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Frauen im Parlament

Die Sache mit dem Reißverschluss

Frauen im Parlament: Die Sache mit dem Reißverschluss
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Für die Landtagswahl in Baden-Württemberg ist ein prominentes Datum ausgeguckt: der 8. März 2026, 105 Jahre nach dem ersten Internationalen Frauentag. Am Männerüberhang wird das wenig ändern. Denn ohne ehrliche Quote muss weiterhin jede Reform Stückwerk bleiben.

Der Bundestag macht es vor, wie es nicht geht. Schon allein mit der AfD hat sich eine Fraktion so sehr vergrößert auf 152 Abgeordnete, in der Frauen traditionell Mangelware sind. Die Union bleibt ebenfalls – wieder einmal – deutlich hinter eigenen Vorgaben zurück, so dass sich sogar öffentlich Widerstand formiert. Mechthild Heil, die Vorsitzende der Gruppe der Politikerinnen von CDU und CSU im Bundestag, fordert die Hälfte der Ämter in Partei und in der neuen Bundesregierung. Tatsächlich werden sie gerade so schlecht behandelt wie schon lange nicht mehr. In der internen Verhandlungsgruppe, die über Verteilung von Gremienämtern in der schwarzen Fraktion berät, sitzen 24 Menschen, darunter sage und schreibe eine einzige Frau.

Gerade der Umgang mit Heil selbst steht für die unterirdische Rückständigkeit ihrer Partei. Die 63-Jährige Bauingenieurin aus Andernach hat Erfahrung als langjährige Gemeinde- und Kreisrätin, sie ist CDU-Kreis- sowie stellvertretende Landesvorsitzende und Mutter von drei Söhnen. In der vergangenen Legislaturperiode gehörte sie als Fachpolitikerin dem Ausschuss für Bauwesen und Stadtentwicklung an. In den Koalitionsverhandlungen sollte sie trotzdem in jene Fachgruppe, die Familienpolitik verhandelt, woraufhin sie dankend verzichtete. "Die männerdominierte Union muss sich ändern", rüffelt sogar Stephan-Andreas Casdorff im Berliner "Tagesspiegel". Für eine Rechnung ohne Frauen bekomme sie die Quittung: "Wenn nicht heute, dann morgen."

Im Südwesten, am anderen Ende der Republik, ist die Botschaft noch gar nicht angekommen. Der gerade offiziell zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2026 ausgerufene CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzende Manuel Hagel hat zum diesjährigen 8. März gepostet: "Bei uns ist jeder Tag Weltfrauentag." Und dann beherzt appelliert: "Sei ein Teil davon und mach mit". In der richtigen Welt bleibt die konkrete Umsetzung bislang dürftig. Nur zwei Wochen später ging, ein Beispiel für die Schräglage, Sabine Hartmann-Müller, Landtagsabgeordnete seit acht Jahren, beim Versuch der Wiedernominierung im Wahlkreis Waldshut sang- und klanglos unter.

Die 62-Jährige ist Hinterbänklerin, wie es sie – geschlechterunabhängig – in jeder Fraktion geben muss. Sie glänzt nicht mit brillanten Reden, aber die sind im hiesigen Landesparlament ohnehin längst schmerzlich selten geworden in den Plenardebatten. Immerhin ist die frühere Ortsvorsteherin, Mutter zweier Kinder, Verkehrsexpertin und europapolitische Sprecherin ihrer Fraktion auch im Landesvorstand der Frauen-Union. Gewählt wurde aber der Jung-Unionist Simon Herzog (25), seit sieben Jahren in der Autoindustrie tätig. Er versteht sich als Teil des Aufbruchs und des Generationenwechsels unter Hagel, "der frischen Wind bringt".

Im Südwesten wollen Männer nicht verzichten

Grüne Vorreiterinnen

Die Grünen zeigen – von einzelnen Ausreißern abgesehen – seit Jahren, dass das innerparteilich funktionieren kann mit der Gleichstellung. Von Anfang an sind Delegierte und Basis an die sogenannte Mindestquotierung als Selbstverständlichkeit gewöhnt, die nicht nur Geschlechter-Parität vorsieht, sondern dass "mindestens die Hälfte" von Mandaten und Ämtern an Frauen geht, siehe die vergangene und die aktuelle Bundestagsfraktion, die mit Katharina Dröge und Britta Haßelmann zwei Chefinnen hat. Seit 1986 gilt für Baden-Württemberg ein eigenes Frauen-Statut. Die Mindestquotierung beschränke sich nicht auf die numerische Repräsentanz von Frauen in den Gremien, steht da zu lesen, sondern heiße "vielmehr, dass eine mindestens hälftige Verteilung sämtlicher Aufgabenfelder innerhalb dieser Gremien vorgenommen werden muss". Vor hässlichen Grabenkämpfen um ein Mandat vor Ort, wie kürzlich in Konstanz, schützen solche Regeln aber auch nicht. Nese Erikli, stellvertretende Vorsitzende der grünen Landtagsfraktion und alleinerziehende Mutter, wurde innerparteilich – und durch den "Südkurier" medial befeuert – unter Druck gesetzt mit der Frage, wo eigentlich ihr Lebensmittelpunkt liege: in Stuttgart oder im Wahlkreis. Ganz so, als müsste Winfried Kretschmann sich bei jeder Neunominierung seit den Achtzigern immerzu erklären, warum er eigentlich nicht im Wahlkreis Nürtingen lebt, sondern im rund 90 Kilometer entfernten Laiz. Dass Nachrückerinnen erfolgreich angegriffen werden, kann kein Frauenstatut verhindern. In Heidelberg kickte der Kreisvorsitzende Florian Kollmann die promovierte Polizeiexpertin Marilena Geugjes aus dem Kreis der Kandidat:innen für 2026.

Das große Aber lautet jedoch: Das sind Einzelfälle, die politisch durch die Parteispitze gewollt sind und offensiv auf der neuen Landesliste ausgeglichen werden. Wobei, ein Treppenwitz der Geschichte, ausgerechnet die Grünen die Reform gar nicht gebraucht hätten: Anders als in allen anderen Parteien weist ihre Basis ausreichend viele Frauen auf. Die Zahlen sprechen jedenfalls für sich: 2011 lag der Männeranteil bei 69 Prozent, gegenwärtig sind die Männer mit 49 Prozent sogar knapp in der Minderheit.  (jhw)

Der Blick in die Vergangenheit lehrt: Fälle wie dieser sind keine Seltenheit in der CDU. Ungewöhnlich jedoch ist, mit welch starken Worten sich diesmal die Frauen-Union Südbaden wehrt. "Wir sehen immer mehr, dass Männer sich in der Politik gegen weibliche Kandidatinnen durchsetzen", heißt es in einer couragierten Stellungnahme, die zumindest zeigt, dass auch in der Union Funktionsträgerinnen nicht mehr bereit sind, nach solchen Niederlagen einfach zur Tagesordnung überzugehen. Zudem kämen Frauen "meist nur ins Mandat, wenn männliche Amtsträger sterben oder eine andere lukrativere Tätigkeit übernehmen können oder, was sehr selten ist, freiwillig aus der Politik ausscheiden". Die rückten dann nach, machten oft einen hervorragenden Job, was aber leider parteiintern nicht immer wahrgenommen werde – "und das weckt Ansprüche auf das Mandat".

Die landesweite Übersicht der Frauen-Union vor allem weckt den Eindruck, dass CDU-Männer freiwillig die Macht weiterhin nicht gerecht teilen wollen. In 60 der 70 Wahlkreise ist nominiert, unter den Kandidaten sind nur 17 Kandidatinnen. In 18 Wahlkreisen treten, inklusive Ersatzkandidaten, für die Schwarzen sogar nur Männer an. Immerhin positiv ist die Bilanz in Sachen Kampfkandidaturen. Denn da haben drei Frauen verloren, aber vier gewonnen. Suanne Wetterich, die Landesvorsitzende, hofft noch auf Erfolge in den nächsten Tagen: "Ein Spaziergang ist das auf jeden Fall nicht."

All die Debatten über die Wahlrechtsreform im Land, über das neue Zwei-Stimmen-Wahlrecht und die Notwendigkeit, den Männerüberhang in den Parlamenten auf allen Ebenen endlich abzuschmelzen, bewirken also noch lange keinen Sinneswandel. Gerade in der CDU drängt eine Generation junger Männer ohne jeden progressiven gesellschaftspolitischen Anspruch nach. In einem beim Landestag der Jungen Union 2024 in Rottenburg beschlossenen Leitantrag finden sich Sätze wie dieser: "Von linksextremen Kulturkämpfern wird nun die Abschaffung des § 218 StGB angestrebt." Natürlich ist die JU Baden-Württemberg dagegen, ebenso wie gegen diesen aus JU-Sicht offenbar anschwellenden Hang, sich "leichtfüßig in die Dienste einer woken Ideologie zu stellen". Die Frauenquoten wurden selbstredend abgelehnt.

Die allerdings hat sich die Mutterpartei auf dem Bundesparteitag 2022 in Hannover gegeben. Und der Zeitplan ist gerade für den Südwesten delikat. Die Kandidat:innen-Aufstellungen sind bis Anfang Mai abgeschlossen. Danach finden die Listenparteitage in den Bezirken und die entscheidende Landesvertreterversammlung statt. Erst ab dem 1. Juli 2025 gilt in der CDU der berühmte Reißverschluss: Auf Mann folgt Frau und auf Frau folgt Mann, wenngleich nur für die ersten zehn Listenplätze. Nach Angaben der Frauen-Union ist mit Hagel aber beschlossen, dass die Regelung um gut sieben Wochen vorgezogen wird und damit für die Liste zur Landtagswahl 2026 greift. Regionalproporz, Parität, Kompetenz und nicht zuletzt die Nähe zum Landesvorsitzenden muss unter einen Hut gebracht werden. Zur Wahrheit gehört allerdings: Andere Parteien sind noch lange nicht so weit. Bei der AfD ist der Männer-Überhang gewollt, bei der FDP finden die liberalen Frauen keine Mittel und Wege, für eine adäquate politische Beteiligung zu sorgen.

Regional- versus Geschlechterproporz

Obendrein kann das neue Zweistimmenwahlrecht entgegen manchen ursprünglichen Erwartungen die Situation sogar noch verschlimmern. Mit der Erststimme entscheiden die Wähler:innen, wer das Mandat in den 70 Wahlkreisen direkt gewinnt durch Platz eins. Die Zweitstimme steht für Partei und damit für die Abgeordneten, die über die Listen in den Landtag einziehen werden. Die Liberalen beispielsweise haben nirgends die Chance auf ein Direktmandat. Bisher sind unter 15 Abgeordneten nur zwei Frauen: Julia Goll (Wahlkreis Waiblingen) und Alena Fink-Trauschel (Wahlkreis Ettlingen). Und während manche Regionen überrepräsentiert sind, etwa von Leonberg über Stuttgart bis in den Rems-Murr-Kreis, sind weite Teile des Landes überhaupt nicht abgedeckt.

Jetzt kämpfen verschiedene Denkschulen untereinander, ob der Regionalproporz nicht wichtiger ist als Gleichstellung zwischen den Geschlechtern. Und die liberale Frauenorganisation hofft, nicht eben offensiv, auf wenigsten drei Plätze unter den ersten zehn. Einer ähnlichen, durch Satzungsvorgaben aber noch verschärften Quadratur des Kreises müssen sich in den nächsten Wochen Sozialdemokrat:innen aussetzen. Denn die geschlechterparitätische Besetzung von Wahllisten im Reißverschlussverfahren ist zwar ein in den Statuten verankerter Grundsatz, zugleich jedoch sollen die Regionen des Landes gerecht zum Zuge kommen. Eine Findungskommission soll jetzt einen Vorschlag austüfteln, der dem Dilemma abhilft.

In der Union sind die Probleme noch viel größer, weil – auf einmal – die ganze Quote nicht mehr gelten soll. Sie sei kein geeignetes Instrument für Regierungsbildungen, wissen die Alphamänner mit einem Mal. Und Friedrich Merz höchstpersönlich hat sich einen besonders intelligenten Schachzug ausgedacht. Der argumentiert mit einem Negativ-Beispiel, der früheren Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, die der Sache der Frau keine Dienst erwiesen habe. Stimmt, aber es stimmt auch, dass die Sozialdemokratin genau das mit immer neuen schwarzen Männergenerationen gemeinsam hat.

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1 Kommentar verfügbar

  • Schorsch 93
    vor 3 Wochen
    Antworten
    Stimmt schon. Es darf aber auch erwähnt werden das auch bei den Grünen für die Landtagswahl drei Abgeordnete abgesägt wurden, allesamt für Männer
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