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Schulprojekt: Frauen in Afghanistan

"Ihr wärt längst verheiratet"

Schulprojekt: Frauen in Afghanistan: "Ihr wärt längst verheiratet"
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Die afghanische Talibanregierung will Frauen die Hebammen- und Pflegeausbildung verbieten. Das ist eine der neuesten Schreckensmeldungen aus Afghanistan. Wie können Frauen dort leben? Elham, Farzana und Clara, drei Achtklässlerinnen der Bismarckschule, haben sich mit dem Land beschäftigt und die Stuttgarter Afghanin Najia Ahmad getroffen.

Frau Ahmad, wie alt waren Sie, als Sie geheiratet haben?

Normalerweise müssen Frauen in Afghanistan sehr jung heiraten. Ich habe sehr spät geheiratet. Ich war über 26 Jahre alt, das war 1996.

War es eine Zwangsheirat oder haben Sie diese Person geliebt?

Bei uns heiratet man auch in der Familie, also Cousin und Cousine. Das war auch bei mir so. Ich habe den Sohn meiner Tante geliebt, aber meine Familie war dagegen. Ich habe sehr lange gewartet und gekämpft, dann bin ich zu ihm nach Kiew in der Ukraine gefahren und dort haben wir geheiratet. Und ich habe meinen Vater überzeugen können, dass das gut ist.

Najia Ahmad, Jahrgang 1967, studierte in Afghanistan Jura und ist über Umwege 1992 in Deutschland gelandet. Sie engagiert sich in der afghanischen Community in Stuttgart, betrieb in Untertürkheim einen italienischen Feinkostladen, betätigt sich mittlerweile als Geschichtenerzählerin und versteht sich als Brückenbauerin.  (red)

Sind Sie immer noch zusammen?

Ja, wir sind immer noch zusammen.

Darf man sich in Afghanistan scheiden lassen?

Es ist nicht so einfach wie in Deutschland oder Europa. Bei uns in Afghanistan geht es immer um religiöse Gesetze. Theoretisch könnten beide Seiten sich scheiden lassen, aber das ist eine Männergesellschaft mit Männermacht. Wenn, dann lassen sich die Männer scheiden, sie heiraten ja auch zwei oder drei Mal. Wenn der Mann eine Frau loswerden will, dann kommen die Familien zusammen. Da wird viel geredet und am Ende muss die Frau gehen.

Was machen geschiedene Frauen?

Meistens werden sie von der Familie wieder aufgenommen. Denn das gibt es nicht, dass Frauen alleine leben und eine eigene Wohnung haben. Das gab es nur in den 20 Jahren Demokratie, die der Westen uns gebracht hatte. Da gab es übrigens auch Frauenhäuser.

Wenn ein Taliban eine Frau heiraten will, aber die nicht will, was passiert dann?

Das gibt es oft und immer wieder passiert es, dass die Frauen sich dann umbringen. Manche haben Benzin über ihren eigenen Körper geschüttet und sich angezündet oder sie haben Medikamente genommen. Die Taliban wollen oft Minderjährige heiraten, das ist furchtbar. Und ihr wisst vielleicht: Mädchen dürfen nur sechs Jahre zur Schule gehen. Alles ist bei uns seit drei Jahren die volle Katastrophe, was Frauen angeht.

Dann wären wir jetzt gar nicht hier, wir sind ja in der 8. Klasse.

Nein, ihr wärt zu Hause oder schon verheiratet.

Dürfen Frauen arbeiten?

Nein, im Grunde nicht. Auf dem Land vielleicht, da werden sie ja auf den Feldern gebraucht.

Gibt es da eingeschränkte Bewegungsfreiheit oder dürfen Frauen rausgehen?

Nein, Frauen dürfen nicht ohne männliche Begleiter raus.

Wie werden Frauen in Afghanistan von Männern auf der Straße behandelt, wenn sie rausgehen?

Früher, als die Taliban nicht die Macht hatten, war eine sehr schöne Atmosphäre auf der Straße. Die Männer haben Witze gemacht, wenn sie schöne Frauen gesehen haben. Aber jetzt darf man das absolut nicht und die Frauen müssen sich komplett verschleiern. Wenn nicht, ist das strafbar. Und auch die Jungs müssen aufpassen, dürfen nichts sagen. Die Taliban stehen an allen Ecken mit Waffen und das ist schlimm.

Immer unruhig

In Afghanistan leben etwa 37 Millionen Menschen, sie sprechen verschiedene Sprachen, das Land grenzt an den Iran, Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan, die Volksrepublik China und Pakistan, ist also eine geopolitische Schnittstelle. Schon im 19. Jahrhundert stritten Großbritannien und Russland um Einfluss, es gab drei blutige Kriege mit den Briten. 1919 wurde Afghanistan unabhängig. Nach einer Zeit des Friedens marschierte 1979 die Sowjetunion in Afghanistan ein, die USA unterstützten daraufhin die widerständigen Mudschaheddin, 1989 zogen die sowjetischen Truppen wieder ab, die verschiedenen Mudschaheddin-Gruppen sicherten sich ziemlich blutig Einflussgebiete. Die Taliban – gefördert von Pakistan und den USA – sorgten zunächst einigermaßen für Ordnung, etablierten ab 1996 aber ihr mittelalterlich anmutendes Regime. Nach dem Anschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 erklärten die USA den Taliban den Krieg, 20 Jahre lang war das Land von westlichen Truppen besetzt, doch der Versuch, eine funktionierenden Staat aufzubauen, scheiterte letztlich. 2021 zogen die Armeen ab und sofort übernahmen die Taliban die Macht. Seitdem werden Mädchen und Frauen durch Gesetze systematisch aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen.  (red)

Dürfen Frauen in Afghanistan Auto fahren und den Führerschein machen?

Ich habe gehört, viele Frauen von reichen Taliban fahren dicke Autos. Früher durften Frauen schon Auto fahren, aber jetzt mit der Taliban-Regierung? Nein.

Was machen Frauen in Afghanistan, wenn sie ihre Regel haben?

In Afghanistan hat man ja immer große Familien, also Omas, Tanten und so. Da wird in der Familie sehr viel geredet. Zum Beispiel kann man die Tante etwas fragen, was man die Mama nicht fragen kann. Und die Tante sagt auch ab dem neunten Lebensjahr: Hey, Mädchen du musst aufpassen, es kommt. Das ist jetzt so und du musst keine Angst haben. Sie bereiten die Mädchen vor. Allerdings gibt es in Afghanistan keine Tampons oder Binden und wenn, sind sie sehr teuer. Dann sucht man sich alte T-Shirts, schneidet die zurecht und die benutzen die Mädchen und Frauen. Die werden gewaschen und irgendwo versteckt zum Trocknen aufgehängt und dann wieder benutzt. Es ist nicht wie hier: einmal benutzen und wegschmeißen.

Aber ist das nicht unhygienisch?

Wenn du es richtig machst, ist das nicht unhygienisch. Hier wird so viel weggeworfen, das ist nicht gut für die Umwelt. Und dort wäschst du das, erst kalt wegen des Blutes und dann heiß. Das funktioniert. Außerdem: Wenn man im Not ist, dann ist alles erlaubt.

Was macht den Frauen dort Mut, wie halten sie das alles aus?

Das ist schwierig. Viele haben ja erlebt, wie es war, als die Westmächte da waren, als Mädchen zur Schule, auf die Universität gehen und arbeiten konnten. Und jetzt sind da die Taliban, die alles verbieten. Frauen dürfen sich nicht frei bewegen, dürfen nicht singen, dürfen nicht Sport machen und so weiter. Das ist grausam. Aber es gibt viele mutige Frauen, die gehen auf die Straße.

Sie demonstrieren?

Ja. Und das ist gefährlich. Aber die Freiheit hat eben ihren Preis und deswegen gehen sie trotzdem auf die Straße, auch wenn sie Gefahr laufen, getötet zu werden. Sie nehmen das auf sich – besser, als unter Druck zu leben.

Sie sind also bereit für ihre Freiheit zu sterben. Gibt es Ärztinnen in Afghanistan?

Früher gab es welche. Frauen und Männer haben zusammen studiert. Aber als die Taliban gekommen sind vor drei Jahren, haben sie das beendet. Zwar haben sie erst versprochen, dass die Schule ab der siebten Klasse wieder geöffnet wird für Mädchen, aber das haben sie dann nicht gemacht. Frauen dürfen nicht studieren, nur Männer. Aber es gibt so viele kranke Frauen und wenn sie Geld haben, fahren sie nach Pakistan oder Indien zur Behandlung. Oder es gibt noch Ärztinnen aus der Zeit vor den Taliban, die heimlich behandeln. Aber wenn das rauskommt, holen die Taliban sie.

Wenn die Menschen so unterdrückt werden, vor allem die Frauen, aber ja auch die Männer, warum gibt es da keinen Aufstand?

Das Problem ist, dass die Taliban auch das Geld haben. Die haben das ganze Drogengeschäft in der Hand. Sie sind Verbrecher und Terroristen. Und im Moment, mit den vielen Kriegen in der Region, kümmert sich der Rest der Welt nicht darum. Das ist Geopolitik. Afghanistan ist sehr wichtig, es ist das Herz von Asien. Russland und der Iran grenzen daran, da ist dem Rest der Welt nur wichtig, dass da Ruhe ist.

Über das Schulprojekt Bismarckschule:

Komplizierter als gedacht

Von unserer Redaktion

Sie interessieren sich für das, was in der Welt passiert. Acht Schülerinnen und Schüler einer achten Klasse der Bismarck-Werkrealschule haben in den vergangenen Wochen im Schulprojekt von Kontext mitgemacht. Ihre Themen: Hunger auf der Welt und Frauen in Afghanistan.

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Nun gab es vor Kurzem das Urteil vom Europäischen Gerichtshof: Frauen aus Afghanistan, die es in die EU schaffen, müssen automatisch Asyl, also das Recht hierzubleiben, bekommen. Wie finden Sie das?

Das ist ein schönes Zeichen, aber eben nur ein Zeichen, das für die Frauen in Afghanistan nichts ändert. Die vielen Frauen, die früher mit den ausländischen westlichen Organisationen gearbeitet haben, mit Deutschen oder Italienern oder Franzosen, die sind wahrscheinlich schon längst weg. Aber wie soll heute eine Frau ganz alleine aus Afghanistan rauskommen?

Wie finanzieren die Frauen sich in Afghanistan?

Es gibt Frauen, die eigene Kinder verkauft haben, also Babys, damit sie die anderen Kinder versorgen können. Und sie verkaufen auch junge Frauen, sie verkaufen alles. Unter Armut werden viele schlimme Sachen gemacht, leider. Wenn der Mann gestorben ist, dann heiraten die Frauen wieder, obwohl sie nicht mit einem Mann zusammenleben wollen, aber der Kinder wegen. Oder sie verkaufen ihre letzte Habe. Jetzt kommt wieder der Winter und der ist sehr, sehr kalt in Afghanistan. Das kann man sich hier gar nicht vorstellen, wie schlimm es dort ist.

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