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U-Strab und Stadtplanung in Karlsruhe

Bäume schief, weg damit

U-Strab und Stadtplanung in Karlsruhe: Bäume schief, weg damit
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Seit einem Jahr fährt in Karlsruhe ein Teil der Bahnen unterirdisch. Die "Kombilösung" sollte auch den Auftakt für eine "neue Stadt" einläuten. Doch die viele Jahre alten Pläne sorgen teils für heftigen Protest.

Groß prangt das gelbe U vielerorts in der Kaiserstraße und zeugt davon, dass Karlsruhe es jetzt doch geschafft hat und zu den Großstädten mit einer eigenen U-Bahn gehört. Auch wenn deren Nutzung oft noch einigen Langmut erfordert. So laufen die Menschen an der zentralen Haltestelle am Marktplatz auf der Suche nach der richtigen Bahn immer wieder auf und ab, Fahrgäste beklagen schwer verständliche Ansagen, fehlende oder ausfallende Orientierungssysteme, Fehler bei der Beschriftung der Bahnen und Fahrplananzeigen. "Deutliche Probleme mit der dynamischen Fahrgastinformation", räumen die Verkehrsbetriebe Karlsruhe (VBK) selbst ein, noch immer würden die Monitore in den Haltestellen "unter Performance-Problemen" leiden. Lösungen seien aber in Arbeit.

Schlimmer ist die Situation für alle, die nicht so gut zu Fuß sind, etwa Menschen mit Behinderungen. Ein stetes Ärgernis sind ausfallende Rolltreppen, wofür die VBK einen "Missbrauch der Nothalt-Funktion" verantwortlich machen. Und noch tiefergehende Probleme gibt es bei den Aufzügen. Im Sommer fielen sie regelmäßig aus, weil sie mit Temperaturen über 32 Grad nicht zurechtkamen. VBK und der Lieferant des Aufzugs machten sich gegenseitig verantwortlich, bis April sollen nun Maßnahmen getroffen werden, um die fragile Technik vor direkter Sonneneinstrahlung zu schützen. Doch insgesamt ziehen die VBK ein positives Fazit: "Wir sind sehr zufrieden mit dem Verlauf des ersten Stadtbahntunnel-Jahres, es gab nur sehr wenige größere technische Störungen", viele der Probleme seien Kinderkrankheiten. Für andere handelt es sich dagegen um "Planungsfehler".

Kombilösung belastet städtischen Haushalt

Auch nach einem Jahr ist die Stadtgesellschaft gespalten, was sie von ihrem "U" halten soll. Steht es für den Ursprung einer neuen Stadtentwicklung oder für den Untergang städtischer Gestaltungsmöglichkeiten in der Innenstadt? Sicher ist, mit der Eröffnung des Autotunnels in der Kriegsstraße Mitte Oktober ist die Karlsruher Kombilösung aus Auto- und Straßenbahntunnel nach mehr als zwölf Jahren Bauzeit nun tatsächlich vollendet. Der Umbau der Innenstadt geht damit aber erst los. "Mit der Kombilösung entsteht eine neue Stadt, die wir dynamisch nutzen wollen." Mit dieser Aussage hängte der Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup bei der Eröffnung des Stadtbahntunnels am 11. Dezember 2021 die Latte der Erwartungshaltung sehr hoch.

Eine bewusst oder unbewusst zu optimistische Planung begleitete die Kombilösung von Beginn an. Letztlich kostete das Projekt 1,5 Milliarden Euro. Dreimal mehr als ursprünglich geplant. Die Mehrkosten belasten vor allem den Stadthaushalt. Mit 600 Millionen Euro musste sich die Kommune an der Finanzierung des Baus beteiligen. Hinzu kommen jährliche Zusatzbelastungen von 30 Millionen Euro, die die Stadt als Folgekosten des Stadtbahntunnels alleine tragen muss. Die Freien Wähler Karlsruhe fürchten gar Folgekosten bis zu bis zu 50 Millionen Euro pro Jahr.

Für den kommenden Haushalt hat die Stadtverwaltung alle Bereiche zu Einsparungen von mindestens zehn Prozent aufgefordert. Auch im sozialen und kulturellen Bereich wie bei der Umwelt sollen freiwillige Leistungen reduziert und ein geringerer Standard bei der Erfüllung städtischer Aufgaben umgesetzt werden. "Alle müssen an einem Strang ziehen", sagt Mentrup, der Einsparungen von 60 Millionen Euro als Ziel vorgibt.

48 alte Platanen sollen gefällt werden

Eine andere Art von Verzicht forderten dagegen 2.000 Karlsruher Bürger:innen in einer Unterschriftenaktion vom Stadtoberhaupt. Sie wehren sich gegen die Pläne, die Kaiserstraße nicht nur von den alten Bahnschienen, sondern auch von alten Bäumen zu befreien. Für die "neue Stadt" in der Karlsruher Einkaufsstraße sollen 48 Platanen einem neuen Pflaster und 86 Zürgelbäumen weichen.

Schon im Zuge der Bauarbeiten zum Stadtbahntunnel rund um den Marktplatz wurden zwölf Platanen gefällt. Bei der Neugestaltung des Platzes selbst wurde auf die Pflanzung von Bäumen verzichtet. Dies sei aufgrund der Leitungen des unterirdischen Tunnels nicht möglich, begründet die Stadtverwaltung damals den heute baumfreien Platz vor dem Karlsruher Rathaus. Gegen den neuerlichen Kahlschlag weiter westlich hat sich ein Protest vom Klimabündnis bis zu den Karlsruher Bürgervereinen gebildet: "Jeder Baum zählt, um ein gesundes Stadtklima für die Menschen in Karlsruhe zu erhalten."

"Durch die Kombilösung haben wir 450 Bäume verloren", sagt Horst Schmidt. Der ehemalige Leiter des Gartenbauamts Karlsruhe ist einer der lautesten Gegner der geplanten Baumfällungen. Als ehemaliger Beschäftigter der Stadt habe er sich gut überlegt, ob er sich öffentlich gegen ein städtisches Projekt stelle. Nachdem aber auch bei anderen Bauprojekten viele große Bäume verloren gingen, war seine Sorge um das Stadtklima zu groß. "Wir können es uns bei der jetzigen Klimasituation nicht leisten, vitale Bäume zu fällen, nur weil wir meinen, ein anderes Bild kreieren zu wollen."

Argumente vorgeschoben?

Trotz des Protests hält die Stadtverwaltung an den Plänen zur Fällung der Platanen fest. Sie hätten einen Schiefwuchs, ihre Äste seien von einem Pilz befallen und die Wurzeln würden das nötige Gefälle bei starkem Regen erschweren, argumentiert sie. Daher sei eine Erhaltung der Platanen innerhalb der Ziele der Neugestaltung der Kaiserstraße nicht möglich. Zudem sollten ja mehr Bäume gepflanzt werden, als es jetzt gibt. Schmidt überzeugt das alles nicht.

Bis die neuen Zürgelbäume überhaupt eine Klimawirkung entfalten würden, dauere es Jahrzehnte, klagt er. Weder der Schiefwuchs noch der Baumpilz rechtfertige daher die Pläne. "Die Platanen sind so vital und gesund, so dass das kein Grund für die Fällung ist. Die Platanen können ohne Weiteres noch 50 weitere Jahre stehen." Für den Wasserabfluss böte die bald schienenfreie Mitte genug Möglichkeiten, sagt Schmidt, die Begründung der Stadtverwaltung hält er für nicht stichhaltig.

Der wahre Grund für die Fällungen sei, dass die Stadtverwaltung ihre vor Jahren beschlossenen Pläne nicht mehr ändern wolle, vermutet Schmidt. "Der Planungsprozess zur Erneuerung der Kaiserstraße war sehr komplex und hat zahlreiche Abstimmungen mit den betroffenen Dienststellen und Gesellschaften über mehrere Jahre erfordert", schickt das Gartenbauamt in seiner Stellungnahme entsprechend vorweg. Kurzsichtig findet das Schmidt. Wer diesen Sommer auf dem Marktplatz war, müsse doch die Dringlichkeit erkannt haben, sagt er. Das Klima habe sich in den vergangen 15 Jahren so verändert, dass auch Planungen verändert werden müssten. "Man kann heute keine Bauprojekte mehr machen, ohne die Klimaanpassung mitzudenken." In Karlsruhe gäbe es dazu klare Konzepte. Doch bei der konkreten Umsetzung gelte allzu oft das Prinzip, "einmal können wir das ja noch machen".

Realität überholt Planungen

Durch die lange Bauzeit der Kombilösung wurden die Planungen auch an anderen Stellen der Stadt von der Wirklichkeit überholt. An der Ausfahrt des Straßentunnels auf der Kriegsstraße drängen sich rund um vier neu geschaffenen Verkehrsinseln Autos, Fußgänger:innen und vor allem Fahrräder. "Die Situation ist chaotisch und gefährlich", sagt Vlado Bulic, der Vorsitzende des Bürgervereins Südweststadt. "Auf den Inseln ist zu wenig Platz für Fußgänger, dann kommen noch die Radfahrer hinzu und wenn da noch wer mit Anhänger kommt, ist das eine Katastrophe." Die mehr als zehn Jahre alte städtische Planung hat das Wachstum des innerstädtischen Radverkehrs nicht berücksichtigt.

Es ist noch ein weiter Weg bis zur neuen Stadt. Der angestrebte Boulevard auf der Kriegsstraße, der die Trennung der Stadt aufhebt, scheint weiter entfernt denn je. Und auch die von oberirdischen Schienen befreite Fußgängerzone in der Kaiserstraße wird vom grassierenden Ladensterben stärker beherrscht als vom lebendigen Flanieren und Treiben der der Menschen. Kurz vor Weihnachten wird der Gemeinderat entscheiden, ob es dort kommenden Sommer überhaupt noch einen schattigen Platz gibt. Horst Schmidt ist überzeugt: "Wenn die Bäume gefällt werden, wird es einen Riesenaufschrei in der Bevölkerung geben."



In einer früheren Version des Textes hieß es, dass auf dem Marktplatz Platanen gefällt wurden. Tatsächlich fanden die Fällungen rund um den Marktplatz statt. Wir haben das korrigiert und bitten, die fehlerhafte Formulierung zu entschuldigen.


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3 Kommentare verfügbar

  • Sebastian
    am 07.12.2022
    Antworten
    @KA: Also die letzten 20 Jahre standen keine Platanen auf dem Marktplatz, es muss also wo anders gemeint gewesen sein.
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