KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

CDU und Frauenquote

Das Thema klebt wie eine Klette

CDU und Frauenquote: Das Thema klebt wie eine Klette
|

Datum:

In jahrzehntelanger Kleinarbeit hat die Union den Beweis erbracht, dass viel zu viele Männer politischen Einfluss ohne Zwang nicht teilen. Am Wochenende auf dem CDU-Bundesparteitag in Hannover könnte die letzte große politische Bastion der Quotengegner:innen geschleift werden. Eine Mehrheit ist keineswegs sicher.

Die gute Nachricht zuerst für alle – im Südwesten traditionell besonders zahlreichen – Schwarzen, die den erheblichen Modernisierungsbedarf in ihrer Partei weiterhin nicht wahrhaben wollen: Der Vorschlag der Satzungs- und Strukturkommission der CDU ist gar keine Quote. Mit dieser überraschenden Botschaft jedenfalls reist der Bundesvorsitzende Friedrich Merz nach Hannover zu den Delegierten. Das, was dort beschlossen werden solle, greife immer nur dann, "wenn es genug Frauen gibt, die da im Saal sitzen", behauptet Merz. Damit interpretiert er die Vorgaben jener Kommission, die zwischen November 2019 und Juli 2020 um die "inhaltlichen, personellen und organisatorischen Erneuerung der CDU" rang, reichlich eigensinnig und lässt die abgründigen Probleme erkennen, die ihn auf der Suche nach einem Mittelweg plagen.

In dem vom damaligen CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak geleiteten Gremium war Baden-Württemberg prominent vertreten. Unter anderem mit Landtagsfraktionschef Manuel Hagel, mit Annette Widmann-Mauz, der Bundesvorsitzenden der Frauen-Union, und ihrer Kollegin im Land Susanne Wetterich. Natürlich gingen und gehen die Frauen davon aus, dass die Männer die Beschlüsse zur Quote mittragen. Dennoch oder deshalb brodelte es monatelang in der Gerüchteküche, gerade baden-württembergische Delegierte, gut vernetzt und organisiert, würden die entscheidenden Stimmen für das Nein zu fixen Vorgaben liefern.

Dann drehte sich der Wind, seit sich Merz zur Quote bekannte oder jedenfalls dem, was er darunter versteht. Zudem hat NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst klar gemacht, dass sein Landesverband steht. "Es ist kein Geheimnis, dass ich nicht der größte Fan einer Frauenquote bin", sagt jetzt auch Isabell Huber, die Generalsekretärin der Südwest-CDU. Trotzdem müsse sie feststellen, dass die Anstrengungen der letzten Jahre nicht ausreichen: "Solange daher keine und keiner eine bessere Idee hat, ist das für den Moment die beste Lösung."

Angesichts des Nachholbedarfs wird der Moment ganz schön lang dauern. Jedenfalls liegen dem Parteitag in Hannover das Statut ändernde Anträge des Bundesvorstands vor, allen voran zur Einführung einer Frauenquote für Vorstandsämter ab 1. Januar 2024 von vierzig und ab 1. Juli 2025 von fünfzig Prozent. Hinzu kommt auf allen Ebenen der sogenannte leere Stuhl, wenn für Frauen vorgesehene Plätze nicht besetzt werden können. Obwohl die strenge Maßgabe im Kleingedruckten abgeschwächt wird – siehe Merz und die Geschlechterverteilung im Saal –, ist der innerparteiliche Widerstand auffallend kreativ. Zahlreiche Gegenanträge zeugen davon. Erinnerungen an 1995 in Karlsruhe werden wachen, als eine Mehrheit pro Quote um die Kleinigkeit von fünf Stimmen verfehlt wurde – unter dem Applaus vieler Delegierter aus dem Südwesten.

Mittelsachsen: keine Quote – wegen Grundgesetz

"Bitter", nannte das später sogar der Verfassungsrechtler Rupert Scholz, "viele waren nicht mehr da, manche haben den falschen Stimmzettel benutzt, das Ganze war eher eine technische Panne denn eine Sachentscheidung." Apropos Verfassung: Selbst die muss am Wochenende herhalten. "Der Parteitag möge beschließen, keine Frauenquote in der CDU einzuführen", schreibt der Kreisverband Mittelsachsen. Denn die in Artikel 3 des Grundgesetzes verankerte Gleichberechtigung von Frauen und Männern sei in Deutschland bereits erreicht. Keine Satire und doch eine Punktlandung, denn die ZDF-"heute-show" beendet gerade ihre Sommerpause.

Die einen tüfteln also an Prozentregeln und wollen sie abgeglichen wissen mit dem Frauenanteil in der Mitgliedschaft. Als wäre der ein tauglicher Maßstab und nicht viel eher das große Problem seit Jahrzehnten. Andere, wie der Kreisverband Meißen, möchten es den Länderorganisationen überlassen, ob sie Quoten bis zu 50 Prozent einführen. Damit wäre regionaler Wildwuchs programmiert. Wieder andere, wie die Junge Union, verlangen nach ältester CDU-Väter-Sitte, ganze Passagen der Vorschläge aus der Satzungskommission, die inzwischen Bundesvorstandsbeschluss sind, zu streichen.

Nicht fehlen im Konzert der Gestrigen darf der Kreisverband aus dem Hohenlohekreis, steht doch der Bundestagsabgeordnete Christian von Stetten stets zuverlässig an der Spitze der strukturkonservativen Beharrung. Statt klarer Regeln warme Worten: "Wir wollen große Schritte unternehmen, um die Repräsentation von Frauen in den Entscheidungsgremien der Partei zu steigern." Ein Versprechen, das unerfüllt ist, seit dem Essener Bundesparteitag 1985, als der damalige Generalsekretär Heiner Geißler sich ans Zöpfeabschneiden machte. Und dann fällt dieser eine verräterische Satz, der zeigt, dass die Sechziger Jahre für Teile der Schwarzen noch längst nicht passé sind: Kommunikation sowie die Planung von Veranstaltungen und Gremiensitzungen sollten "gezielter für die Bedürfnisse von Frauen weiterentwickelt" werden.

Familie ist wichtiger als Frauenquote

Dass da nicht Eltern steht, sondern Frauen, das ist kein (Denk-)Fehler, sondern eine Geisteshaltung, die auch Astrid Hamker, immerhin Präsidentin des einflussreichen Wirtschaftsrats der CDU, kürzlich formulierte: Eine Partei mit dem programmatischen Kern Familie müsse "zuerst ansetzen" an deren besserer Vereinbarkeit mit der Erwerbstätigkeit. Ihr als Mutter "fiel es schwer, meine Kinder und den Beruf unter einen Hut zu bringen". Vom Vater keine Rede. Für Hamker, Miterbin und Gesellschafterin des größten deutschen Gebäudereinigers – geführt wird er von ihren beiden Brüdern –, ist die Quote "ein linkes unbürgerliches Konzept". Sie könne gar nicht verstehen, welche Angst manche Frauen eigentlich vor "ein bisschen Wettbewerb" hätten.

Es ging noch nie nur um Quoten, die natürlich eine Krücke auf dem Weg zur Gleichberechtigung sind. Es ging und geht um die Verteilung von Rollen, um Einfluss und um die Stellung in der Gesellschaft. Die Hohenloher verlangen, "Hürden abzubauen, die Frauen davon abhalten, Mitglied zu werden und/oder Verantwortung in Form einer Funktion oder eines Mandates zu übernehmen". Das Ende von Männer-Kungelei ist damit sicher nicht gemeint, aber vielleicht die Veränderungen von Sitzungszeiten, die Frauen bisher daran hindern, Kinder, Küche, Kirche und das politische Ehrenamt unter einen Hut zu bringen. Dabei ist Männern nicht verboten, im Haushalt anzupacken, die Schwiegereltern zu pflegen, im Bezirksbeirat zu sitzen und auch noch den Schweinebraten oder die vegane Bowl auf den Tisch zu bringen.

Pikant an der Konstellation ist, dass die Quote, die doch gar keine ist, den Parteivorsitzenden Merz ziemlich in die Bredouille bringen könnte. Rita Süßmuth beispielsweise, einst Bundestagspräsidentin und seit Jahrzehnten Kämpferin gegen den immensen Männerüberhang in der Union, ist ausgesprochen skeptisch, dass in Hannover eine Mehrheit für die Satzungsänderung zu Stande kommt – trotz NRW, trotz aller Bemühungen der niedersächsischen CDU, vier Wochen vor der Landtagswahl zu vermeiden, eine Weiche auf dem Weg in die versprochene Erneuerung derart blamabel falsch zu stellen. Merz wäre beschädigt und in einer Liga mit Markus Söder ("Ich bin für die Frauenquote") in dieser Frage. Der hat sich 2019 seine Parteitags-Watschn schon abgeholt, als aus starren Vorgaben – wieder einmal – Soll-Bestimmungen wurden. "Wir haben weiterhin eine offene Flanke", bekennen CSU-Politikerinnen und hoffen auf Wiedervorlage.

Wenn verbindliche Regeln, um die Männerüberhang abzuschmelzen und mehr Frauen für die Mitarbeit zu interessieren, in Hannover wieder nicht beschlossen werden, ist zumindest eines sicher wie das Amen in der Kirche: Das Thema klebt wie eine Klette. Gerade in Baden-Württemberg, wo 2024 nicht nur Europa-, sondern auch Kommunalwahlen anstehen. Gegenwärtig haben nicht einmal hundert der 1001 Kommunen eine Bürgermeisterin und mehr als drei Viertel der Gemeinderäte sind männlich. Abhilfe schaffen paritätische Listen, besonders auf den vorderen Plätzen. Und da braucht es kein Antragsbuch für einen Bundesparteitag, um zu belegen, wie weit weg große Teile der CDU von der Wirklichkeit sind. Die Fachleute des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg haben die Wahllisten 2019 analysiert. Auf nur gut 16 Prozent der schwarzen Vorschläge waren die ersten sechs Plätze gleichberechtigt geteilt, während sich auf gut 35 Prozent fünf Bewerber und eine einzige Bewerberin fanden. Von wegen Hürden für Frauen senken, die Forderung muss lauten: Raus mit den Brettern aus den Männerköpfen, weil dann tatsächlich Quoten überflüssig wären. Aber so weit ist die Union nicht lange nicht.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


5 Kommentare verfügbar

  • Gerald Wissler
    am 07.09.2022
    Antworten
    Da wurde der Merz als personifizierter Anti-Merkel gewählt, nur um den Merkel-Murks weiterzumachen.
    Haben die immer noch nicht gemerkt, daß das Kopieren von Grünen-Politik ihnen keine zusätzlichen Wahler einbringt ?
    Wer Grünen-Politik toll findet wählt Grüne. Wasum sollten die plötzlich zur CDU…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!