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Wohngeld in Stuttgart

Die Schwächsten müssen lange warten

Wohngeld in Stuttgart: Die Schwächsten müssen lange warten
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Monate, teils sogar Jahre warten manche Stuttgarter:innen, bis ihr Antrag auf Wohngeld bearbeitet ist. Die Stadt könnte vorläufige Bescheide erteilen, macht davon aber keinen Gebrauch. Einkommensarme haben das Nachsehen. Denn das Wohngeld ist Voraussetzung für weitere Sozialprogramme.

Wer in Stuttgart lebt und regelmäßig mit Behörden zu tun hat, kennt das Problem der langsam mahlenden Mühlen. Bürgerbüros bleiben geschlossen, Anträge stapeln sich und bis sie endlich bearbeitet werden, vergeht oft viel Zeit. Nur selten lassen sich Probleme so klar auf eine einzige Ursache zurückführen wie in diesem Fall: Es fehlt der Stadt an qualifiziertem Personal. Besonders hart trifft der Mangel jene, die auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind – etwa beim Wohngeld. Das zeigt das Beispiel von Luise H. aus Bad Cannstatt, die fast ein Dreivierteljahr warten musste, bis ihr Antrag bewilligt wurde. Sie hatte ihn mit viel Vorlauf bereits im Oktober 2024 eingereicht, um ab April 2025 Wohngeld zu erhalten. "Ich wusste ja, dass es ewig dauert", sagt sie.

H. ist alleinerziehende Mutter von zwei Grundschulkindern. Bis März war sie noch in Elternzeit, danach begann sie wieder zu arbeiten: als Sozialarbeiterin, allerdings in Teilzeit. "Vollzeit schaffe ich nicht mit zwei Kindern", sagt sie. Das geringe Einkommen spürt die Familie deutlich. Große Urlaube sind nicht drin, Reisen ins Ausland ohnehin nicht. "Wir fahren mal in eine Jugendherberge oder zu meinen Eltern", erzählt sie.

Zwar lebt die Familie in der Wohnung einer Baugenossenschaft, wo die Mieten noch etwas moderater sind als bei profitorientierten Unternehmen oder den meisten privaten Vermieter:innen, doch selbst die günstigsten Angebote in der teuren Stadt sind mit Teilzeitgehalt eine Belastung. Gleichzeitig will Luise H. ihren Kindern gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen: Breakdance, Fußball, Basketball – und der Kleine möchte Klavier spielen. "Das kann ich gar nicht zahlen."

Wohngeld ist Voraussetzung für weitere Leistungen

Gerade deshalb ist für Familien wie die von Luise H. ein Wohngeldbescheid so wichtig. Denn er ist Voraussetzung für weitere Förderprogramme: zum Beispiel für die Stuttgarter "Bonuscard + Kultur", mit der es ermäßigte Tickets im Nahverkehr und kostenlosen Eintritt in zahlreiche Kulturinstitutionen gibt. Außerdem berechtigt der Wohngeldbescheid dazu, beim Jobcenter Leistungen für "Bildung und Teilhabe" (BuT) zu beantragen – darunter monatlich 15 Euro für Freizeitaktivitäten, 195 Euro im Jahr pro Kind für Schulmaterial, kostenlose Schulmittagessen und Zuschüsse für Klassenfahrten.

"Mir ging es gar nicht so sehr ums Wohngeld", sagt H. Wichtig war ihr überhaupt ein Bescheid, damit sie die Bonuscard und BuT beantragen kann. Ohne diese Unterstützung fehlten ihr mehrere hundert Euro im Monat, sagt sie. Im Juni wurde ihr Antrag schließlich genehmigt – acht Monate nach Antragstellung. Sie erhält nun 180 Euro Wohngeld im Monat, rückwirkend ab April.

Bis zur Bewilligung hakte Luise H. immer wieder nach. "Im März habe ich angerufen und gefragt, wie es aussieht", erzählt sie. Man habe ihr gesagt, man mache einen Vermerk – und sie solle bitte nicht mehr anrufen. Auch im April bekam sie dieselbe Antwort. "Da habe ich Panik bekommen."

Sie schrieb schließlich eine E-Mail an Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU), Sozialbürgermeisterin Alexandra Sußmann (parteilos) und die Geschäftsstelle des Gemeinderats. "Ich kämpfe mich durch den Alltag, um meine Kinder bestmöglich auf das Leben vorzubereiten", schrieb H., und: "Ich bin jetzt auf die Unterstützung der Wohngeldstelle angewiesen."

Nur eine Fraktion hat geantwortet

Eine Antwort bekam sie nur von der Fraktionsgeschäftsstelle der Linken SÖS Plus, die sich daraufhin selbst an die Wohngeldstelle wandte. Im Mai suchte Luise H. zusätzlich die Bürgersprechstunde der Linken auf. "Ich habe nach jedem Strohhalm gegriffen, weil ich nicht mehr weiterwusste." Und der Cannstatter Bezirksvorsteher Bernd-Marcel Löffler schaltete sich ein. "Für die lange Bearbeitungszeit, die auf akutem Personalmangel beruht, muss und möchte ich mich ausdrücklich entschuldigen", schrieb er per Mail.

Auf Anfrage teilt die Pressestelle der Stadt mit, zwischen Eingang des Antrags und endgültigem Bescheid würden normalerweise sechs bis sieben Monate vergehen. Allerdings sei die Lage in den zwölf Dienststellen unterschiedlich, in Einzelfällen könne es also schneller oder auch länger dauern. Seit Inkrafttreten des Wohngeld-Plus-Gesetzes im Januar 2023 habe sich die Bearbeitungszeit verlängert. Durch die Reform sind bundesweit rund zwei Millionen mehr Menschen in der Republik wohngeldberechtigt.

Um darauf zu reagieren, habe die Stadt bereits 2022 eine "Taskforce Wohngeld" eingerichtet und 58,3 neue Stellen geschaffen, heißt es seitens der Verwaltung. Der Großteil sei inzwischen besetzt. Eine "deutliche Entlastung" werde aber erst erwartet, wenn die Neuen mehr Praxiserfahrung gesammelt hätten. Die Zahl der Anträge sei von unter 12.000 im Jahr 2022 auf über 15.500 in 2023 gestiegen, im vergangenen Jahr lag sie bei rund 13.500.

Vorläufiges Wohngeld: doppelter Aufwand

Luise H. wünscht sich, dass Antragsteller:innen zumindest eine vorläufige Bestätigung erhalten könnten, um Bonuscard und BuT früher zu beantragen. Die Stadt verweist auf eine Kulanzregelung: Wer bis einschließlich November des Vorjahres wohngeldberechtigt war, darf die Bonuscard fürs Folgejahr weiterhin beantragen. Zwar könnten Wohngeldstellen vorläufige Leistungen gewähren, Stuttgart macht davon aber keinen Gebrauch. Voraussetzung wäre eine hohe Wahrscheinlichkeit des Anspruchs. Sobald Miete, Einkommen und Haushaltsgröße bekannt seien, könne in der Regel ohnehin endgültig entschieden werden, so die Stadt. Außerdem könnten überhöhte vorläufige Zahlungen später zurückgefordert werden – das wolle man vermeiden.

Spricht man mit Leuten aus dem Cannstatter Bezirksrathaus, heißt es, ein vorläufiger Bescheid bedeute doppelten Aufwand: Er müsse für die endgültige Entscheidung erneut geprüft werden. Doch schon jetzt fehle es an erfahrenem Personal, viele Beschäftigte seien krank, neue Bewerber:innen wollen sich am Quereinstieg versuchen.

Was nicht gesagt wird, aber durchaus mit ein Grund gegen die vorläufige Zahlung des Wohngelds sein könnte: Wird nach einem Jahr kein endgültiger Bescheid erteilt, gilt das vorläufig gezahlte Wohngeld als bewilligt – Rückforderungen von zu viel gezahltem Geld müsste die Stadt dann nicht vermeiden, sie wären unmöglich.

Und dass es durchaus mal über ein Jahr dauern kann, bis ein Antrag bearbeitet wird, ist bekannt. Kontext liegt zum Beispiel ein Schreiben der Wohngeldstelle Zuffenhausen vor: Ein Antrag aus dem Dezember 2023 wurde erst im September 2025 bearbeitet – mit der Aufforderung, Unterlagen nachzureichen. Auch Luise H. kennt zwei ähnliche Fälle aus ihrem Umfeld. Aus dem Rathaus heißt es, Bearbeitungszeiten von über einem Jahr seien "absolute Ausnahmen". H. jedenfalls wird bald schon wieder einen neuen Antrag stellen müssen – denn Wohngeld wird nur für ein Jahr bewilligt. Ihr aktueller Bescheid läuft deshalb im März aus.

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2 Kommentare verfügbar

  • Reinhard Gunst
    vor 3 Tagen
    Antworten
    Natürlich kann man alles immer dem leidigen Personalmangel anlasten. Doch wenn im Sozialamt sich die Zahl der Mitarbeiter innerhalb von 3 Jahren um glatte 23% vermehrten, fragt man sich doch, mit was sich alle beschäftigten. Blickt man da aber in den neuen Haushaltsplan, bietet der eine Erklärung.…
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