festgestellt, dass die Einbeziehung Gefangener in die gesetzliche Rentenversicherung grundsätzlich sinnvoll sei, allerdings im Hinblick auf die zu erwartenden Einsparungen für den Bundeshaushalt bei der Grundsicherung im Alter keine zusätzliche Belastung der Länderhaushalte verursachen dürfe." Passiert ist bislang nichts. Nun ist im aktuellen Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung geplant, das Thema anzugehen: "Wir wollen eine reguläre Mitgliedschaft von in Justizvollzugsanstalten arbeitenden Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten in der gesetzlichen Rentenversicherung ermöglichen und werden hierfür den Dialog mit den dafür zuständigen Ländern suchen."

Manuel Matzke, Sprecher der Gefangenengewerkschaft, war von 2014 bis 2021 in der JVA Zeithain in Sachsen inhaftiert. Arbeiten musste er dort von 7 bis 15 Uhr, Mittagspause gab es etwa eine halbe Stunde, berichtet er gegenüber Kontext. Er habe damals einen Antrag auf Arbeit stellen müssen und eine Liste mit möglichen Jobs und Ausbildungen bekommen. "Ich war erst in einer KfZ-Werkstatt, da haben wir Fahrzeuge repariert." Der schon damals in der Gefangenengewerkschaft organisierte junge Mann wehrte sich gegen seiner Ansicht nach unangemessene Arbeitsaufträge, wollte in der Bücherei arbeiten, was ihm allerdings verwehrt wurde. "Weil ich zu viele Fragen gestellt hab", sagt Matzke. So wurde er Hausarbeiter in der JVA, unter anderem teilte er das Essen aus.

In den Hochphasen der Corona-Pandemie sind auch Arbeitsstellen in den JVAs immer wieder von starken Einschränkungen und Schließungen betroffen. Da hier nicht die Inhaftierten die Schuld für die Ausfälle tragen, gab es in einigen Bundesländern Maßnahmen, um die finanziellen Einbußen der Gefangenen auszugleichen. So zahlte Nordrhein-Westfalen beispielsweise Billigkeitsentschädigungen. "Die Billigkeitsentschädigung betrug 50 Prozent der vor der Betriebsschließung erhaltenen Vergütung und konnte für Zeiten von Schließungen ab dem 16.3.2020 bis 3.5.2020 sowie im Zeitraum vom 16.12.2020 bis 30.6.2021 erfolgen. Außerhalb der genannten Zeiträume konnten in besonderen Einzelfällen auch darüber hinaus Billigkeitsentschädigungen zugestanden werden", erklärt das dortige Justizministerium. Zudem konnten die Inhaftierten Freistellung von der Arbeit beantragen. Die beträgt in NRW 20 Tage pro Jahr, in Baden-Württemberg sind es nur 18 Tage.

Die Knauserigkeit im Südwesten setzt sich beim Thema Entschädigung für coronabedingte Lohnverluste fort. Hier gibt es laut Justizministerium keine gesetzliche Grundlage für eine Lohnfortzahlung. Unter bestimmten Voraussetzungen wurde lediglich ein Taschengeld in Höhe von 1,93 pro Tag (!) ausgezahlt. Zeitweise habe man aber anderweitig entlastet, schreibt das Ministerium: "So wurden beispielsweise die Miete für Fernsehgeräte sowie der Einzug der Kosten für den Fernsehempfang ausgesetzt und auf die Erhebung von Stromkosten für von den Gefangenen betriebene elektrische Geräte verzichtet."


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1 Kommentar verfügbar

  • Nik
    am 05.01.2022
    Antworten
    Das wirklich Wesentliche ist doch: Was zahlen die Firmen pro Stunde? Denn man muss schon herausstellen, dass die Leute im Gefängnis auf Kosten der Gemeinschaft leben. Dass sie dann zu einem gewissen Grad auch für diese Gemeinschaft arbeiten sollten, ist nicht zu viel verlangt.

    Rentenversicherung…
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