WAA – drei Buchstaben beherrschten im Mai 1986 die Nachrichten. Bürgerinitiativen hatten über die Pfingstfeiertage zu einem Protestcamp gegen die geplante Wiederaufarbeitungsanlage in Wackerdorf im bayerischen Landkreis Schwandorf aufgerufen. Jung und Alt, Einheimische und Fremde, Studenten und Bauern wollten gegen das Prestigeprojekt der damaligen bayerischen CSU-Staatsregierung unter Franz Josef Strauß demonstrieren. Vor Ort im Taxöldener Forst, wo im Dezember 1985 die "Deutsche Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen" (DWK), ein Unternehmen der Kernkraftwerksbetreiber, bereits gegen allen Widerstand über 100 Hektar Wald für die milliardenteure Atomanlage hatte roden lassen. Einheimische, die in zwei Hüttendörfern Widerstand geleistet hatten, konnten die Holzfäller nicht aufhalten. Tausende Polizisten räumten die Dörfer, nahmen Hunderte Bewohner fest. Auch eine Großdemo an Ostern 1986 hielt Strauß nicht davon ab, das Projekt durchzuziehen. Zu Pfingsten schützten den riesigen Bauplatz stacheldrahtbewehrte Stahlzäune – sowie Hundertschaften von Polizisten mit einer Armada reizgasversprühender Wasserwerfer im Rücken.
Doch der Pfingstprotest stand unter anderen Vorzeichen. Wenige Tage zuvor, am 26. April 1986, war Block 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl explodiert. Der atomare Super-GAU in der (damals noch sowjetischen) Ukraine mobilisierte hierzulande mehr Menschen als erwartet, sich in die Oberpfalz aufzumachen, darunter auch viele kampferprobte Autonome. Die Stimmung gegen die Atomindustrie und ihre Fürsprecher auf politischer Ebene war im gesamten Land aufgeheizt. Vor Ort am WAA-Bauplatz eskalierte die Gewalt – auf beiden Seiten. Vermummte beschossen Polizisten, die Bauzaun und Baugelände sicherten, mit Steinen und Stahlkugeln. Polizeifahrzeuge wurde in Brand gesetzt, Züge auf der nahen Bahnstrecke blockiert. Nicht selten goutierten Einheimische die Attacken. Die Polizisten antworteten mit Wasserwerfern, Knüppeln und Reizgas.
Am Pfingstmontag schlug die bedrängte Polizei in bislang unbekannter Härte zurück. Während einer Großdemo wurden Demonstranten, darunter Familien mit Kindern und ältere Menschen, aus einem Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes heraus mit Reizgasgranaten angegriffen. Später wurde bekannt, dass die Ordnungsmacht in Wackersdorf zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands das Nervengas CN einsetzte. Chloracetophenon verursacht neben Augenreizungen auch Gleichgewichts- und Orientierungsstörungen, was bei den Opfern zur Panik führt. Als Kampfstoff für Kriegseinsätze ist CN-Gas durch die Genfer Konvention international geächtet. Nach Medienberichten setzte die Polizei auch Waffen ein, die bislang in Deutschland nicht zugelassen waren.
Die "Pfingstschlacht mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen", wie Medien die dreitägigen Gewaltausbrüche beschrieben, forderte offiziell Hunderte, nach unbestätigten Berichten der örtlichen Bürgerinitiative sogar mehrere Tausend Verletzte. Es grenzte an ein Wunder, dass es dabei keine Todesopfer gab.
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am 27.06.2014