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Perseiden, Kepler und Giftmord

Krieg den Sternen

Perseiden, Kepler und Giftmord: Krieg den Sternen
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 Fotos: Julian Rettig 

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Nun, wo mit den Perseiden Sternschnuppenschauer ins Haus stehen, verbreiten viele Medien Tipps, wie sich das Spektakel am besten beobachten lässt. Unser Autor hat allerdings noch ein Hühnchen mit den Sternen zu rupfen – und erinnert an die Nase von Tycho Brahe.

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Über den bisherigen Werdegang der Existenz fasste der Schriftsteller Douglas Adams einmal zusammen: "Am Anfang wurde das Universum erschaffen. Das machte viele Leute sehr wütend und wurde allenthalben als Schritt in die falsche Richtung angesehen." Die Kurskorrektur lässt seit über 14 Milliarden Jahren auf sich warten. Schlimmer noch: Ausgehend von dem ursprünglichen Abweg erscheint das Abbiegeverhalten des Daseins nach einer Reihe von Fehlentscheidungen immer fragwürdiger. Da muss man sich nur ansehen, wie Schwaben ein Leben lang sparen, um sich den Zuweg zur Doppelhaushälfte mit einem Schottergarten zu verschandeln.

Adams kam die Idee zu seinem Roman "Per Anhalter durch die Galaxis", als er 1971 angetrunken auf einem Innsbrucker Acker lag und den Ursündern ins Auge sah: Dort oben, da leuchten die Sterne, als ob sie sich für nichts zu schämen hätten. Wo aber Karrieren als imposante Himmelskörper anfingen, sorgte ihr Hang zu Explosionen dafür, dass sich Materie auf neuartigen Wegen zusammensetzen konnte, Gliedmaßen bekam und zuletzt Erscheinungen wie Donald Trump ermöglichte. 

Die Sterne sind an allem schuld, so einfach ist das. Daher muss es wohl an Geschichtsvergessenheit liegen, wenn Menschen beim Blick in den Nachthimmel keinen Groll hegen, sondern anfangen zu staunen und zu träumen. Den Schnuppen der Sterne wird sogar die Kraft angedichtet, Wünsche zu erfüllen. Doch wer die rosarote Brille einen Augenblick lang absetzt, durchschaut den Betrug sofort: In Wahrheit sehen wir hier einfach nur unseren entfernten Verwandten beim Verbrennen zu. Dass sich dieses grausame Ritual seit Jahrtausenden großer Beliebtheit erfreut, sagt viel aus über den Zustand der Menschheit. 

Horoskope von Kepler

Aus unerfindlichen Gründen gelten die Astralverbrecher mitunter als gute Ratgeber. Bei Sorgen und Nöten die Sterne zu konsultieren, ist indessen nicht nur auf Esoterikmessen populär, sondern war auch ein Geschäftsmodell für einen Mitbegründer der modernen Naturwissenschaft: Johannes Kepler, einerseits Mathematiker, zugleich ein überzeugter Astrologe. Vom größten Sohn der Stadt Weil der Stadt, der zeitlebens unter Geldsorgen litt, sind über 800 Horoskope erhalten, die er größtenteils anfertigte, um sich ein Zubrot zu verdienen. 

Als nicht nur finanzieller Glücksfall erwies es sich für Kepler, im Frühjahr 1600 nach Prag berufen zu werden, wo er dem kaiserlichen Hofastronomen Tycho Brahe assistierte. Die beiden ergänzten sich gut: So galt Brahe selbst nicht als der beste aller Rechenkünstler. Aber er war ein herausragender Beobachter und bestimmte damals – noch ohne Teleskop – die Positionen von Fixsternen und Planeten präzise wie kein zweiter. Kepler hingegen ist als Kind an Windpocken erkrankt und war seither fehlsichtig. Auf Grundlage des von Brahe gesammelten Materials verwarf Kepler seine bisherigen Theorien zur Bewegung der Planeten und entwickelte einen neuen Ansatz, wonach die Bahnen der Planeten nicht auf Kreislinien, sondern Ellipsen liegen. 

Allerdings war die Zusammenarbeit von Kepler und Brahe nicht spannungsfrei. Letzterer hatte Vorbehalte gegen eine uneingeschränkte Zusammenarbeit, da er sich sorgte, sein Lebenswerk, die umfangreichen Messungen, könnten dem Keplerschen Theoriekorpus einverleibt werden, ohne dass seine Grundlagenarbeit dabei ausreichend Würdigung erfährt. Schließlich kam Kepler doch an die Messdaten – nachdem Brahe 1601 überraschend starb, was die wildesten Spekulationen begründete. Zumal sich Kepler alsbald an die Messdaten aus dem Nachlass heranmachte, was der Verschiedene laut letztem Willen ausdrücklich nicht wollte.

Wo ist die Nase von Tycho Brahe? 

War Kepler ein Giftmörder? Zu dieser Schlussfolgerung kam 2006 das US-amerikanische Ehepaar Joshua und Anne-Lee Gilder, denen zufolge eine lange Indizienkette nur eine Todesursache zulasse: Es war nicht etwa eine geplatzte Urinblase, wie uns das Establishment der damaligen Zeit weismachen wollte – nein, es war ein hinterhältiger Anschlag mit Quecksilber, für den nur ein Verdächtiger infrage kommt …

Die seit seinem Ableben permanent brodelnden Gerüchte sorgten dafür, dass Brahes Leichnam mehrfach exhumiert wurde, zuletzt 2010. Die Quecksilbermenge, die sich im Skelett feststellen ließ, war jedoch nicht genug für eine tödliche Dosis. Doch wo die eine Frage geklärt wird, tut sich eine neue auf: nämlich die nach dem Verbleib von Tycho Brahes berühmter Nase. 

Einen großen Teil davon verlor Brahe im Alter von 20 Jahren. Als Student trug er ein Duell mit seinem Cousin aus, nachdem sie in einer Kneipe über eine mathematische Formel gestritten hatten. Unstrittig ist, dass Brahe anschließend eine Prothese trug – woraus diese jedoch bestand, ist eine kontroverse Streitfrage in der Brahe-Forschung. Zeitgenössische Quellen berichteten teils von einer Ersatznase aus purem Gold, wenigstens aber einer Gold-Silber-Legierung. Neuere Untersuchungen des Brahe-Leichnams legen hingegen Messing nahe. 

Während Brahes Nase verschollen ist und wahrscheinlich auch bleibt, scheint noch eine letzte Bemerkung zum Karrierepfad von Joshua Gilder angebracht: Wo ist einer am besten aufgehoben, der mit kommerziellem Interesse haltlose Giftmord-Verschwörungstheorien verbreitet? Richtig, im Weißen Haus. So schrieb Gilder nicht nur Reden für US-Präsident Ronald Reagan, sondern war unter George Bush im Außenministerium angestellt. Gemessen mit den heutigen Verhältnissen unter Trump erscheint das zwar als hochseriöse Personalpolitik – was aber wiederum ein Hinweis darauf ist, dass der erste Fehlschritt des Universums nur der Auftakt zu einer Serie immer seltsamerer Verirrungen war.

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