KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Land beschließt Nachtragshaushalt

Große Zahlen mit vielen Nullen

Land beschließt Nachtragshaushalt: Große Zahlen mit vielen Nullen
|

Datum:

Finanzpolitik in Zeiten wie diesen ist Mangelwirtschaft. Statt ernsthaft über neue Einnahmequellen nachzudenken, werden in Baden-Württemberg an der einen Stelle Löcher gestopft, um an anderen neue aufzureißen. Daran ändern auch die 13 Milliarden Euro aus den Sondervermögen des Bundes wenig.

Die Zustandsbeschreibung der baden-württembergischen Grünen und CDU in ihrem zweiten Koalitionsvertrag 2021 war realistisch. Angesichts der Abfederung der Corona-Pandemie und ihrer Folgen bei gleichzeitig sinkenden Einnahmen sei die Finanzsituation des Landes sehr angespannt, hieß es. Die aktuelle mittelfristige Finanzplanung weise für die kommenden Jahre eine große Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben auf. Hinzu kämen die Ungewissheit, die Situation von Wirtschaft und Arbeitsmarkt sowie die Entwicklung der Steuereinnahmen: "Deshalb ist eine strenge Ausgabendisziplin erforderlich."

Zugleich waren aber, wie es Usus ist zum Start in eine neue Legislaturperiode, die Versprechungen vollmundig: zur Gestaltung des Landes, zur nachhaltigen Finanzpolitik, im Klimaschutz ohnehin oder in Sachen Künstliche Intelligenz. Als Ziel wurde unter anderem genannt, "Baden-Württemberg zum weltweit attraktivsten Raum für die Entwicklung, Produktion und Anwendung neuer Technologien einer nachhaltigen und intelligent vernetzten Produktion zu machen". Nach jedem Ideenbündel folgte schon damals diese Einschränkung auf dem Fuße: Nicht weniger als 13 Mal schrieben die Unterhändler:innen vor viereinhalb Jahren in den Koalitionsvertrag, dass aufgrund der angespannten Haushaltssituation sämtliche zusätzlichen finanzwirksamen Maßnahmen unter Haushaltsvorbehalt stünden. Nur wenn es wieder finanzielle Spielräume gebe, könnten beschlossene Maßnahmen auch umgesetzt werden.

Dennoch stellten Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), sein Stellvertreter Thomas Strobl (CDU) und der heutige neue starke Mann der Union im Land, Manuel Hagel, damals als Generalsekretär im Verhandlungsteam, seinerzeit in Aussicht, sich am Erreichten messen zu lassen: "Das ist die Richtschnur unserer Politik." Immerhin trug der Koalitionsvertrag den schmückenden Namen "Erneuerungsvertrag".  

Das meiste geht an die Kommunen

Inzwischen ist erhebliche Ernüchterung eingetreten. Zwar steht Baden-Württemberg deutlich besser da als andere Bundesländer und mit seiner Pro-Kopf-Verschuldung hinter Hessen oder NWR. Das Musterländle von ehedem kann sich sogar Dauerhändel unter Regierungs- und Oppositionsfraktionen darüber leisten, ob Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) nun auf einem Schatz in Milliardenhöhe – vornehmlich bestehend aus Risikorücklagen – sitzt oder nicht. Erst kürzlich, bei der Debatte zur Einbringung des Nachtragshaushalts, hielt SPD-Fraktionschef Andreas Stoch dem Grünen insgesamt elf Milliarden Euro vor: neun Milliarden an sogenannten Ausgabenresten, also Mittel, die nicht abgeflossen sind, und zwei weitere Milliarden dank der positiveren Steuerschätzung. Bayaz selber verweist auf die engen Spielräume und weiß nicht einmal die milden Gaben aus Berlin stringent einzuschätzen. Er spricht bei der Landtagsdebatte in der vergangenen Woche einerseits davon, dass "wir uns vielleicht etwas Zeit kaufen, vielleicht geben wir den Kommunen etwas Luft zum Atmen". Andererseits lobt er die "enorme Unterstützung" der Städte und Gemeinden in schwieriger Situation.

13 Milliarden Euro hat das Land zu erwarten. Das ist eine große Zahl mit vielen Nullen, die bei näherer Betrachtung im Detail aber rasch und deutlich schrumpft. Erstens kommt das Geld auf zwölf Jahre verteilt an, pro Jahr rechnerisch also knapp 1,1 Milliarden. Davon bekommen die Kommunen über 8,7 Milliarden, ebenfalls auf zwölf Jahre verteilt. Die Verteilung ist ausverhandelt: Die größte Summe aus dem Topf geht mit insgesamt fast 270 Millionen in die Kasse der Landeshauptstadt. 

Pars pro toto hat Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) trotzdem mit anderen Rathauschefs der Republik Alarm geschlagen und es so zu einer Einladung ins Kanzleramt des Parteifreunds Friedrich Merz gebracht. Danach kann auch er nur Durchwachsenes vermelden. "Es war ein gutes Gespräch auf Augenhöhe", behauptet Nopper tapfer. Konkret indes wird über eine neue Aufgaben- und Finanzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen erst gesprochen, wenn Staatsmodernisierung und Reformen der Sozialsysteme Erfolge zeitigten. Schriftlich bilanziert der Stuttgarter OB: “Der Ernst der Lage ist im Kanzleramt angekommen." Nicht ohne die Gespräche als "ergebnislos" zu bezeichnen.

Mit der Totalabhängigkeit vom Wirtschaftsaufschwung haben sich alle staatlichen Ebenen in eine Sackgasse manövriert. Da nützt es wenig, wenn Bayaz ein Selfie mit Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) macht und das gute Gespräch über die wirtschaftspolitische Lage lobt ("Ein bisschen über Hip-Hop und unsere kleinen Kinder haben wir auch gesprochen"). Der Umgang mit der Mehrwertsteuersenkung nährt den Verdacht, dass es so harmonisch doch nicht steht. Bei der Gemeinschaftssteuer, die Bund, Ländern und Gemeinden zugutekommt, zeigt sich, wie sich eine Bundesregierung Entscheidungen zulasten Dritter erlaubt. Deshalb ist zu Recht noch offen, ob der Bundesrat in seiner letzten Sitzung vor Weihnachten am 20. Dezember das Manöver überhaupt mittragen wird, weil die eigenen Haushalte und jene der Kreise und Kommunen zusätzlich belastet werden. 

Sondervermögen finanziert versäumte Investitionen

Dazu verdeutlicht die Liste jener Vorhaben, die Baden-Württemberg 2026 mit dem Geld aus dem Sondervermögen finanzieren wird, eigene Versäumnisse. "Wir bauen den Rückstau bei den Rettungswachen ab", erläuterte der CDU-Finanzier Albrecht Schütte nach der Einigung mit den Grünen in der Vorwoche. Ferner würden "dringend notwendige Maßnahmen" an den Universitätskliniken und Universitäten sowie an Gerichts- und Polizeigebäuden vorangebracht. Im Klartext: Die schlimmsten dort eingetretenen Zustände sollen nicht mehr hingenommen werden.

Eckdaten

Der laufende Doppelhaushalt des Landes Baden-Württemberg für die Jahre 2025 und 2026 hat ein Volumen von gut 135 Milliarden Euro. Der Anteil der Personalausgaben liegt bei rund 36 Prozent. Grün-Schwarz hat in monatelangen Verhandlungen vor einem Jahr unter anderem die frühkindliche Sprachbildung, finanziert mit 216 Millionen Euro, oder rund 650 zusätzliche Polizeistellen zu Schwerpunkten erklärt. Damals dominierte die Debatten auch die Haltung der in Berlin noch oppositionellen Union, die jede Veränderung an der Schuldenbremse strikt ablehnte. Das ist bekanntlich Geschichte, auch deshalb können die Mittel aus dem Sondervermögen fließen. Die Schuldenstand des Landes beläuft sich gegenwärtig auf 44,4 Milliarden Euro.  (jhw)

Zum Beispiel in Fragen der energetischen Sanierung von Landesgebäuden. "Möglichst schnell" sollten die klimaneutral sein. "Die Landesgebäude werden energetisch saniert", schrieben die Koalitionär:innen bereits 2021. Und weiter: "Wir streben vorbildliche Energiestandards an und betreiben ein ehrgeiziges Energiemanagement." Aber dafür galt und gilt: Das Geld dafür muss da sein. Jetzt sind es immerhin 250 Millionen, die aus dem Sondervermögen dafür eingeplant sind. Von Vorbildfunktion oder Ehrgeiz spricht jedoch niemand mehr. Vielmehr schlummert sogar in der Formulierung zur Verteilung der Mittel das Eingeständnis, viel zu langsam vorangekommen zu sein: "Die Wärmewende bei den Landesliegenschaften soll deutlich beschleunigt werden."

Zur Wahrheit gehört, dass die Infrastruktur schon von CDU und FDP und vor dem Machtwechsel zu Grün-Rot 2011 auf Verschleiß gefahren wurde. Und dass ab 2016 Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) den Begriff der impliziten Schulden nicht nur in die Debatte eingeführt hat, sondern auch begonnen wurde, den Investitionsstau abzubauen. Seit Corona und den milliardenschweren Hilfen, seit die Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen dank einer boomenden (Export-)Wirtschaft versunken sind, wird der Nachholbedarf wieder größer statt kleiner.

Trauriger Evergreen: kostenloses Kindergartenjahr

Vor allem in den nächsten Wochen. Am Ende einer Legislaturperiode stehen naturgemäß die nächsten Wahlen vor der Tür. Ein Wahlkampf ohne allerlei Verheißungen ist irgendwas zwischen unmöglich und unwahrscheinlich. Genauso wie die Vorstellung, dass die Formulierung von dem Haushaltsvorbehalt Eingang in Wahlprogramme findet. Also werden darin, wie es halt so Tradition ist, Verbesserungen munter in Aussicht gestellt. Zum Beispiel für Familien dank eines kostenfreien letzten Kindergartenjahres.

Das Thema ist ein trauriger Evergreen seit vielen Jahren, immer wieder gerne gefordert, immer wieder aus Finanzierungsgründen weggepackt. Ausgerechnet Andreas Stoch, der selber als Kultusminister zwischen 2013 und 2016 die Forderung nicht umsetzten konnte, tischt jetzt Grünen und Schwarzen ihre neuerlichen Pläne auf. Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz habe gerade erst im Teckboten erläutert, dass frühkindliche Bildung die beste Sozial- und Integrationspolitik sei und jeder investierte Euro mehrfach zurückkomme.

Auch Manuel Hagel, der CDU-Spitzenkandidat, bekam in der Debatte zum Nachtragshaushalt sein Fett weg angesichts der Aussage in der "Rhein-Neckar-Zeitung", er sei "sehr offen dafür, dass man beispielsweise ein verpflichtendes letztes Kindergartenjahr einführt", und dafür, dass "die Gesellschaft die Finanzierung wuppt". Sofort ging die SPD in die Offensive und legte einen entsprechenden Änderungsantrag vor. Der allerdings wird die Mehrheit im Landtag verfehlen. Und in fünf Jahren muss der nächste Koalitionsvertrag abermals darauf abgeklopft werden, welche noch so gute Idee am Ende das Papier nicht wert war, weil das Geld fehlt. Die Milliarden Euro aus dem Sondervermögen hin oder her.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!