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Ausstellung "Le sel noir", Villingen-Schwenningen

Schwarze Subjektivität

Ausstellung "Le sel noir", Villingen-Schwenningen: Schwarze Subjektivität
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 Fotos: Jens Volle 

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Datum:

Unter dem Titel "Le sel noir" präsentiert die Städtische Galerie Villingen-Schwenningen Werke von zehn Schwarzen Künstlerinnen und Künstlern. Die Videos, Fotos und Installationen zeigen, wie Schwarze Menschen sich selber sehen.

Tropische Pflanzen überwuchern eine gotische Ruine mit spitzem Bogen. Von dort aus bewegen sich in Mónica de Mirandas Video "Greenhouse (Transplanting)" vier Schwarze Tänzer:innen durch die Landschaft: von einem Spalt in einem Baum durch einen europäisch anmutenden Wald, Flussniederungen, ein Bambusdickicht, zwischen großen Monstera-Blättern bis zu einigen mehrstöckigen modernen Gebäuden. Es ist nicht ganz klar, ob sie auf der Flucht sind oder sich erholen, ob es sich um Pflanzungen handelt oder um freie Natur.

Doch was heißt hier schwarz? Die Haut der Tänzer:innen ist relativ hell. Das Video, Teil eines größeren Projekts, das Miranda auf der letztjährigen Biennale von Venedig vorgestellt hat, beginnt im Botanischen Garten von Lissabon. Die Künstlerin ist in Porto geboren, ihr Vater ist Portugiese, ihre Mutter Angolanerin. Schwarz ist eine Zuschreibung, der sich freilich Menschen, die als solche eingeordnet werden, nicht entziehen können. Auch wenn sie zur Hälfte Europäer:innen sind.

"Perspektiven Schwarzer Gegenwartskunst" zeigt die aktuelle Ausstellung der Städtischen Galerie Villingen-Schwenningen, die zwar 2006 einmal "Schwarze Kunstwerke" gezeigt hat, Werke Schwarzer Künstler:innen aber bisher noch nicht. Ein vergleichbares Projekt hat es auch weit über Villingen-Schwenningen hinaus bislang nicht gegeben. Der Perspektivwechsel rührt daher, dass die Galerie seit einem Dreivierteljahr einen neuen Leiter hat: Alejandro Perdomo Daniels, bisher als Kurator vor allem im norddeutschen Raum unterwegs.

Ein vergleichbares Projekt hat es aber auch weit über Villingen-Schwenningen hinaus noch nicht gegeben. "Le sel noir", der französische Titel der Ausstellung, stammt von einem Gedichtband des karibischen Autors Édouard Glissant, in deutscher Übersetzung 2002 erschienen als "Das schwarze Salz". Doch Perdomo Daniels wollte den Titel nicht übersetzen. Er will den Ausstellungsbesucher:innen klarmachen, dass es mehr als die eigene Sprache gibt, lenkt so die Perspektive auf andere, vielleicht neue Sichtweisen.

Wunden und die Suche nach Trost

Lisa Marie Asubonteng, die auch als Modefotografin arbeitet, ist im Stuttgarter Westen aufgewachsen. Ihre Mutter ist Deutsche, sie selbst lebt heute in Berlin. Doch auf den fünf ausgestellten Fotos posiert sie bei Accra am Strand. Dahinter steckt mehr als eine Urlaubserinnerung. An der ghanaischen Küste beginnt die erzwungene Diaspora Schwarzer Menschen. Von hier aus wurden Menschen als Sklavinnen und Sklaven verschleppt. Die Künstlerin sucht "Comfort", Trost: bei einem kleinen Jungen, dem sie die Hände reicht. Ähnlich wie Miranda in der Natur.

Schwarze Menschen haben in den letzten 200 Jahren viel Schmerz erlitten. "A Deep Wound", eine tiefe Wunde, heißt eine minimalistische Arbeit der Südafrikanerin Usha Seejarim, die wie die Fotoserie "Comfort" eigens für die Ausstellung entstanden ist. Das große Quadrat erinnert an die aufgeschlitzten Leinwände des italienischen Künstlers Lucio Fontana um 1960. Bei näherem Hinsehen zeigt sich: Die Arbeit mit dem blutroten Spalt in der Mitte besteht ganz aus Wäscheklammern – eine feministische Umdeutung eines Klassikers der Nachkriegsmoderne.

"Und heute, 20 Jahre später, sind die Wunden immer noch offen", hat Seejarim am 7. Januar auf einer Gedenkfeier für Laye-Alama Condé in Bremen festgestellt. Der aus Sierra Leone stammende Asylbewerber, der keine Straftat begangen hatte, wurde Anfang 2005 von Polizisten durch das zwangsweise Einflößen von Brechmitteln getötet. Folter, nennt das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Seejarim hat den Wettbewerb für ein Mahnmal gewonnen, das noch in diesem Jahr in Bremen aufgestellt werden soll.

Ölfässer, Kanister und Munitionsboxen stehen unter einem Tarnnetz in einem dunklen Raum. Auf den Fässern stehen Laptops, auf denen ausschnittweise das Gesicht des Künstlers, Nástio Mosquito, zu sehen ist. Er spricht, über Kopfhörer, mit seltsam abgehackter Stimme: "As far as I know, I am not traumatized. I am angry." ("Soviel ich weiß, bin ich nicht traumatisiert. Ich bin wütend.") Mosquito stammt aus Angola, ein Land, das einen langen Bürgerkrieg hinter sich hat und seinen heutigen Reichtum dem Erdöl verdankt.

Das Weltganze als Poesie der Beziehungen

Tanzen kann helfen, Traumata zu überwinden. Dies führt Harold Offeh in einem gelben Raum vor Augen. In zweimal vier hochformatigen Videos tanzen er selbst und drei weitere Tänzer:innen mit zuckenden Bewegungen, zusammenbrechend, dann selbstbewusst, frei. Lebensgroße Fotos von ihnen ziehen sich kreuz und quer durch den Raum, auch über den Boden und die Ecken hinweg. Offeh stammt aus Ghana und lebt in London. Zu der Arbeit haben ihn Recherchen über den Veitstanz im mittelalterlichen Europa angeregt.

Liebe und Schönheit sind Themen der Stoff-Applikationsarbeiten von Valerie Asiimwe Amani. Die Künstlerin aus Daressalam, der größten Stadt Tansanias, hat im vergangenen Jahr den Henrike Grohs Art Award gewonnen, den das Goethe-Institut an junge Künstler:innen des afrikanischen Kontinents vergibt. "To see your beauty", heißt eine Arbeit. Sie zeigt ein maskenartiges blaues Gesicht auf einer schönen Stoffbahn. Ketten sind daran geheftet, ein Zweig mit Blättern wächst von unten empor.

Die Ausstellung will das "schwarze Subjekt" zum Vorschein bringen, das "Selbst zwischen Selbstbehauptung und Fremdwahrnehmung". Mehr als andere Menschen werden "Schwarze" von "Weißen", also Menschen aus Europa oder europäischer Abstammung, als "anders" wahrgenommen. Sich dem gänzlich zu entziehen, erscheint nahezu unmöglich. Und genau das ist es, was Schwarze Menschen, die in den verschiedensten Ländern geboren und aufgewachsen sind und heute leben, überhaupt erst verbindet.

Was sollte etwa Sonia E. Barrett antworten, wenn man sie fragen würde, wo sie denn "eigentlich" herkäme? Geboren in England als Tochter eines Jamaikaners und einer Deutschen, ist sie in Hongkong, Zimbabwe, Zypern und England aufgewachsen und hat in Schottland, Berlin und New York studiert. Sie beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten karibischer Kultur, aber auch mit den Beziehungen zwischen den Regionen und Kontinenten der Welt, wie sie Édouard Glissant, der titelgebende Autor aus Martinique, in den kaum übersetzbaren Begriffen "Tout-monde" und "Relation" gefasst hat – dem Versuch, das Weltganze als Poesie der Beziehungen zu denken.

Zuschreibungen werden unleserlich

"Dreading the Map", heißt Barretts Arbeit: doppeldeutig, denn "to dread" heißt, dass einem vor etwas graut. Schwarze Menschen haben allen Grund, Karten zu fürchten. Ohne Karten wäre auch Amerika nicht entdeckt worden. Mit dem Lineal auf der Landkarte teilten die europäischen Mächte den afrikanischen Kontinent 1884 in Berlin untereinander auf. Gleichzeitig spielt Barrett aber auch auf die Dreadlocks der Rastafari an. Sie schreddert Karten und verflicht sie zu einer dreidimensionalen, schwebenden Installation, ungekämmt wie die Dreadlocks. Sie erobert den Raum – aber anders als die europäischen Eroberer.

Die Paradoxie der Zuschreibungen macht Lerato Shadi im Wortsinn sichtbar. Vielfach ineinander verschlungen sind ihre roten Schriftbänder auf Rohleinen. Doch wenn man näher tritt, um sie zu entziffern, erlebt man eine Enttäuschung. Die südafrikanische Künstlerin hat in beide Richtungen übereinander geschrieben, wie um zu zeigen, dass sich Zuschreibungen in der einen wie in der anderen Richtung lesen lassen. Aber auf diese Weise ist überhaupt nichts lesbar, und genau darum geht es. Sie verwendet auch Titel in ihrer Muttersprache Tswana, ohne sie zu übersetzen, denn sie will nicht erklären, sondern Differenzen hervorheben.

Dass eine zusammengesetzte Identität eine Bereicherung sein kann, zeigen Arbeiten von Ngozi Ajah Schommers. In Nigeria geboren, hat sie in Lagos und Hamburg studiert und lebt heute in Bremen. Auf drei großen Papierbogen sind in bunten Farben Schwarze Frauen in den verschiedensten Perspektiven dargestellt. Aus der Nähe betrachtet, zeigt sich: Das Papier hat Löcher. Was von weiter weg wie gemalt aussieht, ist aus Konfetti collagiert.

Eine weitere Arbeit Schommers' besteht aus zahllosen Schnüren und Zöpfen, die von einem Ring an der Decke herabhängen nach der Art der Kunst nigerianischer Friseure.

Syowia Kyambi schließlich, in Nairobi/Kenia geboren, derzeit Gastprofessorin in Nürnberg, hat zum einen im Garten der Städtischen Galerie eine Wand aus Strohballen, Lehm und Kuhdung errichtet. Dies mag einerseits die Vorstellung wachrufen, Afrikaner:innen lebten noch immer in einfachsten Lehm- und Strohhütten. Andererseits wäre genau dies die beste Art, ökologisch und klimaneutral zu bauen.

Es kommen vor allem Jüngere

Kyambis Installation im unteren Eckraum der Galerie reflektiert – ganz wörtlich – in einem vielschichtigen, poetischen Bild die Frage der Identität. Drei verschiedene Frauenbekleidungen hängen von der Decke: ein grauer Anzug, ein schwarz-blassgelbes Kostüm und ein rotkariertes Dienstmädchen-Outfit: Kleider machen Leute. Sie reflektieren sich in Spiegeln, die von der Decke herabhängen, und werfen Schatten auf die Wände, auf die bewegte, hellblaue Wolkenhimmel projiziert sind.

Die Ausstellung kommt gut an, beobachtet Alejandro Perdomo Daniels, der mit seinem Debut in Villingen-Schwenningen Maßstäbe im Umgang mit Werken Schwarzer Künstler:innen setzt. Im Vergleich zu bisherigen Ausstellungen käme ein jüngeres Publikum, bemerkt er, aus einem größeren Umfeld, weit über Villingen-Schwenningen hinaus.

Besonders freut ihn, dass die Hochschule Furtwangen, die mit ihrem Schwenninger Campus den größten Teil des Straßenkarrees besetzt, auf dem sich die Galerie befindet, die Ausstellung zum Thema eines Seminars über transkulturelles Lernen gemacht hat. Julika Baumann Montecinos, Professorin für transkulturelles Management, will damit ein gegenseitiges Verständnis und einen kulturübergreifenden Austausch anregen.


Die Ausstellung "Le sel noir" läuft bis 15. Juni und ist dienstags bis sonntags von 13 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr geöffnet.


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