KONTEXT:Wochenzeitung
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Verbrannte Träume

Verbrannte Träume
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Wilhelm Breitling hat seine Träume verloren. Anfang des Jahres ist sein international bekannter Kamelhof im Schwarzwald bis auf die Grundfesten abgebrannt. 87 seiner 92 Tiere starben. Kontext hatte über seinen Hof berichtet, als er noch stand. Jetzt haben wir ihn noch einmal besucht.

Wilhelm Breitling steht am Zaun in Ebhausen-Rotfelden, hinter ihm rupft ein Kamel Grashalme aus der Wiese. An manchen Stellen wächst das sowieso schon zottige Fell des Tiers noch zottiger aus kahlen Stellen, die das Feuer hinterlassen hat. Breitling laufen die Tränen aus den Augenwinkeln. "Tut mir leid", sagt er und drückt ein Taschentuch auf die Wangen. "Manchmal kommt es halt noch raus." Um ihn herum stehen die Relikte seines Traums. Ein paar Betonpfeiler da, wo der Stall war, eine Handvoll seiner Kamele auf der Wiese hinter ihm, ein paar Hühner.

Es war Ende Januar in diesem Jahr, als nachts um vier Uhr sein Telefon klingelte und ein Tierpfleger sagte: "Wilhelm, dein Hof brennt." Es war die größte Kamelfarm Deutschlands, gegründet in den Achtzigerjahren. Als Breitling ankam, stand der Stall in Flammen. Er konnte sehen, wie die Haare an den Höckern seiner Tiere Feuer fingen, wie andere schon reglos am Boden lagen. Als er zum Stall rannte, rief einer: "Wilhelm, nein, du verbrennst auch noch!" Also stand er hilflos neben den Flammen. 87 Tiere starben, die Brandursache wurde nie aufgeklärt. Ein paar Wochen später hat er eine Gedenkfeier veranstaltet, eine Trauerfeier, von der manche fanden, es sei himmelhoch übertrieben, wegen der paar Kamele einen Staatsakt zu veranstalten. Aber Breitling hat nicht nur seine Tiere begraben, sondern einen wichtigen Teil seines Lebens.

Sein Hof war bekannt bis nach Dubai. Praktikanten aus dem Oman kamen auf seinen Hof, Kamelkenner aus der ganzen Welt. Er war ein Freund von Scheich Hamdan bin Zayed al-Nahayan, für den er 1997 in Berlin-Hoppegarten ein Kamelrennen ausrichtete. Immer dann, wenn der kleine Mann aus dem Schwarzwalddorf und der Scheich sich trafen, um neueste Kamelbeobachtungen auszutauschen, holte Wilhelm Breitling seinen schwarzen Anzug aus dem Schrank. Einmal habe eine seiner Kühe gekalbt, genau zu dem Zeitpunkt, zu dem er eigentlich nach Abu Dhabi eingeladen gewesen wäre. Sein Freund Hans-Joachim Fuchtel, seit 25 Jahren Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Altensteig, der Nachbargemeinde, habe ihn angerufen und gesagt: "Mensch, Wilhelm, das kannst du nicht absagen!" Aber Breitling konnte. Fuchtel fuhr alleine. Der Scheich ließ ausrichten, er habe große Hochachtung, ein Kalb sei wichtiger als eine Reise. Wilhelm Breitling ist stolz, wenn er das erzählt.

15 000 Besucher kamen an den Wochenenden

Hans-Joachim Fuchtel ist seit 2009 parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für Arbeit und Soziales und seit 2011 Angela Merkels Sonderbeauftragter für Griechenland. "Der Schwarzwald-Grieche", titelte erst kürzlich die "Zeit". Er war Breitlings Protegé, von Anfang an, weil er den Tourismus im Schwarzwald stärken wollte und es bis dahin nur den Bärenpark in Bad Rippoldsau-Schapbach gab. Also dann Kamele. Fuchtel hat Breitling mit Dubai vernetzt, ihm geholfen, den Kamelhof gegen den Widerstand seiner Landsleute durchzuboxen, er wollte sogar eine Kurklinik neben den Hof stellen und hat dafür gesorgt, dass Norbert Blüm der erste Prominente war, der mit einer Kamelkutsche in das nahe gelegene Waldstück fuhr und wieder hinaus. 15 000 Besucher kamen an den Wochenenden zu Kamelfesten, und wenn die einfielen, sagt Fuchtel, sei kein Zaun mehr gerade gestanden. Die Ehinger Musikkapelle hat irgendwann einen "Camel-Boogie" komponiert, den sie jedem neugeborenen Fohlen vorspielten. Das Würzbacher Bauerntheater wollte sogar ein Tiermitspieltheater entwickeln und hat extra für Breitlings Tiere die Bühne umgebaut. In Berlin, so der Abgeordnete, habe man ihn nie gefragt: Fuchtel, wie geht es dir? Sondern immer nur: Fuchtel, wie geht es den Kamelen? Fuchtel hat auch dabei geholfen, dass der Hof in die Geschichte der Wissenschaft einging: Eine internationale Forschungsgruppe hatte anhand der Schwarzwald-Kamele zum ersten Mal deren DNA entschlüsselt. "Hightech im Schwarzwald", sagt der Volksvertreter.

Wilhelm Breitling ist Landwirt, mit Kühen und Schweinen aufgewachsen. Er war schon früh als der "Schweineflüsterer" bekannt, weil er immer eine Lösung hatte, wenn Ferkel nicht bei der Muttersau trinken wollten. Er sei immer "ein Vorreiter" gewesen, sagt seine Frau. Wo andere normale Schweine hielten, kaufte sich Breitling Pietrain-Schweine, weil die bessere Schinken lieferten. Wo andere normale Schwarzwaldkühe auf ihren Wiesen stehen hatten, kaufte sich Breitling Jersey-Rinder, weil die mehr Milch gaben. Er war der bunte Hund von Ebhausen.

Der Kamelforscher aus dem Schwarzwald

Wenn man Wilhelm Breitling heute fragt, was er vermisst, sagt er: "Meine Forschung." Das klingt im ersten Moment albern, weil dieser Mann so gar nichts mit einem Akademiker gemein hat. Er hat die Landwirtschaftsschule in Nagold besucht, ist nach zwei Jahren vom Gymnasium abgegangen, weil er den Bauernhof seiner Eltern übernehmen musste. Seitdem lebt er in Ebhausen im Schwarzwald, knapp 5000 Einwohner, ein Dorf, in dem es auffällt, wenn ein Auto mit fremdem Kennzeichen parkt. Eine zu große Idee für einen solchen Flecken, zu international für eine Gemeinde, die lieber unter sich bleibt.

Er ist neugierig, er möchte alles ganz genau wissen, er ist ein Selfmade-Forscher. Er hat seine Tiere beobachtet, jeden Tag. Welches Kamel sich wann und warum wo hinlegt. Er hat sie nie als Kuscheltiere empfunden, nie als Touristenattraktion, das war ein Nebenprodukt, das ihm sein Beobachtersein finanzierte. Er hat akribisch Buch geführt über Verhalten und Gewohnheiten seiner Tiere. Studenten aus Stuttgart-Hohenheim und Tübingen schrieben Diplom- und Masterarbeiten auf seinem Hof. Er wollte die Milch der Muttertiere wegen ihrer Heilkraft auf den Pharmamarkt werfen. Und weil ein Professor sagte, das könne er aus hygienischen Gründen vergessen, kaufte er sich eine Gefriertrocknungsanlage, um die chemischen Bestandteile zu extrahieren. Geschafft hat er das nicht mehr. Vorher kam das Feuer.

Wilhelm Breitling bereiste den Oman, er war bei den Tuareg, in Indien, Tunesien, Mali und im Niger, "Erkundungsreisen" nennt es seine Frau, die immer daheim blieb und seine Tiere versorgte. Um von denen zu lernen, die schon seit Jahrtausenden Kamele halten. Man habe ihn in der deutschen Kamel-Community oft nicht ernst genommen, "verlacht", sagt er. "Die, die schon immer solche Tiere gehalten haben, werden doch den Umgang besser verstehen als du aus dem Schwarzwald." Breitling sagt, das, was ihm sein Vater beigebracht habe, Hunderte Jahre Schweinehaltung, sei heute in den meisten Fällen überholt. "Die haben wir früher in einem kleinen Verschlag gehalten", sagt er. "Und heute ist das sogar verboten." Warum also nicht vom Schwarzwald aus für ein besserer Verständnis fürs Kamel sorgen? Er würde gerne ein Buch schreiben, sagt er. Aber seine Aufzeichnungen sind verbrannt. "Ich hab nur noch das, was hier drin ist", sagt er und tippt sich an den Kopf.

Wilhelm Breitling möchte nicht über den Brand reden. Der sei vorbei, und eigentlich sei das bei ihm doch genauso, wie wenn einem normalen mittelständischen Unternehmen das Geschäft zusammenbricht; er sei nichts Besonderes, sagt er und erzählt von einem Freund, der plötzlich Krebs bekam. Das sei schlimmer. 

Als sie seinen Hof gelöscht hatten, kam der Bürgermeister der Gemeinde vorbei und wollte Spenden sammeln. Breitling lehnt ab. "Da zahlen die Leute Geld, und ich weiß ja nicht mal, was aus dem Hof wird." Zum Bürgermeister hat er gesagt: "Du hast es mir so schwer gemacht, und jetzt plötzlich kommst du an und möchtest helfen." 

Aufbauen möchte Breitling seinen Hof nicht mehr. "Es würde 15 Jahre dauern, mindestens, bis ich meine Forschung wieder auf dem Stand hätte, auf dem ich aufgehört habe." Schon seit Jahren hat er einen Nachfolger für seinen Hof gesucht und keinen gefunden. 1,5 Millionen Euro bräuchte ein Käufer, um den Hof wieder so herzurichten, wie er war. Sein Grundstück würde Breitling sogar verschenken, sagt er. Es mangelt auch nicht an Interessenten. Kürzlich sei jemand dagewesen, der einen Ponyhof aufbauen wollte. Ein anderer habe beinahe gekauft. Und dann all die Hippies: "Nichts gegen lange Haare", sagt Breitling, "aber die können den Hof doch nicht so professionell führen, wie ich es getan hab." 

Gott hat für alles einen Grund 

Im Wohnzimmer der Breitlings hängt ein großes Holzkreuz. Gott ist ein wichtiger Bestandteil in ihrem Leben. Ihr Mann habe Albträume gehabt, erzählt seine Frau. Vom Feuer. Er sei bis heute nicht drüber weg, und sie befürchtet, dass er das niemals schaffen wird. Das Feuer hat sich in sein Herz gebrannt. 

Wenn man Wilhelm Breitling fragt, wie es ihm geht, sagt er "gut", ohne zu zögern, und lacht sein ehrliches, verschmitztes Lachen. Er habe mehr erreicht, als er jemals für möglich hielt. Und das Leben stelle ihm noch viele Aufgaben.

Momentan baut er sein Haus um, die Tapeten sind von den Wänden gekratzt, Möbel stehen in den Räumen wie bestellt und nicht abgeholt. Seit zehn Jahren hat er das schon vor, jetzt kommt er dazu. Seine Frau schnauft in ihrer Kittelschürze, weil noch so viel zu tun ist. Aber sie sieht zufrieden aus. Sie war die Kassiererin des Kamelhofs. Manchmal fehlen ihr die Leute, die auf den Hof kamen, der Kontakt, der über die Kirchengemeinde hinausging, sagt sie. Eine Träne läuft ihr über die Backe. Ihr Mann würde nun sogar ab und zu mit zum Einkaufen gehen.

Er hilft einem Landwirt aus der Nachbarschaft. Er berät die Jungbauern in der Gegend in Sachen Schweinehaltung. Er tut viel für seine Kirchengemeinde, besucht den Gottesdienst, jetzt, wo er sonntags auch mal Zeit hat. Er sei "einer, der zupacken kann", sagt der Pfarrer. Und einer, der viel Handwerkszeug und allerlei brauchbare Gerätschaften übrig hat. Kürzlich zum Beispiel, als die Gemeinde die Bodenplatten rund um ihre Kirche ersetzen wollte und keiner einen passenden Transporter hatte. Breitling hatte einen. Er sei immer da, wenn man ihn braucht. 

"Sein Glaube hat ihn aufgefangen", sagt Hans-Joachim Fuchtel, der Freund aus dem Berliner Bundestag. "Gott hat für alles einen Grund", sagt Wilhelm Breitling selbst. "Und wenn er meinen Kamelhof hat abbrennen lassen, muss das auch einen gehabt haben." Vielleicht den, dass er nun zur Ruhe kommt, dass er Zeit hat für all die anderen schönen Dinge des Lebens, für seine Frau und sein Haus, seine Familie. Vielleicht. Den wahren Grund hat Wilhelm Breitling, der rationale Forscher, der immer alles genau wissen möchte, bisher noch nicht gefunden.


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5 Kommentare verfügbar

  • Sara
    am 18.02.2014
    Antworten
    Es sind Dromedare und Trampeltiere gestorben und mir ist das definitv wichtig. Denn mein eigenes Dromedar ist mit verbrannt!!!
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