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Foto-Ausstellung zu Militärmessen

Bombengeschäfte

Foto-Ausstellung zu Militärmessen: Bombengeschäfte
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 Fotos: Nikita Teryoshin 

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Datum:

Die Rüstungsindustrie boomt. Kriege befeuern die Geschäfte, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit getätigt werden. Der Fotograf Nikita Teryoshin hat sich auf den großen Waffenmessen umgesehen und zeigt nun im Stadthaus Ulm seine Aufnahmen.

"Technologies for Peace and Freedom" steht an der Wand zwischen den Fotos im Stadthaus Ulm. Technologie für Frieden und Freiheit: Das ist der Slogan von Diehl Defence, der in Überlingen am Bodensee ansässigen Rüstungssparte des Diehl-Konzerns, deren Umsatz sich in den letzten fünf Jahren auf 1,8 Milliarden Euro verdreifacht hat. In seinem Geschäftsbericht freut sich das Unternehmen: "Durch den Krieg in der Ukraine ist es in Europa und darüber hinaus zu einer Neubewertung der Verteidigungsanstrengungen gekommen."

Auf einem Foto daneben streckt ein hochrangiger Vertreter einer iranischen Delegation seine Hand nach einer gelben und einer blauen Rakete aus, die aus dem Hause Diehl stammen. Das Bild hat der russische Fotograf Nikita Teryoshin im April dieses Jahres auf der größten Rüstungsmesse Lateinamerikas aufgenommen, der LAAD Security & Defence in Rio de Janeiro. Der Diehl-Lenkflugkörper Iris-T verkauft sich auch in die Ukraine sehr gut.

Seit neun Jahren bereist Teryoshin die großen Rüstungsmessen der Welt. Mit seinen Aufnahmen hat er Preise gewonnen, seine Bilder wurden vielfach publiziert, die Ausstellung im Ulmer Stadthaus ist mit über 60 Fotos die bis dato größte. Waffenmessen sind keine Publikumsmessen. Teryoshin, der in Dortmund Fotografie und Bildjournalismus studiert hat, lässt sich deshalb als Pressefotograf akkreditieren. Sein Interesse gilt nicht den neuesten Angeboten auf dem Gebiet der Militärtechnologie. Nach seiner Abschlussarbeit besuchte Teryoshin eine Jagdmesse und begann sich nach dem Umgang der Menschen mit Waffen zu fragen.

Teryoshin hat zwanzig Messen besucht, darunter die ganz großen: Eurosatory bei Paris, die International Defence Exhibition (Idex) in Abu Dhabi oder die der Association of the United States Army (Ausa) in Washington, die nun auch im Stadthaus reich vertreten sind. Am Anfang stand ein Besuch der größten Militärmesse Osteuropas im polnischen Kielce. Dort angekommen, fiel ihm zuerst eine Hostess ins Auge, die nun auch in Ulm am Beginn der Ausstellung steht. Sie trägt ein Tablett mit Wein und Säften, während im Hintergrund der Airbus-Kampfhubschrauber "Tiger" zu sehen ist, der gerade von einem Einsatz aus Mali zurückgekehrt war.

Blumenmuster und Marinekanonen

Solche Kontraste bestimmen alle Aufnahmen: Zwischen den appetitlichen Häppchen, den tadellosen Anzügen der Geschäftsleute, der Business-Atmosphäre der Messestände auf der einen und den tödlichen Exponaten, den Demonstrationen ihrer Anwendung und Durchschlagskraft auf der anderen Seite. Auf einem Bild streckt eine Frau im Kleid mit Blumenmuster die Hand aus Richtung Buffet-Tisch, dahinter steht ein Modell einer Marinekanone des schwedischen Unternehmens Bofors. Das war früher einmal im Besitz von Alfred Nobel, nach dem der Nobelpreis benannt ist.

Als 1987 bekannt wurde, dass Bofors 40 Millionen Dollar Schmiergeld gezahlt hatte, um 410 Feldhaubitzen nach Indien zu verkaufen, waren die Tage des Ministerpräsidenten Rajiv Gandhi gezählt. Die Marke Bofors gibt es bis heute und gehört inzwischen zur Hälfte zu BAE Systems, dem größten europäischen Waffenhersteller mit Sitz in London, den Rest hält Saab. "See first, kill first", steht an der Wand im Stadthaus, zu Deutsch etwa: Sieh zuerst, töte zuerst. Den Spruch verwendet Saab heute nicht mehr.

In Deutschland unterliegen Rüstungsexporte dem Kriegswaffenkontrollgesetz. Dennoch steht die BRD auf Platz vier in der Weltliste der Waffenexporteure nach den USA, Russland und Frankreich. Lieferungen in Krisengebiete sind verboten, doch auf Platz eins und drei der größten Waffenimporteure aus Deutschland stehen die Ukraine und Israel. Lieferungen an Saudi-Arabien hat die Bundesregierung nach dem Mord an dem Journalisten Jamal Kashoggi 2018 verboten, im vergangenen Jahr aber wieder genehmigt.

Saudi-Arabien ist wie Ägypten, das auf Platz zwei der Empfängerländer liegt, alles andere als ein demokratisches Musterland und der Krieg im Jemen ist auch noch nicht beendet. Eine besonders tödliche Rolle spielen häufig Kleinfeuerwaffen aus Deutschland, das im Zweifelsfall an Drittländer liefert, innerhalb der EU, der Nato oder anderswo, die sie dann problemlos weiter verkaufen können. Hersteller wie Heckler & Koch, Diehl oder Airbus sind auf den weltweiten Messen stets vertreten.

Feldherren vergangener Zeiten

Nur im eigenen Land tut sich Deutschland schwer. IWA Outdoor Classics nennt sich die größte deutsche Messe in Nürnberg und verschleiert mit dem Namen, dass die Abkürzung Internationale Waffenausstellung bedeutet. Sie ist ebenso wenig für die Öffentlichkeit gedacht wie die Eurosatory bei Paris, gegen die es auch schon Proteste gab. Ebenso gegen Itec, die deshalb, wie zuvor schon in Köln, 2018 nur einmal in Stuttgart stattfand (Kontext berichtete).

Da ist es einfacher, in andere Länder zu gehen: etwa nach Brasilien wie Diehl oder nach Abu Dhabi wie Atass, ein bei München ansässiges, auf Fallschirme spezialisiertes Unternehmen. Auf der Messe im peruanischen Lima bot der ukrainische Hersteller UkrObornProm 2019 eine Alternative zum russischen Kampfpanzer T-55 an. Auch israelische Unternehmen waren dort vertreten, unter anderem Elbit, das in Ulm eine deutsche Niederlassung unterhält.

Teryoshins Fotos zeigen diejenigen, die nicht gerne in der Öffentlichkeit stehen: Männer in grauen Anzügen, in den Golfstaaten mit weißem Gewand und der arabischen Kopfbedeckung Kufiya und hochdekorierte Generäle sind auf den Aufnahmen zu sehen, Soldaten oder Dummies in Tarnfarben, nur vereinzelt auch Frauen. An einer Aluminiumplatte oder einem Kunstkopf wird die Durchschlagskraft von Waffen demonstriert. Es gibt Vorführungen im Freien, die sich die Besucher wie die Feldherren vergangener Zeiten im Sessel sitzend ansehen.

Für sie bleibt es beim Spiel: ungefährlich. Lediglich zwei Bilder, die blutrote Torsi für medizinische Übungszwecke zeigen, lassen etwas von den tödlichen Wirkungen der ausgestellten Produkte erahnen.

Nächste Generation Tödlichkeit

Mindestens 50 Kriege werden derzeit auf der Welt geführt, sagt Stadthaus-Leiterin Karla Nieraad in ihrer Einführungsrede und erinnert daran, dass Ulm sowohl Sitz eines Nato-Kommandos als auch verschiedener Rüstungsunternehmen ist (Kontext berichtete hier und hier). Anders als der Diehl-Slogan suggeriert, führen immer mehr Waffen, führt auch die Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung nicht zu mehr Frieden. Aber: Mit Waffen und Kriegsgerät lassen sich hohe Profite erzielen. Über den Fotos ist an einer Wand der Kurs der Rheinmetall-Aktien aufgezeichnet, die in den vergangenen fünf Jahren um sage und schreibe 2.193,76 Prozent gestiegen ist. Rheinmetall drückt sich denn auch etwas unverblümter aus als Diehl. "Nextgen Lethality" verspricht das Unternehmen: die nächste Generation Tödlichkeit.

Ein Foto zeigt, wie der Rheinmetall-Vorstandsvorsitzende bei der Vorstellung eines neuen Raketenpanzers in London die Hand auf einen roten Knopf legt, gemeinsam mit einem Vice President des amerikanischen Konzerns Lockheed Martin, der die dazu gehörigen Raketen liefert. Die Gesichter lässt Teryoshin im Schatten verschwinden. Er will nicht Personen angreifen, die sich mit Waffengeschäften eine goldene Nase verdienen, sondern das System offenlegen. Lockheed Martin ist mit einem Jahresumsatz von über 70 Milliarden Dollar der größte Rüstungskonzern der Welt. Drei Viertel der Anteile befinden sich im Besitz institutioneller Anleger wie der State Street Corporation, der Vanguard Group oder dem weltgrößten Vermögensverwalter Black Rock. Rheinmetall rangiert dagegen mit 9,75 Milliarden Euro Umsatz in der Weltrangfolge zwar darunter, aber die Steigerungsrate dürfte kaum zu übertreffen sein. Der Vorstandvorsitzende verdient 3,5 Millionen im Jahr, stark "leistungsabhängig", also abhängig von den Verkäufen.

Von den Messen hat Teryoshin nicht nur Fotos, sondern auch viele Werbe-Andenken mitgebracht: von einer Badeente mit Raupenketten und Helm bis zum VIP-Band von Heckler & Koch.

Bei Rheinmetall gab es lediglich einen weißen Blechbecher, bei Lockheed Martin dagegen einen Bierhumpen mit Silberdeckel. Der eingangs zitierte Leitspruch von Diehl-Defence an der Wand taucht in der Ausstellung noch ein zweites Mal auf: eingraviert in ein Schnapsglas in einer Vitrine.

Die Verkäufer auf den Waffenmessen wissen, was ihre Produkte anrichten, auch wenn sie es wohl eher ausblenden. Die Anleger, gleich ob institutionell oder privat, brauchen sich damit nicht zu beschäftigen. Sie verdienen mit, ohne auch nur einen Gedanken an die tödlichen Auswirkungen zu verschwenden. Ein Foto von Teryoshin sagt deutlich, was von solchen Geschäften zu halten ist. An der Wand einer Halle ist ein F-35-Jagdbomber von Lockheed Martin abgebildet. Er senkt seine spitze Nase in zwei graue Mülltonnen, die vor der Wand stehen.


Die Ausstellung "Nikita Teryoshin: Nothing Personal. The Back Office of War" läuft bis 11. Januar 2026 im Stadthaus Ulm, geöffnet täglich von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr und sonntags ab 11 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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1 Kommentar verfügbar

  • Reinhard Gunst
    vor 2 Stunden
    Antworten
    Mal ganz leidenschaftlos betrachtet, tragen alle die die Schuld an den Waffenkäufen, die die Altparteien gewählt haben. Die forcieren ja derzeit einen scheinbar alternativlosen Krieg im Osten, der mittlerweile mit immer größeren Risiken behaftet ist. Diese Kriegseuphorie jener Altparteien rief erst…
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