Die "Stuttgarter Zeitung" sprach von einer "Nacht- und Nebelaktion", als im Februar 2017 ein Bündnis aus Grünen, CDU und SPD die Altersversorgung der Stuttgarter Landtagsabgeordneten reformieren wollte. Jahrzehntelang hatten die Volksvertreter privat fürs Alter vorsorgen müssen. Nun hatten sich die grün-schwarzen Regierungsparteien und die Sozialdemokraten in der Opposition auf eine üppige Staatspension verständigt. Doch die Hinterzimmer-Kungelei scheiterte am öffentlichen Aufschrei (Kontext berichtete).
Um jeglichen Verdacht auf Selbstbedienung auszuschließen, setzte Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) daraufhin eine unabhängige Kommission ein, die Vorschläge ausarbeiten sollte. Zehn Sitzungen und acht Monate später plädierte diese für den Beitritt der Abgeordneten zu dem bestehenden Versorgungswerk für Abgeordnete der Landtage Nordrhein-Westfalen und Brandenburg (VLT). Nach einigem Hin und Her setzten Grüne, Union und Sozialdemokraten dies im vergangenen Herbst mit Stimmenmehrheit durch.
Seit Dezember 2019 sind alle 143 Stuttgarter Landtagsabgeordneten Pflichtmitglieder der Anstalt, die am nordrhein-westfälischen Landtag in Düsseldorf angesiedelt ist. Der Beitrag zur Altersvorsorge in Höhe von monatlich 1.805 Euro, den der Stuttgarter Landtag jedem Mandatsträger zugesteht, landet direkt dort. Darüber hinaus schießt er eine Einmalzahlung von 1,2 Millionen Euro in die Verlustrücklage der Einrichtung zu. Weiter stemmt das Land anteilig Verwaltungskosten von rund 185.000 Euro jährlich.
Zweifelhafter Finanzpartner
Wer glaubt, das heikle Thema Altersversorgung sei damit vom Tisch, irrt. Bei Menschenrechtsorganisationen sorgte der Beitritt der baden-württembergischen Abgeordneten für Irritationen. Denn das Düsseldorfer Versorgungswerk arbeitet mit einem Partner zusammen, dessen Geschäftsgebaren zuletzt immer mehr in die Kritik geriet. Die Beiträge der Abgeordneten, die sich derzeit auf rund 80 Millionen Euro summieren, werden von der Ärzte-Versorgung Westfalen-Lippe (ÄVWL) verwaltet. Diese zählt mit mehr als 60.000 Mitgliedern zu einer der größten berufsständischen Pensionskassen hierzulande. Und, da Ärzte gewöhnlich zu den Besserverdienenden gehören, auch zu einer der finanziell potentesten: Laut jüngstem Geschäftsbericht betrugen die Kapitalanlagen Ende 2018 knapp 12,2 Milliarden Euro.
Mit dem Geld seiner Mitglieder wirtschaftet die ÄVWL seit Jahren hervorragend. Und dies trotz weltweiter Niedrig- und Strafzinsen. Während das Vermögen vieler Kleinsparer hierzulande immer weiter schrumpft, erzielte die ÄVWL im jüngsten Berichtsjahr 2018 Vermögenserträge von rund 531 Millionen Euro. Das entspricht einer Nettorendite von 4,3 Prozent. Grund genug für Menschenrechtsaktivisten, sich die Anlagestrategien der ÄVWL genauer anzuschauen – auch, weil umlagefinanzierte Rentensysteme, in denen die eingezahlten Beiträge unmittelbar zur Finanzierung von Rentenleistungen wieder ausbezahlt werden, aufgrund demografischer Veränderungen (längere Lebensdauer, Überalterung der Gesellschaft) sowie volkswirtschaftlicher Entwicklungen (sinkende Lohnquote) unter Druck stehen.
Zugleich schwächen politische Entscheidungen den Renten-Solidarvertrag zwischen den Generationen. Stattdessen forcieren Regierungen in vielen Staaten die private Altersvorsorge. Sie basiert auf dem Kapitaldeckungsverfahren, bei der die Beiträge angespart und verzinst oder in andere Anlageformen investiert werden, bis sie im Leistungsfall ausgezahlt werden.
Von diesem Systemwechsel profitieren insbesondere Pensionskassen, die immer mehr Beitragseinnahmen gewinnbringend investieren müssen. Weltweit sollen staatliche und private Pensionsfonds rund 41 Billionen US-Dollar angelegt haben. Dabei sind Investitionen in Grund und Boden attraktiv: "Seit der globalen Finanzkrise ist auch Ackerland vermehrt in deren Fokus geraten", erläutert Roman Herre, Agrar-Referent bei FIAN Deutschland. Das FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk, so der volle Name des Vereins, setzt sich dafür ein, dass alle Menschen ohne Hunger leben und sich selbst ernähren können. Nach FIAN-Recherchen ist inzwischen ein Pensionswerk der größte Landbesitzer der Welt: "Die Pensionskasse TIAA von US-amerikanischen Lehrern hat weltweit 850.000 Hektar Land aufgekauft – mehr als die Ackerfläche von Baden-Württemberg", so Herre.
Doch was hat das mit der ÄVWL zu tun? Laut FIAN ziemlich viel. Denn nach Recherchen des Vereins hat auch die deutsche Ärzteversorgung 100 Millionen Dollar in einen TIAA-Agrarfonds investiert. Dieser soll in den zurückliegenden Jahren in Brasilien 133.000 Hektar Land aufgekauft und zu Sojafarmen umgewandelt haben. Die Ländereien, die etwa die anderthalbfache Fläche Berlins umfassen, sollen in der Matopiba-Region im Inneren des Landes liegen. Was kaum bekannt ist: Die Region beheimatet mit dem Cerrado-Biom das größte Savannengebiet Südamerikas und weist die reichste endemische Pflanzenartenvielfalt der Erde auf. Es ist auch die zweitgrößte natürliche Formation des Kontinents und bedeckt mit zwei Millionen Quadratkilometer ein Viertel des brasilianischen Territoriums – eine Fläche so groß wie Spanien, Frankreich, Deutschland, Italien und Großbritannien zusammen. Zugleich gilt der Cerrado als "Wiege der Gewässer", da er für acht der zwölf brasilianischen Flusseinzugsgebiete von entscheidender Bedeutung ist. Das Quellgebiet fast aller südlichen Nebenflüsse des Amazonas befindet sich in dem Savannengebiet.
Fonds fördert Landgrabbing
Während die Waldrodungen im Amazonasgebiet immer wieder für Schlagzeilen sorgen, geht die Landumwandlung in der Matopiba-Region weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit rasant vonstatten. Die Region ist die derzeitige Agrargrenze Brasiliens. "In den letzten Jahren wurde die einheimische Vegetation größtenteils für die Sojabohnen- und Viehzucht gerodet", beklagte der WWF in einer Studie aus dem Jahr 2017.
1 Kommentar verfügbar
dirki
am 15.02.2020Zum Artikel: Endlich wird dieses Thema mal aufgegriffen! Und es gilt nicht nur für die Alterssicherung der Abgeordneten; fast alle Renten und Pensionen - ob öffentlich oder privat - werden auch mit…