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Verkehrspolitik à la Österreich und Italien

Autos raus

Verkehrspolitik à la Österreich und Italien: Autos raus
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Baden-Württembergs Mobilitätswende kommt nicht voran. Derweil haben mehr als 300 italienische Städte ihre "zona traffico limitato". Österreich zieht nach. Die jüngste Wahl in Wien zeigt, dass deshalb keine Abwahl drohen muss.

Geht doch: Parteien von der Sozialdemokratie über Grüne und Liberale bis zur konservativ-bürgerlichen ÖVP wollen den Autoverkehr in der Wiener Innenstadt alsbald streng reglementieren – und kommen nach der Wahl am vergangenen Sonntag auf 78 von 100 Mandaten im künftigen Gemeinderat. Die SPÖ verlor nur leicht, die ÖVP stark, und die rechtsnationale FPÖ hat sich zwar endgültig vom Niedergang nach dem berüchtigten Ibiza-Video erholt, aber die Spitzenwerte von einst deutlich verpasst. Wie überall in Europa waren am rechtsrechten Flügel Sicherheit und Migration Gewinner. Eher Kreide gefressen hatten dessen Vertreter:innen in Sachen Verkehr, etwa mit Botschaften wie dieser: "Der öffentliche Raum soll so aufgeteilt werden, dass alle Verkehrsteilnehmer, vom Fußgänger bis zum Autofahrer, gleichberechtigt sind, also keine weiteren Fahrverbote."

Genau die jedoch wird es geben, wenn die siegreiche SPÖ (39,4 Prozent) ihre Pläne umsetzt. Den Juniorpartner kann sie sich aussuchen, unter Grünen (14,1 Prozent), den liberalen Neos (9,8) und der ÖVP (9,7). Die Chancen, den Autoverkehr zu reduzieren, stehen gut: Auch die Bundesregierung, bestehend aus ÖVP, SPÖ und Neos, macht den Weg frei für weitgehende Beschränkungen dank einer neuen datenschutzkonformen Kameraüberwachung. 24 weitere österreichische Städte wollen die Möglichkeiten nutzen und ihre Kerne nur noch für Anwohner:innen sowie für ÖPNV, Anlieferungen und die Zufahrt in eine gerade nicht voll ausgelastete Parkgarage offen lassen.

Für die Bundeshauptstadt liegt eine Machbarkeitsstudie vor. Statt 53.000 Fahrzeuge täglich sollen nur noch 23.000 einfahren und etwa ein Viertel der Parkplätze wegfallen, um den freiwerdenden Raum zwischen Häuserschluchten zur Begrünung zu nutzen. Dass die Verantwortlichen in der Wiener Regierung noch vor dem Wahltag weiterreichende Pläne, etwa zur Schaffung von "unantastbarem Grünraum", vorlegten, spricht für die hohe Akzeptanz in der Bevölkerung.

Alle zahlen drauf fürs Auto

Die hat viele Gründe: Österreich war nie ein führendes Autoland. Auch wenn die Marke Mercedes nach der Wienerin Mercédès Jellinek benannt wurde, Ferdinand Porsche aus Maffersdorf im damals noch österreichischen Böhmen kommt und seit Langem die Zulieferindustrie von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung ist. Konzepte fürs Umdenken gab es schon zu einer Zeit, da war der Begriff Mobilitätswende noch gar nicht erfunden. So wurde im Zuge der Stadterweiterung Mitte des 19. Jahrhunderts der Bau einer U-Bahn erwogen, und früh wurden Pferde- und später Benzin-Omnibusse eingesetzt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das Stadtbahnnetz 40 Kilometer lang.

Der öffentliche Verkehr war also immer mitgedacht. Individuell sich im eigenen Auto von A nach B zu bewegen war dennoch immer bequemer und schon deshalb attraktiv. Längst steht diese Sorte Mobilität aber stark unter Druck, auch aus volkswirtschaftlichen Gründen. An der Technischen Universität Wien wurde errechnet, dass Kraftfahrzeug- oder Mineralölsteuer die Kosten für Infrastruktur, Unfälle, gesundheitliche Folgen, Luftverschmutzung und Umweltschäden niemals ausgleichen. Der Verkehrswissenschaftlerin Barbara Laa zufolge zahlt die ganze Gesellschaft. Und deshalb müsse sich das ganze System von Grund auf ändern.

Ein Satz, den Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sofort unterschreiben würde. Jedoch fehlt es in der Landesregierung, deren Legislaturperiode im kommenden Jahr zu Ende geht, an der notwendigen Unterstützung durch die CDU. Und durch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), der Konflikten mit dem Koalitionspartner gern aus dem Wege geht. Dessen Führungskräfte wissen das – und nutzen es aus. Wie so oft lohnt der Blick in den grün-schwarzen Koalitionsvertrag. "Wir werden eine klimafreundliche Mobilität und die Verkehrswende weiter vorantreiben und umsetzen", heißt es im Kapitel "Das Land bewegen". Dazu gehöre "die Mobilitätsgarantie mit öffentlichem Nahverkehr, der Mobilitätspass und günstige Tickets wie ein attraktives Radnetz, eine leistungsfähige Straßeninfrastruktur und die Förderung von klimafreundlichem Autoverkehr".

Bislang unerfüllte Versprechen im Koalitionsvertrag

Die Mobilitätsgarantie als Angebot an interessierte Kommunen zum ÖPNV-Ausbau ist gerade erst verschlankt beschlossen worden. Rad- und Fußverkehr wird weiterhin ins Lächerliche gezogen, nicht nur von Liberalen, sondern auch in den Reihen der CDU, ebenso die Straßeninfrastruktur und die Förderung von klimafreundlichem Autoverkehr. Außer Spesen also wenig gewesen. Maike Schmidt, die Vorsitzende des Klimasachverständigenrats der Landesregierung, drängt auf neue Maßnahmen. Schon im Oktober 2024 wurde ein Impulspapier präsentiert, weil der CO2-Ausstoß im Verkehr noch immer auf dem Niveau von 1990 liegt. "Um Klimaneutralität im Verkehr zu erreichen, müssen die sozialen Innovationskräfte der Gesellschaft genauso gefördert werden wie die technologischen, verkehrsplanerischen und -wirtschaftlichen Kräfte und Innovationspotenziale", heißt es unter vielem anderen.

Nicht nur in Österreich sind derartige Innovationskräfte geweckt. Mag sein, dass sie in den engen, immer verstopften italienischen Stadtkernen leichter zu mobilisieren sind: Von A wie Arezzo bis V wie Verona gibt es in über 300 Städten verkehrsbeschränkte Zonen, die die Einfahrt meist nur für Anwohner:innen, Lieferant:innen und Hotelgäste öffnen. International jubilieren Touristiker:innen angesichts der positiven Effekte, ebenso in Paris, wo die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo eine Umwandlung der Stadtautobahn an der Seine in eine Rad- und Fußverkehrs-Flaniermeile durchgesetzt hat. Der Wiener Tourismuschef Norbert Kettner bezeichnet sich als "superhappy" angesichts der anstehenden Beschränkungen des motorisierten Individualverkehrs nicht nur rund um den Stephansdom. Es sei "im Marketing ein Riesending", melden zu können, dass eine der schönsten Innenstädte der Welt verkehrsberuhigt wird. Für eine dagegen noch immer in der Bundesrepublik viel zu weit verbreitete Geisteshaltung steht die "Focus"-Schlagzeile dieser Tage über die Entwicklung in der Deutschen liebstem Urlaubsland: "Bußgeld-Falle für Autofahrer im Italien-Urlaub". Beklagt werden Bußgelder ab 87 Euro bei einer – verbotenen – Einfahrt in eine "zona traffico limitato" rund um den Gardasee.

Baden-Württemberg geht nur sehr kleine Schritte

Dabei wäre noch ein Perspektivwechsel dringend überfällig. Die Grünen in der rot-grünen Wiener Stadtregierung haben 2010 durchgesetzt, dass die Mariahilfer und damit die längste Einkaufsstraße der Stadt nach und nach zur Fußgängerzone wird. Die Aufregung war gewaltig, eine Bürger:innen-Befragung vier Jahre später erbrachte 53 Prozent für die Beibehaltung der Pläne. Die Akzeptanz der Ladenbesitzer:innen schwankt, gerade angesichts der durch und nach Corona ausgelösten wirtschaftlichen Schwierigkeiten.

Alle Rückabwicklungstendenzen verliefen sich aber im Sande, die Anwohnerschaft war und ist zufrieden. Auf Tripadvisor gibt es bei mehr als 600 Bewertungen: 4,2 von fünf möglichen Punkten in Sachen Besuchsempfehlung. In den beiden an der Straße grenzenden Bezirken kamen die Grünen am Wahlsonntag auf gut 25 Prozent. In der Woche davor ist in Umfragen ermittelt worden, dass sie ihr überraschend gutes Ergebnis in der ganzen Stadt jener Gruppe der Bevölkerung zu verdanken hat, der Verkehrs- und Umweltthemen besonders wichtig ist.

Mit dem gerade in Kraft getretenen, im Vergleich zu den im Koalitionsvertrag geweckten Erwartungen deutlich abgespeckten Landesmobilitätsgesetz vollzieht Baden-Württemberg zumindest einen ersten kleinen Schritt. Das Land schaffte die Grundlage für den Einsatz von Scan-Fahrzeugen zur Parkraum-Kontrolle. Wer falsch parkt oder keine Gebühren entrichtet hat, kann nun von den Kommunen viel leichter erfasst werden.

Überhaupt war der grüne Verkehrsminister Hermann der Einzige im ganzen Kabinett, der vor Ostern auf die drängenden, ohnehin schon mehrfach wiederholten Forderungen des Klimasachverständigenrats offensiv reagiert hat. Unter anderem mit dem Bedauern darüber, dass einige Dinge, "die wirklich wirken im Kampf gegen den Klimawandel, politisch im Moment nicht durchsetzbar sind", etwa die Einführung einer Lkw-Maut auf Landesstraßen. Ein Vorhaben, dem die Schwarzen im Koalitionsvertrag auch zugestimmt hatten. Bis Pfingsten wird Hermanns Haus zusätzliche Maßnahmen präsentieren und spätestens nach der Sommerpause, im beginnenden Wahlkampf, wird sich zeigen, wie es um die sozialen Innovationskräfte in der Gesellschaft und vor allem in den so viel zitierten Parteien der Mitte bestellt ist. Vor einem Jahr, bei den Kommunalwahlen auch in der Landeshauptstadt, hatte die CDU noch plakatiert: "Stuttgart, lass Dir das Auto nicht verbieten."

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