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Minister für Wahnsinn

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Während sich die Satire-Welt noch an seiner PKW-Maut ergötzt, plant Verkehrsminister Andreas Scheuer schon das nächste furiose Debakel: Das "Maßnahmengesetz-Vorbereitungsgesetz", das, und jetzt kommt's, wieder einmal heftig mit EU-Recht kollidiert.

Gemessen daran, wie Andreas Scheuer momentan mit der krachend gescheiterten PKW-Maut Furore macht, war der Anlass für den ersten Kontext-Artikel im vergangenen Jahr, der sich dem CSU-Bundesverkehrsminister widmet, vergleichsweise mickrig: Scheuer hatte sich in einer sehr kreativen Interpretation von Expertenempfehlungen zum Thema Verkehr und Schadstoffe befleißigt. Da ging es noch nicht um hunderte Millionen sinnlos versenkter Euros, aber es zeigte sich dennoch schon eine Eigenschaft des Niederbayern: Scheuer macht sich die Welt, wie sie ihm gefällt.

Mittlerweile erblüht das Maut-Fiasko in immer schillernderen Farben, seit Wochen fragt man sich, warum Scheuer eigentlich noch Minister ist, und dies würdigen verschiedenste satirische Medien des Landes auch in gebührend ausgiebiger Weise: ob die "Heute-Show", der "Postillon" oder die "Titanic".

Was kann, was soll, was muss man da noch zu Scheuer schreiben? Nun, vielleicht etwas über sein nächstes Projekt, das im Vergleich zur obsessiven Auseinandersetzung mit der Maut momentan ziemlich untergeht – aber wieder wegen Unvereinbarkeit mit EU-Recht scheitern könnte.

Ausgabe 452, 27.11.2019

Keine Klagen bitte!

Von Oliver Stenzel

Im Windschatten des Klimaschutzes hat das Bundesverkehrsministerium ein Gesetz auf den Weg gebracht, das das bisherige Planungsrecht bei Großprojekten auf den Kopf stellt. Klagemöglichkeiten von Bürgern und Umweltverbänden schließt es nahezu aus. Am 4. Dezember berät der Bundesrat darüber.

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Es geht um ein Konstrukt mit dem Namen "Maßnahmengesetz-Vorbereitungsgesetz": Das soll ermöglichen, dass bestimmte Infrastrukturvorhaben wie Bahnstrecken oder Wasserwege schneller umgesetzt werden. Und zwar, indem sie der Bundestag einfach beschließt, anstatt dass regionale Behörden Planfeststellungsverfahren betreiben, und indem praktisch alle Klagemöglichkeiten entfallen, und als einzige Instanz das Bundesverfassungsgericht bleibt.

Wegen des Wegfalls des Verbandsklagerechts und damit von Bürgerbeteiligung empören sich besonders Initiativen und Verbände über die Pläne, und genau dieser Punkt kollidiert auch mit dem EU-Recht, genauer der Aarhus-Konvention.

Das scheint auch dem Bundesrat nicht ganz entgangen zu sein. Anfang Dezember hatten mehrere Ausschüsse den Gesetzesentwurf beraten: Der Umweltausschuss lehnt ihn komplett ab, Rechts- und Innenausschuss melden Bedenken hinsichtlich der verfassungs- und europarechtlichen Zulässigkeit an, Umwelt- und Rechtsausschuss bezweifeln überdies die beabsichtigte Beschleunigungswirkung. Nur Verkehrs- und Wirtschaftsausschuss scheinen überzeugt.

Die Bedenken schlagen sich jedenfalls in der Stellungnahme nieder, die der Bundesrat in seiner Sitzung am 20. Dezember abgegeben hat: Es sei "zu prüfen, ob der Gesetzesentwurf mit dem Recht der Europäischen Union … vereinbar" sei. Der nächste Schritt: Mitte Januar soll er im Verkehrsausschuss des Bundesrates beraten werden.

Dass sich die Zweifel schon derart niederschlagen, liegt wohl auch an den Ländern Baden-Württemberg und Berlin, die das Gesetz am entschiedensten ablehnen. Winfried Hermann (Grüne), Landesverkehrsminister im Südwesten, äußerte sich gegenüber dem "Tagesspiegel" ziemlich deutlich: Er hält es für "Wahnsinn", wenn der Streit um bestimmte Verkehrsprojekte nun vor dem Bundesverfassungsgericht landen können, und für praxisfern, wenn ausschließlich Bundestagsabgeordnete über solche Projekte entscheiden sollen. Hermanns Ministerium erachtet das Gesetz überdies schon formal für verfassungswidrig, weil laut Entwurf Änderungen einfach durch Rechtsverordnung ohne Bundesratszustimmung erlassen werden dürfen – das widerspreche Artikel 80 Absatz 2 des Grundgesetzes.

Derweil sprechen sich viele Politiker von Union, SPD und FDP offen für das Gesetz aus, auch die baden-württembergische CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann (Kontext berichtete). Was einmal mehr zeigt: Auch ein so virtuoser Performer wie Scheuer ist nicht allein verantwortlich für den Wahnsinn, nein, der hat viele Väter, Mütter und vor allem Methode.


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