Ohne Unterstützung hätte er nicht herausgefunden, erzählt Gerhard Seyfried über seinen Aufenthalt im Irrgarten namens Hauptbahnhof Stuttgart. Über abgründig aufklaffende Baugruben führen hier Fußgängerstege, die abgesperrt sind, um sie herum lädt ein kunterbuntes Durcheinander von Pfeilen zu weitläufigen Spießrouten, die Gleise und Bahnhofsgebäude angeblich verbinden sollen und für die sich festes Schuhwerk empfiehlt. Der Berliner Kultzeichner kam hier am vergangenen Freitag mit einer für Deutsche-Bahn-Verhältnisse erstaunlich moderaten Verspätung von nur 70 Minuten an. Glücklicherweise hat Kontext-Redakteur und Karikaturist Oliver Stenzel das mit Stuttgart 21 verbundene Chaos über Jahre bis ins Detail studiert und konnte so für sicheres Geleit sorgen.
Die Wirren und Wehen um die weiterhin betriebene Bahnhofsruine waren auch ein beliebtes Motiv beim Comic-Workshop, für den Seyfried aus Berlin angereist ist und den unsere Redaktion in Kooperation mit der Stuttgarter Hochschule für Kommunikation und Gestaltung (HfK+G) ausgerichtet hat. Gezeichnet wurde zu den Themen Journalismus/Pressefreiheit und absurde Großprojekte (die entstandenen Werke der beteiligten Studierenden stellen wir nächste Woche ausführlich in Ausgabe 586 vor), und auch der Meister selbst hat zum Bleistift gegriffen: Nach einem Bandscheibenvorfall, einem Unfall und mehreren Operationen zeigt Seyfrieds erste Zeichnung seit rund einem Jahr einen verratzten Lüftungsschacht, aus dem eine siffige Plörre heraustropft, beschriftet mit einem Hinweis: "Stuttgart-Hbf Direkt-Zugang".
Bei der Präsentation der Workshop-Ergebnisse beim Kontext-Jubiläumsfest am Sonntag hielt Zeichnerlegende Seyfried die vielleicht kürzeste und bündigste Laudatio in der Geschichte der Festreden: Die Studenten waren sehr fleißig, er sieht jetzt keine mehr von ihnen im Publikum und weiß gar nicht, was er noch groß sagen soll. Mehr hat er dann auch nicht gesagt – "der Zeichner zeichnet und redet nicht", kommentierte Werner Schretzmeier, Chef des Theaterhauses.
Neben den Werken der Studierenden sind auch Karikaturen von Oliver Stenzel und die Ökodiktator-Comics von Björn Dermann und Peter Unfried ausgestellt (noch zu sehen bis zum 19. Juni!), ein älterer Herr schlendert kichernd daran vorbei und fragt dann gegen 18:15 Uhr wenig optimistisch: "Die Podiumsdiskussion zur Zukunft des Journalismus' ist wahrscheinlich schon vorbei, oder?" Ja, für die ist er leider drei Stunden zu spät. "Ahh, ich habe es befürchtet", seufzt er, "und ich wollte ja pünktlich sein. Aber Zugausfälle, überfüllte Waggons, eine Weichenstörung – Sie wissen ja, die Bahn ..."
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Peter Nowak
am 20.06.2022