Der TÜV verdient jedes Jahr viele Millionen mit der Prüfung von Atomkraftwerken – ein Geschäft, das keine Nachlässigkeiten verträgt. Schon ein kleiner Fehler beim Betrieb eines Reaktors kann verheerende Folgen für Mensch und Umwelt haben. Damit das nicht passiert, sollen unabhängige Sachverständige die kerntechnischen Anlagen in Deutschland, zu denen auch Zwischenlager, Forschungsreaktoren und abgeschaltete Meiler gehören, regelmäßig auf Herz und Nieren prüfen.
Aber wie unabhängig kann ein Prüfer prüfen, der plötzlich den Arbeitsplatz wechselt – vom Prüfunternehmen zum Kernkraftwerk?
Nach dem Atomgesetz hat der Bund die Kompetenz für Sachverständigenprüfungen. Dieser delegiert die Aufsicht an die Länder. Die wichtigsten Prüfungen von Atomkraftwerken übernimmt der TÜV im Auftrag der Atomaufsichtsbehörden der fünf Bundesländer, in denen noch Reaktoren in Betrieb sind: Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Die Prüfungen werden zunächst von den Landesumweltministerien bezahlt, die Betreiber müssen die Kosten dann erstatten; manchmal erfolgt die Abwicklung auch direkt über den Betreiber.
TÜV Süd im Visier von Ermittlern
Den Kuchen des Milliardengeschäfts mit Atomkraftwerksprüfungen teilen sich im Wesentlichen der TÜV Nord und der TÜV Süd. Letzterer prüft auch die baden-württembergischen Atomkraftwerke.
Pikant: Gegen drei Mitarbeiter des TÜV Süd ermittelt derzeit die Staatsanwaltschaft Frankfurt wegen des Verdachts der Beihilfe zum banden- und gewerbsmäßigen Betrug in einem besonders schweren Fall. Die Staatsanwaltschaft wirft den TÜV-Mitarbeitern vor, der Immobiliengruppe S & K Gefälligkeitsbescheinigungen ausgestellt zu haben, die eine erhöhte Seriosität und Werthaltigkeit der S & K Gruppe gegenüber Anlegern und Vertrieben suggerieren sollten. S & K steht im Zentrum eines Betrugsskandals, bei dem es um eine dreistellige Millionensumme geht. Wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft auf Anfrage erklärte, sei eine tatsächliche "Prüfung" bei der S & K Unternehmensgruppe durch den TÜV Süd "nicht erkennbar und auch nicht erfolgt". Für die "Bescheinigungen" des TÜV Süd zahlte die S & K Gruppe nach Angaben der Staatsanwaltschaft mehr als 90 000 Euro. Der TÜV Süd bestreitet die Vorwürfe.
Was die Prüfung deutscher Atomkraftwerke betrifft, gelangte eine Arbeitsgruppe des Bundesumweltministeriums in einem internen Papier bereits vor mehreren Jahren zu dem Schluss, die "an den TÜV delegierte Verantwortung" nehme dieser "überhaupt nicht wahr". Wegen der lang laufenden Verträge sei "eine finanzielle Abhängigkeit der Sachverständigenorganisation" von den AKW-Betreibern entstanden, die eine "Unabhängigkeit der Begutachtung" beeinträchtige und sich "auf die Arbeit des einzelnen Sachverständigen auswirken" könnte.
Über die Jahre ist ein enges Verhältnis nicht nur zwischen Atomaufsicht und TÜV entstanden, sondern auch zwischen TÜV und Atomkraftwerksbetreibern. Dies ist mit Blick auf die Unabhängigkeit von Prüfungen problematisch. Nun wird bekannt, dass es sogar Fälle gab, in denen TÜV-Sachverständige unmittelbar zum AKW-Betreiber wechselten. Nach Recherchen der Kontext:Wochenzeitung hat es vier Fälle gegeben, in denen TÜV-Sachverständige nahtlos in den Dienst eines Atomkraftwerksbetreibers traten.
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Blender
am 06.07.2016