Wir kommen in Göppingen an. Alles ist abgeriegelt. Später erfahren wir, dass rund 1700 Polizisten im Einsatz sind. Polizisten, die einerseits das Recht auf Versammlungsfreiheit schützen. Und Polizisten, die Zusammenstöße zwischen Neonazis und Gegendemonstranten verhindern möchten. Wir sind zwar von dem großen Aufgebot beeindruckt, uns aber auch im Klaren darüber, dass hier eigentlich auch wir geschützt werden sollen. Aber dazu später mehr.
Wir schließen uns der Gegendemonstration an. Hier sind Menschen, die im Vorhinein versuchen, auf die Demoroute zu gelangen, um wenigstens einen Teil des Neonazi-Aufmarschs zu verhindern. Wir laufen durch die Gassen der Göppinger Innenstadt und halten Abstand zu den Vorpreschenden. Uns umgeben größtenteils junge, bunte Menschen. Ich sehe farbige Strähnchen, Glitzer auf den Wangen und wenige Menschen, die komplett schwarz gekleidet sind. Viele würden sich hier wohl als Antifaschisten bezeichnen. Die Polizei wird später behaupten, dass die uns umgebenen Menschen den "Autonomen" zugerechnet werden können. Diesen Eindruck habe ich nicht.
Wir befinden uns in einer Gasse, vorne wird es kurz unruhig. Auch die Polizeipferde, die die Gegendemonstranten daran hindern, weiter vorzudringen, werden kurz nervös. Weder Steine noch Flaschen noch Feuerwerkskörper fliegen. Trotzdem gehen wir weiter auf Abstand, beobachten die Geschehnisse aus kritischer Entfernung. Schon zuvor laufen Jugendliche und junge Erwachsene mit tränenden Augen und knallroten Gesichtern an uns uns vorbei, sie wurden durch Pfefferspray verletzt. Mehrere Sanitäter helfen mit Augenduschen und Wundsalben.
Derweil hat die Polizei reagiert. Wir sind eingekesselt. Von vorne, von hinten und auch zu den Seiten sind wir von einer Polizeikette eingeschlossen. Wir kommen nicht mehr raus. Gut, sagen die einen, das sei gängige Praxis. Sieht die Polizei ein gewisses Gefahrenpotenzial, kesselt sie temporär die Demonstranten ein, damit von diesen keine weitere Gefahr ausgeht. So weit verständlich. Aber was in den nächsten fünf Stunden folgt, übertrifft meine Vorstellungskraft.
An die Wand gestellt
Es ist jetzt etwa 13 Uhr, und wir sitzen fest. Uns ist kalt, es fängt an zu regnen. Das stört uns zunächst nicht weiter, wir unterhalten uns, wir lachen. Die Ansage lautet: Wer raus möchte, muss seine Personalien checken lassen. Wir warten rund zwei Stunden und entschließen uns dann, den Polizeikessel zu verlassen. Viele wollen das, und somit bildet sich eine Schlange, aus der in unregelmäßigen Abständen Einzelpersonen herausgezogen werden. Nächste Ansage. Die komplette eingekesselte Gruppe wird "in Gewahrsam genommen", das heißt: auf unbestimmte Zeit festgehalten. Ich beobachte das Vorgehen und sehe Menschen, die – jeweils von zwei Polizeibeamten in beachtlicher Montur begleitet – abgeführt werden. In einer überdachten, kleinen Gasse müssen sie sich an die Wand stellen. Sie müssen ihre Jacken ablegen, ihre Jacken- und Hosentaschen ausleeren, ihre Handys und ihre Rucksäcke ablegen. Ein Polizeibeamter nimmt diese an sich. "Hände an die Wand!", heißt es auch, als ich an der Reihe bin. Ich werde von oben bis unten abgetastet. Selbst meine Mütze will man mir abnehmen. Nach einminütiger Kontrolle der Mütze darf ich sie wiederhaben.
Nächste Station. Die zwei Polizeibeamten begleiten mich zum Polizeizelt. Konnte ich eben noch über die Komik der Situation lächeln, bleibt mir das Lächeln jetzt im Halse stecken. Eine Polizistin legt einen Kabelbinder um mein Handgelenk, an dem ein grüner, laminierter Papierstreifen hängt, auf den sie eine Nummer schreibt. Ich muss ordentlich schlucken, als mir klar wird, dass ich ab sofort wie ein Ding, fast wie ein Tier, behandelt werde. Man stellt mich vor eine Kamera. Ich bekomme ein weiteres Nummernschild in die Hand gedrückt und werde angewiesen, dieses vor meine Brust zu halten. Die Polizeibeamtin hält die Vorderseite meines Personalausweises vor die Kamera und löst aus, danach die Rückseite, danach fotografiert sie mich. Einmal von vorne, einmal von hinten, jeweils mit der mir zugeteilten Nummer. Ich muss an einen Grundschulbesuch bei der Polizeiwache denken, bei dem wir spaßeshalber genau diese Prozedur nachgespielt haben. Mir wird weder mitgeteilt, was mit den Aufnahmen passiert, noch wird mir gesagt, was der Grund dafür ist.
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Peter Leidinger
am 29.10.2013