"Es ist nichts mehr, wie es mal war", seufzt Margitta Horn, die als letzte Mieterin in ihrer Hauszeile in Stuttgart-Rot geblieben ist. Auch gegenüber lebt noch eine Familie, man sieht es am reich bepflanzten Balkon. Es sind unspektakuläre, dreigeschossige Nachkriegsbauten, die abgerissen werden sollen, um dem "Quartier am Rotweg" Platz zu machen, einem Projekt der Internationalen Bauausstellung IBA'27.
Horn ist mit ihrem Mann 1989, kurz vor der Wende, aus der DDR gekommen. Nach einem halben Jahr fanden sie endlich ihre Wohnung bei der Baugenossenschaft Neues Heim. Sie hat sich hier wohlgefühlt. "Es war eine richtige Hausgemeinschaft", schwärmt sie. Mit ihrer Nachbarin, einer aus Kroatien stammenden Krankenpflegerin, verband sie eine "innige Freundschaft". Nun ist die Kroatin weg wie alle anderen, wenn auch nicht weit. Alle haben Ersatzwohnungen bezogen, fast alle konnten im Viertel bleiben.
Was Margitta Horn erzürnt: Nach dem Tod ihres Mannes habe sie 10.000 Euro in die Renovierung ihrer Wohnung gesteckt, Küche und Bad rundum erneuert. Kurz zuvor habe man ihr noch gesagt: "Hier können Sie bis an Ihr Lebensende bleiben." Dann sollten die Häuser plötzlich weg. Inzwischen hat auch sie eine Ersatzwohnung akzeptiert: betreutes Wohnen in einem Haus, das noch nicht fertiggestellt ist. Nur eines wollte sie nicht: ein Fenster mit Blick auf das Areal, auf dem sie gelebt hat.
Begegnungen auf Augenhöhe? Manche Mieter zweifeln
Vor dem Haus hängen Wäschestücke auf der Leine, bedruckt mit Schwarzweißfotos vom Baracken-Notlager "Schlotwiese": Niedrige, strohgedeckte Hütten, in denen in der frühen Nachkriegszeit die Geflüchteten aus der Batschka, einer Region zwischen Serbien und Ungarn, untergekommen sind. Sie haben 1948 die Genossenschaft Neues Heim gegründet, die dann die Siedlung gebaut hat, zusammen mit der Baugenossenschaft Zuffenhausen, die etwa 100 der 172 Wohnungen besitzt. 250 bis 280 sollen es in Zukunft werden.
"Die Not schmiedete uns Schlotwieser zu einer einzigen großen Familie zusammen" steht an einer Hauswand. "Hier fanden die Ersten von uns ihr neues Heim" an einer anderen. Zitate der Erstbewohner. Rote Briefkästen stehen vor den Häusern. Die Bewohner haben Karten bekommen, auf denen sie ihre Erinnerungen und Gedanken eintragen konnten. Karten, Briefkästen und Sprüche stammen aus dem Reallabor Stuttgart Rot, das Wohnungsbauministerin Nicole Razavi am 8. Juli auf einer hölzernen Laborbühne im Zentrum des Quartiers eröffnet hat.
1 Kommentar verfügbar
Magdalena Schrade
am 01.12.2021Die freuen sich bestimmt wie Bolle auf die kurzen Wege zu ihren Co-Working-Spaces.