Nein, diese Sorge quält mich überhaupt nicht. Das wäre übertrieben. Für die SPD war es sicher schwer zu akzeptieren, dass wir stärker sind als sie. Aber das Schöne ist doch, dass sich der Mensch an alles gewöhnt. Wir arbeiten inzwischen gut zusammen.
Politik ist kein Spiel?
Zuweilen, aber wenn schon, dann ein ernstes. In der Politik werden viel schwerere Entscheidungen getroffen als jene um den Bahnhof. Denken Sie an die Auslandseinsätze der Bundeswehr, dabei geht es um Leben und Tod. Wie immer Sie hier handeln oder nicht handeln, es betrifft immer das Schicksal von Menschen. Wer also glaubt, Freiheit sei leicht, der hat sie nicht verstanden.
Wird das Schwere leichter, wenn man ins Kloster Maria Laach in Exerzitien geht? Wir hören, Sie hätten sie am Jahresende dringend gebraucht, weil Sie platt waren.
Ich brauche gelegentlich ein paar Tage Abstand vom Amt, das einen ganz hart an die profanen Dinge des Lebens bindet. Es gilt, den Überblick nicht zu verlieren und meinen Glauben zu leben, der mir die Gewissheit gibt, dass ich als Mensch nicht gescheitert bin, wenn ich als Politiker scheitere, womit man ja rechnen muss. Ich weiß dann, dass ich noch lange nicht vor Gott und meinen Lieben gescheitert bin. So kann ich mein Amt gelassener und mit Besonnenheit ausüben, was die Bürger, so denke ich, bisher zu schätzen wissen. Das andere Leben bei den Benediktinern in Maria Laach, die Gebetszeiten, die Psalmen und die Gregorianischen Gesänge tun mir schlichtweg gut.
Die Villa Reitzenstein ist kein Ponyhof.
Und kein Streichelzoo. Das Amt fordert einen sehr. Es gibt, wie Jeanne Hersch gesagt hat, eben keine Freiheit ohne Verantwortung, und das heißt: Ich habe Freude an den Gestaltungsmöglichkeiten des Amtes, sonst darf man es nicht annehmen. Aber es ist auch hart, weil Sie jeden Tag unangenehme Entscheidungen treffen müssen und unter ganz profanen Zwängen wie Zeitknappheit stehen. Man versucht dann sehr oft, noch mehr zu arbeiten, was nicht immer sinnvoll ist, weil Sie letztlich daran gemessen werden, ob Sie die richtigen Entscheidungen in der richtigen Situation getroffen haben. Besser wäre es, man würde weniger arbeiten und mehr zum Denken und Kommunizieren kommen.
Sie würden Ihrem Vorvorgänger Günther Oettinger nicht mehr vorwerfen, von einem Heckabeerlesfest zum andern zu springen?
Das fällt mir regelmäßig auf die Füße.
Sie haben jetzt fast ein Jahr als Ministerpräsident hinter sich. Haben Sie sich das Amt so schwer vorgestellt?
Nein, es ist schwerer, als ich dachte, härter, als ich dachte. Gleichzeitig macht es auch viel Freude.
Zum Schluss zurück zum Anfang: Wenn die Bäume gefällt sind, der Bahnhof tiefer gelegt ist – was bleibt vom demokratischen Aufbruch im Land?
Ich halte mich an Hermann Hesses Zauber des Anfangs und Bertolt Brechts Mühen der Ebene. Diesen Zauber muss man immer wieder wecken, um die Ebene durchschreiten zu können. Konkret heißt das, dass wir unser Projekt der Politik des Gehörtwerdens erfolgreich gestalten müssen. Diesen Schritt in eine neue Bürgergesellschaft haben wir geschafft, wenn die Zivilgesellschaft denselben Einfluss auf die Institutionen hat, wie ihn starke Lobby- und Interessengruppen haben. Wenn uns das gelingt, haben wir einen guten Job gemacht.
Dazu brauchen Sie die lauten Bürger.
Ich bin vor Kurzem gefragt worden, ob ich auch die richtigen Bürger für die Bürgergesellschaft hätte? Interessante Frage. Manchmal habe ich in der Tat den Eindruck, dass die Besserwisserei der Behörden jetzt auf die Zivilgesellschaft übergesprungen ist. Das ist auch nicht immer das pure Vergnügen. Aber ich denke, ich bringe viel mit, um hier neue Balancen herstellen zu können. Ich halte Protest in einer entwickelten Demokratie für völlig normal. Das sind für mich weder Wut- noch Dagegenbürger, sondern aufgeweckte Menschen, deren Vertrauen die Politik wieder gewinnen muss. Vertrauen ist das knappste, aber auch wichtigste Gut in der Politik. Das ist für mich eine ganz persönliche, spannende Herausforderung. Und sie hält mich jung.
Sie fangen an zu leben.
Ich bin nicht mehr der Jüngste und als gesetzter Herr in dieses Amt gekommen, wobei ich mich in den ersten drei Monaten schwergetan habe, die Rolle des Landesvaters anzunehmen. Ich habe sie innerlich abgelehnt, weil mir das ein zu paternalistischer Begriff ist. Aber ich habe gemerkt, dass die Menschen, gerade in Krisenzeiten, einen Ministerpräsidenten brauchen, der Ruhe und Besonnenheit ausstrahlt. Deshalb bin ich jetzt der Landesvater.
Die S-21-Gegner wünschen sich einen Kämpfer.
Ich habe gekämpft und verloren. Aber keine Sorge, ich schaue der Bahn bei den Kosten genau auf die Finger Aber ich scheue auch nicht das Wortgefecht mit den eisernen S-21-Gegnern. Kämpfen verpasst mir Adrenalinstöße und hält mich frisch.
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Manfred Fischer
am 20.08.2018