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Warum links so schwierig ist

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Ginge es nur nach den Inhalten ihres Wahlprogramms, könnte die Linke auf ein glänzendes Ergebnis bei der Bundestagswahl hoffen. Doch so einfach funktionieren Wahlentscheidungen nicht. Vor allem alte Ressentiments halten potenzielle Wähler ab.

Johanna Tiarks fängt mit dem Wahlkampf an, wenn sie Feierabend hat. Die Lehrerin und stellvertretende Leiterin einer Altenpflegeschule in Stuttgart hat gerade eine Podiumsdiskussion des Hebammenverbandes im Hospitalhof hinter sich, nachher muss sie noch an ihrer Rede für den kommenden Tag feilen, da steht sie mit Bernd Riexinger, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch auf der Bühne auf dem Schlossplatz.

Tiarks ist Linken-Kandidatin für den Wahlkreis Stuttgart I, Riexinger für den Wahlkreis Stuttgart II. Die Gegensätze könnten kaum größer sein: Während der mittlerweile medienbekannte Bundesvorsitzende auf Platz eins der Landesliste seiner Partei steht und ihm das Bundestagsmandat sicher ist, kennen selbst in Stuttgart viele die 35-jährige Tiarks nicht, und sie steht auf Listenplatz elf. Die Linke müsste bundesweit etwa 19 Prozent erreichen, damit sie in den Bundestag kommt. Da wäre schon "viel Optimismus nötig", sagt sie. Momentan steht die Linke in Umfragen bei etwa zehn Prozent, mehr als bei der vergangenen Bundestagswahl, aber noch unter dem bislang besten Ergebnis 2009. Auch der Status als drittstärkste Partei ist nach aktuellen Prognosen nicht sicher.

Erst seit vier Jahren ist Tiarks Linken-Mitglied, Vorbehalte gegenüber der Partei hat sie immer wieder erlebt. Skeptisch sei auch einer ihrer Brüder gewesen, ehe er einmal im Zug von Berlin "das Parteiprogramm von vorne bis hinten durchgelesen" habe. "Danach hat er gesagt, das ist eigentlich das, was alle wollen. Wieso wählen die nicht alle die Linke?" Eine gute Frage. Denn hört man sich im Bekanntenkreis um, kommt momentan häufig das irritierte Bekenntnis wie vom Donner gerührter Wahl-O-Mat-Nutzer, die Linke sei ganz vorne gelandet. Meistens gefolgt von der Beteuerung, sie aber doch nicht zu wählen.

Je weiter westlich, umso mehr Ressentiments

Das sei "nicht untypisch", sagt der Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer. Zustimmung ja, aber keine Wahlentscheidung. An den Programminhalten läge das nicht. "Je weiter man von der Elbe nach Westen geht, umso mehr nehmen Ressentiments zu, die etwas zu tun haben mit der Herkunft der Linken und mit den Repräsentanten der Linken im Westen", erklärt Neugebauer. Dazu komme der verbreitete Eindruck, wegen innerparteilicher Konflikte sei die Partei gar nicht handlungsfähig.

Noch eingehender mit den Wählern – oder eben Nichtwählern – der Linken hat sich Horst Kahrs beschäftigt, wissenschaftlicher Referent am Institut für Gesellschaftsanalyse in Berlin, das zur Linken-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung gehört. "Das Modell 'Wahl-O-Mat' wäre ja: Ich habe ein Programm gelesen und dann wähle ich die Partei, mit der ich die größten Übereinstimmungen habe", sagt Kahrs. Und diese gebe es häufig durchaus: in Fragen der Rente oder anderen sozialen Themen, zu Militär und Rüstungsexporten und zumindest teilweise zur Außenpolitik. Ein Grund, die Linke zu wählen, sei all das aber nicht zwangsläufig. Denn so funktioniert der durchschnittliche Wähler nicht.

"Wahlentscheidungen werden nach anderen Kriterien getroffen", sagt Kahrs. Am Anfang stehe die Frage: "Ist das eine Partei, von der man sich überhaupt vorstellen kann, sie zu wählen?" Aus Umfragen wisse man, dass das nur bei 20 Prozent aller Wahlberechtigten in Deutschland für die Linken der Fall ist. Das liege am Image der Partei, am Bild, das man sich von ihr mache. "Das Bild der Partei war im Westen lange Zeit das der SED", der Sozialistischen Einheitspartei der DDR, aus der nach der Wende die PDS hervorging. Dieses Bild sei zwar "ein bisschen korrigiert" worden durch den Zusammenschluss von PDS und WASG (Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit) im Jahr 2007. Aber die WASG wiederum werde stark mit ihrem prominentesten Mitglied Oskar Lafontaine identifiziert, "einer Person, die sehr polarisiert", sagt Kahrs. Und so "hat sich das Bild einer Partei festgesetzt, die man entweder einordnet als die alten SEDler oder als die Lafontainisten, die sich von der SPD abgesetzt haben" – beides sei "nicht unbedingt ein positives Image". Derart vereinfachte Sichtweisen betreffen freilich nicht nur die Linke. "Viele Wähler machen sich auf solche Weise ein Bild von Parteien, und dieses Image bestimmt dann langfristig, ob sie diese Partei auf dem Zettel der Möglichkeiten haben."

Bei den unter 35-Jährigen spielt das SED-Bild kaum noch eine Rolle

Die Haltung zur Linken entkrampfe sich allmählich, aber das sei eher eine Sache von Generationen als von Legislaturperioden. "Bei den unter 30- bis 35-Jährigen ist das Bild der Partei ein ganz anderes als bei den über 45-Jährigen", die SED als Negativbild spiele bei der jüngeren Generation kaum mehr eine Rolle. Denn sie sei sozialisiert worden, als es die DDR und den Kalten Krieg schon nicht mehr gab. Damit ist auch der Anknüpfungspunkt für den Antikommunismus, der die westdeutsche Politik bis 1989 prägte, passé. Mit der SED-Keule sei sie im Landtagswahlkampf vergangenes Jahr noch konfrontiert worden, sagt Johanna Tiarks. "Jetzt, im Bundestagswahlkampf, noch nicht. Aber vielleicht hab' ich einfach Glück gehabt."

Würden immer nur zementierte Bilder eine Rolle spielen, wäre Tiarks vermutlich nicht bei der Linken. Gewählt hat sie sie früher nicht, kam erst zur Partei, als sie während ihres Pflegemanagement-Studiums politisch aktiv werden wollte. "Ich habe mich erst im Berufsverband für Pflegeberufe engagiert", sagt die 35-Jährige, "irgendwann war mir klar, dass das nicht reicht." Tiarks schaute sich verschiedene Parteien an, verglich die Positionen speziell im Bereich Pflege. Bei der Linken sah sie hier – und auch im Rest des Programms – die größten Übereinstimmungen.

Ganz unbekümmert vom verbreiteten West-Image der Partei war Tiarks nicht. Bevor sie eintrat, habe sie recherchiert, "ob die Linke noch in Zusammenhang mit der SED steht". Und sei zum Ergebnis gelangt, dass dem nicht so sei. "Das hat mich einfach interessiert, weil das ja das ist, was man immer wieder hört, und womit ich auch im Landtagswahlkampf 2016 immer wieder konfrontiert wurde."

Sehr weit links eingeordnet, tatsächlich sozialdemokratisch

Es sind jedoch nicht nur SED-Assoziationen, die viele Wähler zögern lassen, analysiert Horst Kahrs: Die Linke werde in Umfragen sehr weit links eingeordnet, "aber relativ wenige Menschen ordnen sich selbst so weit links ein." Im europäischen Vergleich ist in Deutschland die Bereitschaft, als extrem eingestufte Parteien zu wählen, ohnehin gering, wie die jüngst veröffentlichte <link https: www.bertelsmann-stiftung.de fileadmin files user_upload ez_eupinions_03_2017_dt.pdf _blank external-link>"Eupinions"-Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt: Demnach verorten sich in Deutschland ein Prozent der Bevölkerung als "extrem links", zwölf Prozent als "links" und 44 Prozent als "mitte-links". In Frankreich, wo der Linke Mélanchon bei den Präsidentschaftswahlen jüngst knapp 20 Prozent bekam, bezeichnen sich hingegen sieben Prozent der Befragten als "extrem links", 17 als "links" und 27 als "mitte-links". Und in Spanien, wo die junge Podemos bei den letzten beiden Parlamentswahlen auf knapp über 20 Prozent kam, sind es fünf (extrem links), 24 (links) und 28 Prozent (mitte-links).

Auch in diesem Punkt geht es mehr um Wahrnehmungen als um inhaltliche Positionen der Parteien. "Die Linke ist, da schließe ich mich dem ehemaligen Parteivorsitzenden Lothar Bisky an, im Kern eine sozialdemokratische Partei", sagt der Politikwissenschaftler Neugebauer. In ihren politischen Konzeptionen sei nicht mehr die Revolution, sondern die Reform das Zentrale, "sie versteht sich als Reformalternative, nicht als Systemopposition." Das, so der Wissenschaftler, zeige auch eine Untersuchung zu Wahlplakaten der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai dieses Jahres. Von sechs Linken-Plakaten seien vier von einer Mehrheit als sozialdemokratisch eingestuft worden. Bei einem war es unklar, es hätte auch ein grünes sein können. "Das einzige, was als eindeutige Linken-Forderung übrig blieb, war 'kostenloser öffentlicher Nahverkehr'". Beim derzeitigen Bundestagswahlkampf sei das nicht anders, in den Positionen zum Arbeitsmarkt, zur Rente, zum Gesundheitswesen und Bildungsbereich, zur Rolle des Staates, "da finden Sie keine anderen als sozialdemokratische Lösungen", sagt Neugebauer.

Verwunderlich ist das nicht, da sich die in der Linken aufgegangene WASG zu einem großen Teil aus von der Agenda 2010 enttäuschten Sozialdemokraten speiste. Andererseits sei die Partei tendenziell im Osten gemäßigter und pragmatischer, weil sie dort häufiger an Länderregierungen beteiligt ist, und im Westen tendenziell radikaler, da sich hier auch dogmatische Altkommunisten befänden, erklärt Neugebauer.

Die Fusion 2007, durch die die Partei im Westen überhaupt erst den Status einer Splitterpartei überwand, hatte zunächst ein großes Plus bedeutet, was Wählerstimmen anbelangte: 11,9 Prozent holte Die Linke bei der Bundestagswahl 2009, davor war sie schon erstmalig in mehrere westdeutsche Landtage eingezogen. Auch wenn die Gewinne geringer ausfielen als die parallelen Verluste der SPD. Denn die meisten enttäuschten SPD-Wähler seien ins Lager der Nichtwähler gewandert, so Neugebauer.

Langsame Konsolidierung seit 2012

Bald darauf folgten langwierige innere Richtungskämpfe, durch die sich die Partei nicht nur beinahe selbst zerlegte, sondern auch massiv an Wählerstimmen einbüßte. Kommentatoren schrieben damals schon von einer "gescheiterten Partei". Erst mit dem Göttinger Parteitag 2012, auf dem Bernd Riexinger und Katja Kipping zu den Vorsitzenden gewählt wurden, begann eine Konsolidierung, die immer noch andauert. Der "Eindruck einer zerstrittenen, nicht handlungsfähigen Partei" bestehe aber immer noch, sagt Neugebauer, und koste Wählerstimmen. Und manche Protagonisten dieser Richtungskämpfe, etwa Sahra Wagenknecht, polarisierten besonders.

Ob kontroverse Haltungen wie die zur Nato, deren Auflösung die Linke fordert, (<link https: www.kontextwochenzeitung.de politik siller-fragt-leni-breymaier-4593.html _blank external-link>was SPD-Vertreter teils als "gaga" bezeichnen), die Zustimmung bei den Wählern begrenzen, sieht Kahrs eher skeptisch. "Ich glaube, dass dies wenig Einfluss hat. Würde man diese Position ändern, gewönne man vielleicht ein paar Stimmen, würde aber viel mehr Stimmen verlieren." Tiarks hört im Wahlkampf immer wieder, dass die Linke-Haltung zur Nato realitätsfern sei, aber sie findet diese Position "gerade das Tolle: Dass wir eine Vision haben, die Vision einer Welt ohne Krieg. Wenn ich die habe, dann habe ich eine ganz andere Richtung, in die ich gehe."

Die Stuttgarterin ist untypisch für eine Linken-Kandidatin, weil ihr so etwas wie der Stallgeruch von Gewerkschaftshintergrund oder langjähriger Aktivität in linken Gruppen fehlt. Sie ist dabei zugleich auch typisch für eine Entwicklung, die vor nicht allzu langer Zeit wohl nur wenige erwartet hätten: "Die Linke wird immer mehr eine westdeutsche Partei", sagt Neugebauer. Während sie im Osten sowohl Wähler verliert – vor allem an die AfD – als auch Personal, weil mehr alte Mitglieder sterben als neue nachkommen, scheint sie sich im Westen personell zu konsolidieren, junge Neumitglieder und Wähler zu gewinnen – wenn auch überproportional in großen und Universitätsstädten. Auch in Stuttgart, wo die Linke zur Partei der Wahl für viele von Grün-Rot Enttäuschte wurde. Für die Bundestagswahl steht die Partei laut Infratest dimap momentan bei sechs Prozent in Baden-Württemberg. Zur Bundestagswahl 2013 waren es noch 4,8.


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9 Kommentare verfügbar

  • M. Stocker
    am 26.09.2017
    Antworten
    Es ärgert mich immer wieder, dass die angebliche Zerstrittenheit der Linken und der Partei Die Linke immer noch als Argument herhalten muss für ihre 'Unwählbarkeit'. Meine Güte! Das ist doch gerade der Unterschied zu einer Partei des 'Führer-befiehl, wir-folgen-dir' -Zuschnitts a la AfD/CDU/CSU, zu…
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