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Rechtsextreme weichgespült

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Vornerum Kreide gefressen, hintenrum Journalisten abgemahnt: Auf dem AfD-Bundesparteitag in Braunschweig verzichtete die Führungsriege auf ärgste Übergriffe. Das Ziel ist offensichtlich: CDU-Wählerschaft soll angelockt werden, damit eine geschrumpfte Union vom eigenen rechten Flügel unter Druck kommt.

Malte Kaufmann ist Vorsitzender der AfD-Fraktion im Kreistag Rhein-Neckar. "In den Kommunalparlamenten machen wir keine Obstruktionspolitik", berichtete er, als das neu gewählte Gremium im vergangenen Juli in Mühlhausen südlich von Heidelberg zur konstituierenden Sitzung zusammentritt, "denn wir sind da, um konstruktiv und sachorientiert mitzuarbeiten." Das gelingt noch nicht ganz, weil einer der Parteifreunde sein Mandat nicht annehmen möchte. Aber das ist eine andere Geschichte.

Jetzt steht der nach den Recherchen von urban-heidelberg-blog.de in Bukarest promovierte Volkswirtschaftler beim Phoenix-Live-Interview. Kaufmann kann kein Wässerchen trüben. 14 Jahre lang war er in der CDU, fand dort aber keine Heimat mehr angesichts Euro-Rettung, Energiewende, der von ihm so genannten "Klimahysterie" und der angeblichen Massenmigration. Er pflegt Kontakte zu früheren Parteifreunden, etwa Alexander Mitsch von der Werte-Union, und er erwartet, "irgendwann einmal konservative Mehrheiten mit zu generieren für unser Land".

"Irgendwann", das ist anderen zu unbestimmt. "Wir sind noch nicht in Regierungsverantwortung", sagt Jörg Meuthen, der neue und alte Bundesvorsitzende, als er begründen soll, wieso der "inhaltliche Parteitag" zur Renten- und Sozialpolitik anders als beschlossen 2019 doch nicht stattfand. Aber weil er über kurz oder lang regieren will, ruft er nach einer "Brandmauer gegen rechts". Alexander Gauland, der erste AfD-Ehrenvorsitzende, spricht sogar von einem "klugen Eröffnungsschachzug unseres Freundes Björn Höcke". Gemeint ist dessen briefliches Angebot an den CDU-Anführer Mike Mohring, einer von ihm geführten CDU-AfD-Regierung in den Sattel zu helfen.

Die Zeiten des Wahlkampfs und der gegenseitigen Angriffe sei nun vorbei, steht darin zu lesen. Der Heros des rechtsextremen "Flügels" bietet der CDU ganz konkrete Zusammenarbeit an: "Eine von unseren Parteien getragene Expertenregierung oder eine von meiner Partei unterstützte Minderheitsregierung wären denkbare Alternativen zum ,Weiter so‘ unter Rot-Rot-Grün." Eben jene Konstellation auf Bundesebene hat Alexander Gauland im Blick: Wenn Grün-Rot-Rot eine Option werde, dann solle CDU-AfD auch eine werden. Seine Vision ist eine AfD, die in Wahlen so stark wird, "dass es nicht mehr länger möglich ist, uns von der Gestaltungsmacht auszuschließen".

Klingt nicht nach Brückenbau

Die Welt als Wille und Vorstellung. Viele Sätze aber klingen ganz und gar nicht nach Brückenbau. Gauland nennt dieselbe CDU, mit der er womöglich eines Tages koalieren will, kurzerhand "verrottet". Stephan Brandner, der eben erst von den anderen Parteien im Bundestag über alle ideologischen Grenzen hinweg als untragbar geschasste Vorsitzende des Rechtsausschusses, spricht von CDU-PolitikerInnen als "Merkels Spießgesellen" (und bezeichnet die SPD als "Sozialfaschisten"). Kai Gottschalk, einer der wenigen früheren SPD-Genossen unter den vielen Ex-Unionspolitikern in den AfD-Reihen, donnert in die Braunschweiger Parteitagshalle, dass für alle "sozialen Fehlleistungen der Altparteien" Polizisten ihren Kopf hinhalten müssten. Und dass die AfD inzwischen Freiwild sei in diesem Land und Innenminister Horst Seehofer "bei jedem IS-Rückkehrer Schmiere steht". Derselbe Kai Gottschalk unterliegt bei den Beisitzer-Wahlen Andreas Kalbitz, dem Strippenzieher vom rechtsextremen Flügel. Nicole Höchst, die gegen den neuen und alten Parteichef Jörg Meuthen deutlich unterlag, "schämt" sich dafür, überhaupt mal in der CDU gewesen zu sein. Berüchtigt wurde sie mit dem Satz "Der Schnauzer trägt jetzt Raute", einer Gleichsetzung von Hitler und Merkel, die sie selbst in Braunschweig nicht zurücknehmen mag.

Bisher jedenfalls fruchtet das Kreidefressen nicht. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder macht es kurz: "AfD ist Feind." Das hat mit vielem zu tun und – streng inhaltlich – vor allem mit einem Megathema, dass die Unionsparteien von den selbsternannten Brückenbauern trennt, da können Letztere noch so wortreich die Zusammenarbeit in den Kommunen preisen: Niemand von Verstand in der Union wird bereit sein, den Klimawandel zu leugnen. Erst dieser Tage war Horst Seehofer in der ARD zu sehen mit dem Eingeständnis, die Unionsparteien hätten das Thema "übersehen" und Besserung sei nötig.

In der AfD wiederum ist niemand von Gewicht bisher aufgefallen, der dem Irrsinn entgegentritt, dass es den "menschengemachten Klimawandel" gar nicht gibt. Bejubelt wird ganz im Gegenteil anderes: Die Debatte diene nur "der großen Transformation, einer Umwandlung der Weltgesellschaft nach kommunistischem Muster", behauptete neulich der AfD-Abgeordnete Hans Peter Stauch im baden-württembergischen Landtag. Denn: Immer noch gebe es Schnee im Winter, in diesem Oktober sogar die fünftstärkste Schneebedeckung der Nordhalbkugel seit dem Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1967, Extremwetterereignisse hätten nicht signifikant zugenommen, "auch wenn die Medien durch Katastrophenbilder etwas anderes mitteilen wollen".

Fake-Programm, Methode: Einschüchterung

So weit, so peinlich. So wie die notorische Diffamierung der "Mainstream-Medien", die selbst die verquersten UnionspolitikerInnen so nicht mittragen könnten, bei aller Abneigung gegen Schreiber- und Senderlinge. Seit wenigen Tagen läuft das "Mainstream-Aussteiger"-Programm der AfD unter dem Motto: "Dein Ausweg zurück zu unabhängiger Berichterstattung". O-Ton: "Sind Sie Journalist geworden, weil Ihnen die Wahrheit und die unabhängige Information der Bürger am Herzen liegen? Haben Sie die Nase voll von befristeten Verträgen und Stellenstreichungen? Wollen Sie wieder in den Spiegel schauen können, ohne dabei Georg Restle und Anja Reschke zu sehen?" Beides DauerkämpferInnen gegen Fake-News und Demokratieverachtung – die eine wird in AfD-Kreisen ständig verächtlich gemacht, der andere bekommt für klare Kante Morddrohungen.

Die Methode Einschüchterung hat System. Der neue Bundesvorsitzende Tino Chrupalla möchte "mit neuem Stil und neuer Sprache neue Wählerschichten erschließen", wie er unumwunden bekennt. Womit er zugleich erkennen lässt, dass es ihm nicht auf eine andere Substanz ankommt, sondern auf wählerwirksame Verkaufe. Laut "Spiegel" hat er seinen Kreisverband Görlitz "wie eine Sekte geführt, Kritiker seien mundtot gemacht worden". Öffentlich gemacht hatte diese Info am Dienstag der vergangenen Woche "Frontal 21" und wollte damit einen Beitrag ankündigen, der letztlich nicht gesendet wurde, weil Chrupalla, so berichtete "Spiegel Online", über die Anwaltskanzlei Höcker eine Unterlassungserklärung vom ZDF forderte. Ein Anwalt der Kanzlei vertritt auch den Kläger, gegen den Kontext vor Gericht steht.

Die Geisteshaltung, die aus solchen Vorgängen spricht, belegt, dass jede Zusammenarbeit selbst auf kommunaler Ebene scheitern muss – nicht erst, aber erst recht, wenn es Ärger gibt. Mal angenommen, ein AfD-Bürgermeister wäre in eine Klinik-Affäre verstrickt und würde sofort mit einer Unterlassungserklärung drohen. Überhaupt stehen die inhaltliche Total-Leere oder die persönlichen Animositäten unter den Rechtsrechten allen ernsthaften Kooperationen entgegen. Nur zur Erinnerung: Die Fraktion der "Alternative für Deutschland" im Stuttgarter Gemeinderat der vergangenen Periode hat sich aufgelöst.

Malte Kaufmann, der Kommunalpolitiker mit dem Doktortitel, fühlt sich bisher im Kreistag "gut integriert und fair behandelt". Kein Wunder, denn die großen inhaltlichen Themen, etwa in der Sozial-, Renten- oder Bildungspolitik, die durchschlagen könnten auf Entscheidungen vor Ort, sind im bisherigen Dauer-Selbstbeschäftigungsmodus der Partei noch gar nicht angepackt. Und blickt der begeisterte Twitterer über den Tellerrand hinaus, ist es schnell vorbei mit den Gemeinsamkeiten: So kommentiert er die Tatsache, dass der umstrittene Polizeigewerkschafter Rainer Wendt doch nicht Staatssekretär in Sachsen-Anhalt wird, mit "Wahnsinn (...) Welcher konservative Patriot will noch was mit der CDU zu tun haben?" Fragen über Fragen.

 


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1 Kommentar verfügbar

  • Waldemar Grytz
    am 05.12.2019
    Antworten
    Am Frankfurter Rathaus hängt ein Schild mit der Aufschrift "Respekt! Kein Platz für Rassismus" und der Internetadresse www.respekt.tv. Es handelt sich um ein Schild, das angeregt von der IG Metall, mittlerweile von vielen Institutionen, Naturfreundehäusern und anderen benutzt wird, um ein Signal…
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