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Karikaturen-Workshop mit Gerhard Seyfried

Robo-Reporter und Gurkenprojekte

Karikaturen-Workshop mit Gerhard Seyfried: Robo-Reporter und Gurkenprojekte
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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Datum:

Zum Kontext-Jubiläum gehörte auch ein zweitägiger Karikaturen-Workshop mit Zeichner-Ikone Gerhard Seyfried. 13 Studierende der HfK+G sollten sich zu den Themen "Zukunft des Journalismus" und "Absurde Großprojekte" etwas einfallen lassen. Die Ergebnisse haben uns begeistert – eine Auswahl.

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Wer hin- und herfliegende Wortkaskaden und eine vor fachlichem Disput flirrende Luft erwartet, ist bei einem Karikaturen-Workshop vermutlich fehl am Platz. Denn Zeichnerinnen und Zeichner arbeiten in der Regel eher leise und konzentriert. So auch die 13 Illustrations-Studierenden von der Stuttgarter Hochschule für Kommunikation und Gestaltung (HfK+G), die sich mit Workshop-Leiter und Comic-Legende Gerhard Seyfried und ihrem Professor Davor Bakara am 11. Juni um 10 Uhr im Glashaus zusammengefunden haben, einem Tagungsraum des Stuttgarter Theaterhauses, um zwei Tage lang zu zeichnen. Kurze Begrüßung, Vorstellung, zu bearbeitendes Thema, und schon geht's los. Stifte kratzen übers Papier, Bleistifte zum Vorzeichnen, schwarze Pigment-Liner zum Reinzeichnen, zwischendurch wird immer wieder radiert und alles wegen der feinen Details oft in einer Kopfhaltung, die Orthopäd:innen verzweifeln ließe.

Die Aufgaben: entweder Karikaturen oder Comics zu zwei vorgegebenen Themenblöcken umsetzen. Der erste orientiert sich am Motto des Kontext-Fests und lautet "Die Zukunft des Journalismus / Pressefreiheit", beim zweiten soll es um "absurde Großprojekte" gehen – wobei Stuttgart 21 natürlich nahe liegt, aber nicht aufgegriffen werden muss. Und am Ende sollen die Ergebnisse für einen Abend als Exponate Teil der schon laufenden Comic- und Karikaturen-Ausstellung im Theaterhaus werden.

Vom Zeichnen zur kapitalistischen Wertschöpfung

Kontaktscheue Einzelgänger sind die Workshop-Teilnehmer:innen dabei nicht. In kleinen Grüppchen gibt es immer wieder regen Austausch über die Themen, gewählte Motive, verwendete Stifte, Strichstärken. Schwarzweiß lassen oder kolorieren? Und wenn ja: mit Buntstiften oder Markern? Währenddessen geht Seyfried herum, schaut meistens nur, lobt immer wieder Ideen, gibt gelegentlich sparsame, aber präzise Anregungen zur Umsetzung oder Korrektur. So etwa dem Studenten Alessandro Strazzanti, der sich vorgenommen hat, Stuttgart 21 durch ein an den Turmbau zu Babel erinnerndes Motiv zu symbolisieren. Fragen der Perspektive werden diskutiert, "da zeichne ich mir immer eine Hilfslinie", sagt Seyfried und gibt noch ein paar Tipps für mehr Räumlichkeit.

Irgendwann kommt das Gespräch auf die digitale Nachbearbeitung von Zeichnungen und das nötige Equipment. Er habe sich einen neuen Mac für 2.000 Euro gekauft, sagt Seyfried, seitdem seien sein Drucker und Scanner nicht mehr kompatibel. Die Preispolitik von Apple wird mit wüsten Schimpfwörtern bedacht, der Bogen zu Produktlebenszeiten und damit zu allgemeinen Problemen der kapitalistischen Wertschöpfung gespannt: "Die könnten Glühbirnen machen, die ewig halten", beschwert sich Strazzanti, "aber dann würden sie ja keine mehr verkaufen." Seyfried unterstreicht das Prinzip mit dem Beispiel Strumpfhosen: Die hätten früher ewig gehalten – bis zur Erfindung der Laufmasche. "Da haben sie lange gegrübelt, wie sie die Nylonstrümpfe schneller kaputtgehen lassen." Es geht also, gelegentlich, auch um die großen Themen des Lebens in diesem Workshop. Dann herrscht wieder konzentrierte Ruhe und am Ende ist auch Strazzantis S-21-Turm fertig.

Seyfried hat in der Vergangenheit immer wieder Workshops geleitet, 2018 auch mit Kontext-Beteiligung, und so stand im vergangenen Jahr, als die Planungen für das nachgeholte Kontext-Jubiläum allmählich Fahrt aufnahmen, irgendwann auch die Idee im Raum, so etwas im Rahmen des Fests zu machen, begleitend zur geplanten Ausstellung mit Kontext-Comics und Karikaturen. Für die Finanzierung konnte die Wiedeking-Stiftung gewonnen werden, und Seyfried sagte ohne Zögern zu – ehe gesundheitliche Probleme seine Teilnahme wieder fraglich machten. Doch am Ende ging es ihm zum Glück wieder so gut, dass er die Bahnfahrt von Berlin nach Stuttgart auf sich nahm.

Hilfreich: Übung im konzeptuellen Arbeiten

Was auch erst gefunden werden musste: ein Kooperationspartner. Weil der Workshop auf nur zwei Tage angelegt war, aber am Ende schon vorzeigbare Ergebnisse stehen sollten, war die Idee, dass die Teilnehmenden keine zeichnerischen Anfänger sein, sondern schon gewisse Fähigkeiten mitbringen sollten, etwa durch ein Studium in diese Richtung. Dass die Hochschule für Kommunikation und Gestaltung (HfK+G) letztlich das Rennen machte, lag nicht zuletzt daran, dass es hier einen eigenen Bachelor-Studiengang für Illustration gibt, den einzigen im süddeutschen Raum. Und dass der HfK+G-Professor Davor Bakara – als Mitinitiator des Gratis-Comics-Projekts "Moga Mobo" selbst ein Stuttgarter Comic-Veteran – für die Idee schnell Feuer und Flamme war, seine Studierenden mit einer Comiclegende in Kontakt zu bringen. Während des Workshops zeigte sich schnell, dass die Studierenden schon Übung darin hatten, konzeptuell zu arbeiten, Themen schnell umzusetzen.

Seyfried machte dabei im Wesentlichen das, was er schon beim Caricatura-Workshop 2018 in Kassel folgendermaßen beschrieben hatte: Er habe sich vor dem Workshop überlegt, ob er als Feldwebel oder Weichei auftreten solle – und sich für das Weichei entschieden. So hielt er sich auch jetzt mit scharfer Kritik eher zurück, zeigte sich am vehementesten darin, sich von gut 50 Jahre jüngeren Studierenden das "Sie" zu verbieten und stand jederzeit für Fragen zur Verfügung. Was im Laufe des Workshops immer mehr genutzt wurde – nicht nur zu Fragen der Technik, sondern auch zu den Bedingungen eines Lebens als Comiczeichner und Karikaturist. Am Ende wurden Kontakte ausgetauscht und einige versprachen, Seyfried bei ihrem nächsten Berlin-Aufenthalt zu besuchen.

Gruß aus der Zukunft

Die entspannte Stimmung tat der Produktivität dabei keinen Abbruch. Was bei dem Workshop entstand – sowohl die Menge der Arbeiten als auch die Art der Umsetzung –, begeisterte nicht nur die Kontext-Redaktion, sondern auch viele Ausstellungsbesucher:innen, die eifrig fotografierten. Manche Ideen wie etwa der Robo-Reporter waren auch schon mal in Kontext Thema, andere wie das sprichwörtliche Gurkenprojekt noch nicht. Ganz besonders amüsiert waren wir von einem Gruß aus der Zukunft, den sich Arjann Härtner ausgedacht hat: die Kontext-Ausgabe Nummer 59.224 vom 11. Juni 3022, dann nicht mehr werbefrei – wir werden es wohl nicht nachprüfen können. Fest steht: Der Kontext-Karikaturen-Workshop, der erste seiner Art, war ein voller Erfolg.

"Großen Spaß" habe es auch ihm gemacht, sagte Gerhard Seyfried. Und womöglich war es die kreative und produktive Atmosphäre, die ihn mit zu seiner ersten Zeichnung seit fast einem Jahr animierte – zum Thema Stuttgart 21.


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