Herr Behr, wie sind Zeugenaussagen von Polizisten einzuschätzen, wenn Kollegen angeklagt sind?
Prinzipiell gilt ein Ehrenkodex in der Kultur der Polizei: Kollegen werden weder an Vorgesetzte verraten noch anderen Instanzen ausgeliefert. Die Loyalität untereinander ist größer als die gegenüber der Integrität der Polizei. Polizisten wissen, dass sie als Zeugen die Wahrheit sagen müssen, andererseits gilt: Wir liefern keine Kollegen aus, wir sind eine solidarische Gefahrengemeinschaft, die zusammenhält.
Was passiert denen, die vor Gericht gegen Kollegen aussagen?
Die können sich im Kreis der Kollegen nicht mehr frei bewegen. Können sich bewegen, gehören aber nicht mehr dazu. Wir haben eine lange Tradition des Zusammenhalts, ich nenne das Binnenkohäsion, Schutz des sozialen Nahraums. Das gilt Kollegen, die mit im Einsatz waren, zu denen man zurückmuss, für die steht der Polizist ein.
Die Aufklärung von Sachverhalten ...
... wird damit verhindert. Viele Polizisten bedienen sich eines Kompromisses. Sie sagen: Nichts gesehen, gehört, gerade weggeguckt, nicht genau gesehen. Sie bedienen sich, moralisch gesehen, einer Halbwahrheit oder Halblüge, um Kollegen zu schützen. Menschlich verständlich, rechtsstaatlich beschämend.
Sie gefährden das System, das sie verteidigen sollen.
Ja, auf der Ebene der Gerechtigkeit ist das so, Sie beschädigen das Bild der demokratischen Polizei. Bei der Verhandlung geht der Richter raus und sagt: "Ich hab ein ungutes Gefühl, da wurde gemauert, die haben nicht die Wahrheit gesagt." Das Bild der Institution wird beschädigt.
Nicht nur das Bild.
Nein, die Polizei selbst.
Und das Rechtssystem, dessen Teil sie ist.
Ja, wobei, in der Welt der Polizei, so weit ich die überblicke, ist es so, dass sie sich nicht als Teil des Rechtssystems sieht, wenn man die Rechtsprechung in dieses System einbezieht. Polizisten wissen, dass das Rechtssystem das, was sie erleben, nicht abbildet. Nicht gerecht in ihrem Sinne ist. Sie fühlen sich nicht als Kollegen der Richter und Staatsanwälte, sondern diesen ausgeliefert. Das lässt sie die Reihen enger schließen. Ein Partikularinteresse dominiert den Universalgedanken der Gerechtigkeit.
Welches Verhältnis haben Polizisten zu Demonstranten?
Früher waren Gewalttäter und Demonstrant Synonyme. Nach der Friedensbewegung, der Anti-AKW-Bewegung, Startbahn West, diesen Massenbewegungen, hat sich die Figur des Demonstranten differenziert. Aber wir haben immer noch Stereotypen, etwa den gewaltbereiten Linksautonomen. Haben Demonstranten was Schwarzes an, sind jung und männlich, gelten sie schnell als linksautonom und gewalttätig. Mit denen glauben Polizisten bestimmte Erfahrungen gemacht zu haben, denen wird das Recht auf Demonstration abgesprochen. Das ist wenig präzise und situativ nicht offen.
8 Kommentare verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 19.07.2019als Professor der Hochschule der Polizei in Hamburg, haben Sie einen erheblichen Anteil an der Bildung von "Führungskräften" innerhalb der Verantwortungsebenen im Polizeidienst.
Polizei? Dienst?
Mir, geboren in das Jahr 1954 in Stuttgart, ist die vorzuziehende Bezeichnung
"Bürger…