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Trotz Parteikrise

Links in Oberschwaben

Trotz Parteikrise: Links in Oberschwaben
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Für die Linken in Biberach sind die Probleme der Partei auf Bundesebene ziemlich weit weg. Auch die Themen und Vorgaben des Landesverbands gehen oft an ihren Bedürfnissen vorbei. Und doch haben sie gute Gründe, sich in ihrem Landkreis zu engagieren.

Um zu zeigen, was in Biberach los ist, fängt Martin Hofbauer mit dem alten Klinikstandort auf dem Hirschberg an: Ein grüner Hügel, dicht am Herzen der Altstadt, wo sich die Klinikbauten der 1980er-Jahre flach in die baumbestandene Umgebung ausbreiten. Er hätte auch im Gewerbegebiet Aspach-Süd anfangen können: funkelnagelneue Glaspaläste, Pharma und Biotechnologie, die Firma Boehringer ist mit mehr als 6000 Mitarbeiter:innen der größte Arbeitgeber und Steuerzahler der Stadt.

Davon erzählt Hofbauer, Mitglied des Kreisvorstands der Linken, auf dem Weg zum Hirschberg. Das Areal ist eingezäunt, von außen betrachtet scheinen sich die Gebäude in einem guten Zustand zu befinden. Doch sie stehen seit einem halben Jahr leer. 2013 hat der Sana-Konzern die ehemalige Kreisklinik übernommen, bereits mit der Absicht, einen Neubau zu errichten, der die vier bisherigen Klinik-Standorte in Laupheim, Riedlingen, Ochsenhausen und Biberach ersetzen soll. Landesgesundheitsministers Manfred Lucha, Grüner und Oberschwabe, hat dafür im April vom Bündnis Klinikrettung den Schmähpreis "Goldene Abrissbirne" bekommen.

Der Klinikneubau wird "Gefängnis" genannt

Die Bestandsbauten am alten Standort sollen weg. An ihrer Stelle ist ein Wohngebiet mit klassischen Einfamilienhäusern geplant. So will es die Gemeinderatsmehrheit aus CDU und Grünen (jeweils neun Sitze), SPD und Freien Wählern (je fünf) und FDP (drei). Der CDU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Kolesch wohnt gleich gegenüber. Mit alternativen Ideen sind die Linken allein auf weiter Flur.

Bei vielen ihrer Vorschläge tauche wie ein Deus ex machina ein Gutachten auf, erzählen sie. Mittlerweile sind auch Stadtrat Ralph Heidenreich und die beiden Kreisvorsitzenden Rainer Schaaf und Julia Nagy dazu gestoßen. Die weniger als vierzig Jahre alten Klinikbauten umbauen statt abzureißen? Leider in zu schlechtem Zustand. Das zweigeschossige Parkhaus als Garage nutzen für ein autofreies Quartier? Bedauerlicherweise marode. Die Bauten bis zum Abriss als Unterkünfte für Geflüchtete aus der Ukraine nutzen? Leider wurde die Strom- und Wasserversorgung bereits entfernt. Selbst der bereits vom Gemeinderat beschlossene Umbau des Schwesternwohnheims in Zweizimmerwohnungen lässt sich nicht realisieren – behauptet ein weiteres Gutachten.

"Unser Gefängnis" nennen die Linken den Neubau der Sana-Kliniken am Stadtrand: ein abweisender grauer Klotz. War der alte Standort am Hirschberg vom Stadtzentrum zu Fuß erreichbar, müssen Patient:innen zum neuen mit dem Bus anreisen. Von den 220 Millionen Euro Baukosten habe Sana nur 40 Millionen selbst getragen, konstatiert Schaaf. Unter 17 Prozent Kapitalrendite lohne sich ein solches Unternehmen nicht, habe der Vorstandsvorsitzende gesagt. Der Neubau, so Schaaf, sei bereits jetzt zu klein: Sana spare an Betten und Mitarbeitenden und steigere so die Rendite.

"Wie man es anders machen kann, haben wir mit den ZfP gezeigt", kommentiert Hofbauer. Hofbauer, Sozialarbeiter, hat Ende der 1970er-Jahre am damaligen Psychiatrischen Landeskrankenhaus (PLK) mit einem Arzt eine Anlaufstelle für Suchtkranke gegründet. "Das war ein bisschen mein Baby", schmunzelt er. 1996 wurden die PLK unter dem neuen Namen "Zentren für Psychiatrie" (ZfP) in Anstalten öffentlichen Rechts umgewandelt. Sie müssen keine Rendite an Aktionäre abführen und wollen für Menschen in Not möglichst überall erreichbar sein. Die Zahl der Standorte hat in den letzten 25 Jahren zugenommen.

Busfahrten in Biberach kosten nur einen Euro

Biberach ist eine reiche Stadt. Dank Boehringer, dem Kranhersteller und Mischkonzern Liebherr und weiterer Unternehmen habe die Stadt einen hohen dreistelligen Millionenbetrag auf der hohen Kante, erklärt Stadtrat Heidenreich. Dieses Geld investiert sie allerdings nicht, wie das die Linken gern hätten, in Grundstücke, um die Mieten niedrig zu halten und um Bodenspekulation vorzubeugen.

Busfahrten im Stadtgebiet kosten einen Euro, die Monatskarte 14,35 Euro. Das kann sich die Stadt problemlos leisten. Allerdings kritisiert Hofbauer, dass Pendler:innen von außerhalb mehr zahlen. 33.500 Einwohner:innen hat Biberach, mehr als 20.000 pendeln täglich in die Stadt hinein. Mit einem attraktiveren ÖPNV ließe sich der tägliche Stau vermeiden und die Umwelt entlasten. "Als Linke sind wir mit unseren Vorschlägen auf ziemlich verlorenem Posten", bedauert Hofbauer. "Solange du konservative Mehrheiten hast, geht nichts", sekundiert Heidenreich, fügt allerdings hinzu: "Außer mit einigen in der Verwaltung."

Warum tun sie sich das an, wenn doch kaum eine Chance besteht, für die eigenen Vorstellungen Mehrheiten zu finden? "Man erfährt nun mal viel im Gemeinderat", argumentiert Ulrich Widmann, bis vor wenigen Jahren Kreisrat, der mit Benedikt Kellerer später dazu gestoßen ist. Nun ist fast der gesamte Kreisvorstand versammelt. Widmann, über 80, war zwanzig Jahre lang Gemeinderat der SPD in Riedlingen. Wegen Gerhard Schröder hat der Oberstudienrat die Partei verlassen und saß von 2009 bis 2019 für die Linken im Kreistag.

"Wenn I an en Stehtisch na geh‘, dann fanget die a, übers Wetter zu schwätzen", wendet Heidenreich ein. Widmann kennt aber noch einen anderen Grund: "Alle von uns hier sind auch anderweitig engagiert, in der Gewerkschaft, beim Nabu oder beim BUND …" Schaaf beispielsweise ist Vorstand der Schutzgemeinschaft Herrschaftsholz, die sich gegen den geplanten Kiesabbau in einem Wald nordöstlich von Biberach wehrt.

Der gelernte Fleischermeister und Einzelhandelskaufmann hat auch für den Bundestag und mehrere Bürgermeisterposten kandidiert: ohne große Chancen, aber er sieht es als eine Gelegenheit, auf die Anliegen der Biberacher Linken aufmerksam zu machen. Hofbauer und er sind auch im Friedensbündnis engagiert. Beim Ukraine-Konflikt gehen die Ansichten auseinander. Widmann, Oberstleutnant der Reserve, sagt, man müsse sich auch verteidigen können. Für Gerhard Schröder hat er allerdings "inzwischen fast schon wieder Sympathie, weil er nicht kuscht."

"Julia, I han di g’wählt"

Widmann ist 2019 nicht wieder in den Kreistag eingezogen. Das Problem: Die Linken haben nicht genug Kandidat:innen. Früher konnte man in mehreren Wahlkreisen antreten und so trotzdem Stimmen sammeln. Das geht neuerdings nicht mehr. Auch in der Gemeinderatswahl müssen, damit eine vollständige Liste zusammenkommt, bei 32 Sitzen mindestens elf Bewerber:innen zusammenkommen, da jede:r nur mit maximal drei Stimmen gewählt werden kann. Die sechs Aktiven müssen also nochmal so viele weitere dazu gewinnen, um auch in der nächsten Wahl 2024 eine reelle Chance zu haben.

Julia Nagy könnte dabei eine wichtige Rolle spielen. Mit 24 Jahren ist sie bedeutend jünger als fast alle anderen. Sie ist zudem die einzige Frau im Kreisvorstand. Seit vier Jahren Mitglied der Linken, entschied sie sich im März für den Vorsitz zu kandidieren. "Eine spontane Entscheidung", sagt sie. Schaaf hatte aber auch schon seinen Hut in den Ring geworfen. Es kam zu einem Patt. Seitdem gibt es eine Doppelspitze. "Julia, I han di g’wählt", versicherte ihr Schaaf nach der Wahl. "I di au", antwortete sie.

Nagy würde gerne mehr junge Leute gewinnen. Sie "möchte auch mehr Weiber sehen, ganz einfach." Es geht ihr um die Probleme der Frauen im Landkreis. "Zum Beispiel sind die Kita-Plätze sehr mager. Sobald eine Frau schwanger wird, muss sie reservieren."

Die Probleme im Bund, selbst auf Landesebene sind für die Linken in Biberach ziemlich weit weg. Danach gefragt, kommt Kellerer nicht auf Skandale und schlechte Wahlergebnisse zu sprechen, sondern merkt an: "Der Bundespartei fehlt das Verständnis für die Themen, die für uns hier wichtig sind." Wenn es in Berlin heißt: "Vonovia enteignen", könne damit in Biberach, wo der Konzern gerade mal sechzig Wohnungen besitzt, kaum jemand etwas anfangen. Schaaf hat mit dem, was aus Berlin oder Stuttgart kommt, so seine Probleme: "Wir kämpfen gegen die Akademisierung in der Stadt. Wir vergessen schlichtweg unser Haupt-Wählerpotential, die Lidl- und Aldi-Mitarbeiter, die Arbeitnehmer."

Eigentlich besteht der Kreisverband nur aus Biberach und Riedlingen, wo Widmann viele Jahre lang einen erbitterten Kampf gegen die Klinikschließung geführt hat. Das kommt bei den Menschen auch an – in Riedlingen noch mehr als in Laupheim, von wo aus der Weg nach Ulm mit seinen exzellenten Krankenhäusern nicht weit ist. Schaaf erzählt, wie es ihm erging, als er zum ersten Mal richtig auf dem Land plakatieren wollte. Da rückte ihm ein Bauer mit der Mistgabel zu Leibe: "Keine Plakate von der AfD!" Schaaf erklärte, er sei von den Linken. Die Antwort: "Des geht grad noch."


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