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Irie Révoltés

Der Sound der Rebellion

Irie Révoltés: Der Sound der Rebellion
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 Fotos: Luca Siermann 

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Mit deutsch-französischen Texten spielte sich die Heidelberger Band Irie Révoltés in die Herzen unzähliger Fans. Trotz der Bandauflösung 2017 sind ihre Songs aus keiner antifaschistischen Playlist wegzudenken. Jetzt meldet sich die Band zur "Irieunion" zurück.

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"L'été il est là", schallt es von der Bühne, auf Deutsch "der Sommer ist da". Und wie er da ist: Die Sonne knallt am 28. Juni 2025 bereits mit rund 35 Grad auf die knapp 5.000 Konzertgäste in Mannheim herab, bevor Irie Révoltés das Palastzelt auf dem Maimarktgelände gänzlich zum Kochen bringen. Irgendwo zwischen Reggae, Ska, Punk, Rap und Elektro bewegen sich die von der Heidelberger Band gebotenen Musikstile und sind damit beinahe so vielfältig wie die Gesellschaft, die sie in ihren sozialkritischen Songtexten propagiert. Eine Gesellschaft, die keine kapitalistische ist – die Band versteht sich als klar links und antifaschistisch.

In Mannheim ist es ein Wiedersehen nach mehreren Jahren Pause. 2017 hatte sich die Band aufgelöst, nachdem die "freien/glücklichen Aufständischen", wie sich der Bandname in etwa übersetzen lässt, fast zwei Jahrzehnte lang die linke Musiklandschaft geprägt hatten. Dieses Jahr feiert Irie Révoltés ihr Comeback und geht ein letztes Mal auf große Tour – zwar ohne neue Songs, aber mit gewohnter Energie. Das begeisterte Publikum beim ersten Konzert der "Irieunion" tanzte, sprang und grölte, bis der Schweiß von der nach oben gereckten Faust tropfte.

Aus Pablo und Carlos wurden Mal Élevé und Carlito

Musik spielte im Leben wie im Heidelberger Elternhaus von Pablo und Carlos Charlemoine immer eine große Rolle. Dass die beiden Brüder irgendwann ihre eigene Musik machen werden, kam also nicht überraschend. Pablo startete mit einer Punkband und Carlos mit R'n'B, bevor sie sich 2000 mit zwei Freunden an Gitarre und Schlagzeug für gemeinsame Song zusammentaten. Irie Révoltés war geboren, aus Pablo und Carlos wurden Mal Élevé und Carlito.

Dabei wirkt Mal Élevé überhaupt nicht so "schlecht erzogen", wie sein Künstlername vermuten lässt, als er vor dem "Irieunion"-Konzert gegenüber Kontext von den Anfängen der Band erzählt: "Unser allererstes Konzert spielten wir im Proberaum eines Heidelberger Jugendzentrums, und danach war uns klar, dass wir weitermachen müssen. Nicht nur wegen dem abgefahrenen Spaß dabei, auch, weil wir schnell gemerkt haben, dass wir hier unsere Messages rüberbringen können." Vor allem aber sei das Publikum ausschlaggebend gewesen, dass die Band immer weiter gemacht habe. "Diese Energie, die wir auf die Bühne bringen, kommt auch aus dem Publikum zurück, mit dem wir gemeinsam ausrasten. Auch als wir damals noch gar keine Bühne hatten, sondern einfach zwischen den Leuten auf dem Boden gespielt haben."

Bis in die deutschen Charts

Angefangen mit vier Songs, die sie während ihres Debüt-Konzerts vor 25 Jahren einfach vier Mal hintereinander spielten, ging es für Irie Révoltés bis in die Charts. Ihre Single "Zeit ist Geld" von 2009, ein Kommentar zur Finanzkrise, schaffte es bis auf Platz 71 der deutschen Airplay-Charts, ihr letztes, selbstbetiteltes Album kam 2015 auf Platz 21 der deutschen Album-Charts. Und in Österreich bekam die Band sogar eine goldene Schallplatte für ihre Single "Fäuste hoch". Darin heißt es programmatisch: "Für uns bedeutet das hier mehr als nur Musik. Wir leben, was wir singen, unsere Lyrics sitzen tief. Den Sound der Rebellion packen wir auf jeden Beat!"

Chartsplatzierungen scheinen der Band aber weniger wichtig. "Unsere größten Erfolge finden für mich aber eher im Kleinen statt", erklärt Carlito. "Was uns antreibt, ist eigentlich jede Person, die sich durch oder mit uns politisiert hat. Auch heute noch werden wir nach so vielen Jahren von Menschen damit konfrontiert, mit unseren Texten oder unserem Engagement irgendwas angestoßen zu haben. Das zeigt uns, dass wir das alles wirklich für etwas Besonderes gemacht haben." Irie Révoltés sehen sich als Teil einer Bewegung, sind Musiker wie Aktivisten gleichzeitig und unterstützen seit jeher auf als auch neben der Bühne Projekte, die ihnen am Herzen liegen. Zum Beispiel das Projekt "Respekt!", das sich gegen Vorurteile, Rassismus, Homophobie und Sexismus einsetzt.

Künstler:innen hätten gerade für junge Leute eine Vorbildfunktion auch im Politischen, sagt Carlito und freut sich, dass es mittlerweile immer mehr Künstler:innen gibt, die sich klar positionieren: "Wenn Fans einen selbst und die eigene Kunst cool finden, kann man sie nachhaltig erreichen. Musik und Konzerte können wie ein Trojanisches Pferd funktionieren, das die Menschen vielleicht das erste Mal mit linken Themen und Positionen in Kontakt bringt." Früher hätten sie sich als politische Band fast etwas isoliert gefühlt, sagt Mal Élevé. "Heute sind es mehr, die sich äußern und sich dagegenstellen. Das hilft, in dieser dystopischen Zeit nicht aufzugeben."

Gegenpol zum Rechtsruck

Genau in diesen "dystopischen Zeiten" möchte Irie Révoltés einen Gegenpol bilden, gegen den Rechtsruck in Deutschland und weltweit, gegen Kriege und Militarismus, gegen die ganze Menschenverachtung auf der Welt. In "Antifaschist", einem ihrer bekanntesten Songs, heißt es schon 2010: "Ich sehe Nazipropaganda, sie schwirrt überall im Netz, sie fühlt sich wohl im Bundestag im neuen Einreisegesetz. Am Stammtisch, wo man über die scheinbare Ausländerflut hetzt, fühlt sie sich zu Hause, in den Köpfen sitzt sie fest."

"Es ist traurig und hochfrustrierend, dass wir keine neuen Songs geschrieben haben, unsere Texte aber so aktuell wie eh und je sind", sagt Carlito, "Das könnte ich heute teilweise genauso schreiben, das kann doch nicht wahr sein! Die Gesellschaft driftet immer weiter nach rechts, und am Ende stehen meistens Wirtschaftsinteressen vor den Menschen. Das ist schlussendlich natürlich auch eine Systemfrage."

Mal Élevé bekräftigt, dass sich die Gesellschaft verändert habe und viel polarisierter als früher sei. "Wir werden heute als deutlich linksradikaler wahrgenommen, obwohl die Texte dieselben sind. Eigentlich müssten unsere Positionen meiner Meinung nach einfach normal sein", sagt er. "Wenn sich nur eine Person traut, irgendwann 'Nein!' zu sagen, wenn man auch 'Nein!' sagen sollte, haben wir schon viel erreicht."

Kraft aus der Musik

Carlito sagt, er verstehe das Denken in Schubladen grundsätzlich nicht. Alle sollten seine Band einsortieren, wo sie eben wollen. Er freut sich, wenn es Irie Révoltés bei ihren Konzerten schaffen, ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen, Energie zu geben und Motivation zu spenden: "Es ist trotz aller Schwierigkeiten in der Welt ein schönes und optimistisches Gefühl, dass wir bei unseren Konzerten mit vielen Gleichgesinnten feiern dürfen. Es macht Mut zu sehen, dass es doch noch einige Leute gibt, die dazu bereit sind, dagegenzuhalten und gegenzusteuern."

Vor allem sind die beiden Brüder "unendlich dankbar" dafür, mittlerweile mit ihrer Musik an so vielen Demos zu partizipieren, ohne selbst anwesend zu sein. "Das ist eine totale Ehre und echt der Wahnsinn, dass wir mittlerweile auf so vielen Playlists sind", sagt Mal Élevé. Dass die Inhalte von Irie Révoltés auch 2025 Anklang finden, scheint offensichtlich. Ursprünglich wollte die Band nur ein allerletztes Konzert am 20. Dezember spielen. Doch die Tickets dazu waren so schnell ausverkauft, dass nun eine ganze Tour auf dem Programm steht, sogar mit den ersten Zusatzterminen. "Es waren aber tatsächlich eher Zufälle, die dazu geführt haben, dass wir mit unserer 'Irieunion' wieder zurück sind", erklärt Mal Élevé, "Vor mehr als zwei Jahren haben wir uns das erste Mal zusammengesetzt, um abzuchecken, ob eine Rückkehr überhaupt mit unseren Lebensrealitäten vereinbar ist. Irie Révoltés besteht ja aus mehr Musikern:innen als nur uns beiden."

Carlito war zu Beginn eher skeptisch: "Es hatte längere Gespräche gebraucht, mich von einem Comeback zu überzeugen. Gucke ich mir aber die Geschehnisse weltweit oder einfach die Wahlergebnisse bei uns an, merke ich, dass es schon ein richtiger Moment ist, jetzt mit unseren Messages wieder auf der Bühne zu stehen."

Eine letzte Tour beginnt

Doch mit der großen (erneuten) Abschiedsshow im Dezember soll dann nach mehr als 600 Shows in über 25 Ländern definitiv Schluss sein. Carlito freut sich wieder auf sein Privatleben, aber natürlich zuerst auf eine unvergessliche Zeit mit der Band, der Crew und dem Publikum. Dass sie für ihr Comeback die ganze "Irie-Family" wieder zusammentrommeln, war Mal Élevé besonders wichtig: "Nicht nur auf der Bühne, auch beim Sound, beim Licht, beim Merch und bei der Orga sind wir fast dieselbe Crew, mit der wir 2017 aufgehört haben", sagt er. "Ich genieße jeden Moment, der dieses Jahr noch kommen wird." So auch die erste eigene Show auf dem Maimarktgelände, bei der es die Band schaffte, nicht nur geballte Energie zu liefern, sondern ihren familiären Vibe und das besondere Gemeinschaftsgefühl auf die Bühne zu tragen.

Die Vorfreude auf den bevorstehenden Abriss im Palastzelt stand unzähligen neuen wie altgedienten Fans bereits über drei Stunden vor Beginn der eigentlichen Irie Révoltés-Show ins Gesicht geschrieben. Noch bevor Musiker Osy, der 2024 mit Mal Élevé ein gemeinsames Album veröffentlichte, sein Vorprogramm eröffnete, konnte sich das Publikum bei einigen NGOs politisch informieren. "Nachdem die neue Regierung auch den letzten Rest an Unterstützung zur Seenotrettung gestrichen hat, ist es jetzt umso wichtiger für uns, aktiv und präsent zu sein", erklärt Rosa Simons von der Seebrücke Heidelberg. "Im aktuellen Rechtsruck wird linke und solidarische Arbeit erschwert, weswegen wir für diese Plattform bei Irie Révoltés sehr dankbar und auch darauf angewiesen sind."

"Dieses Land braucht mehr Linksradikale!"

Als zweite Vorband mischte Rio Riseup mit seiner Gruppe KAFVKA das Publikum auf. Ihren wohl bekanntesten Song "Alle hassen Nazis" veränderte die Berliner Politband in der Liveversion von "Das ist ja nicht mal links, was ich sag', wir sind ja nicht mal linksradikal" kurzerhand zu "Ist schon bisschen links was ich sag'" und forderte: "Dieses Land braucht mehr Linksradikale!"

Was im weiteren Verlauf des Abends auf der Bühne geboten wurde, machte überhaupt nicht den Eindruck, als seien Mal Élevé und Carlito mit ihrer Band je weggewesen. Für den einen oder die andere im Publikum wird dieses Konzert sicherlich ein heilendes Gefühl hinterlassen haben. Das Gefühl, mit eigenen Überzeugungen entgegen den aktuellen Wahlergebnissen einmal in der Mehrzahl zu sein und sich dabei sogar in eine Ekstase tanzen zu können.

Schade für die Fans, dass das Comeback von Irie Révoltés auf dieses Jahr beschränkt ist. Zumindest bei Mal Élevé wird es aber wie nach der letzten Bandauflösung solo weitergehen: "Da kommt 2026 so richtig Action, aber was genau, ist noch geheim." Doch egal, wohin es die acht Mitglieder von Irie Révoltés in Zukunft auch treiben wird, was ihnen gemein ist, haben sie schon in ihrem Song "Antifaschist" formuliert: "Ich wurde so geboren, ich werde so bleiben bis ich sterb', ich wurde so geboren, Antifaschist für immer, für immer."

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