KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Verkehrsminister auf Geisterfahrt?

Verkehrsminister auf Geisterfahrt?
|

Datum:

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) will weiter Autobahnen und Ortsumgehungen bauen, statt Menschen und Güter auf die Schiene umzuleiten, sagen Opposition und Umweltverbände. So wird das nichts mit Klima- und Umweltschutz, meint auch der baden-württembergische Amtskollege Winfried Hermann (Grüne) zu Dobrindts Bundesverkehrswegeplan 2030.

Was Alexander Dobrindt anzieht, sorgt für Aufsehen. Etwa im März 2014, als der Verkehrsminister in goldenen Turnschuhen übers Berliner Parkett stiefelte. Oder im Mai des Folgejahres, als er im Riesenkaro-Sakko zur Kabinettssitzung erschien. "Ist Dobrindt Merkels Mode-Minister?", fragte die "Bild". Doch nicht nur der Dobrindt'sche Style bewegt die Gemüter. Erst recht für Aufregung sorgt, was der CSU-Politiker anfasst. Seien es seine Pläne für eine PKW-Maut, gegen die die Europäische Kommission wegen angeblicher Diskriminierung ausländischer Autofahrer zu klagen angekündigt hat, oder der aktuelle Bundesverkehrswegeplan (BVWP), in dem Investitionen von fast 270 Milliarden Euro bis 2030 für Instandhaltung und Ausbau des Verkehrswegenetzes vorgesehen sind. Knapp die Hälfte aller Mittel soll in Bundesstraßen und Autobahnen fließen. Fast 42 Prozent sind für Bahnprojekte vorgesehen, der Rest für Wasserwege.

Im Bundestag, der vor zwei Wochen erstmals über den 185-seitigen Entwurf diskutierte, lobte Dobrindt sein Werk in höchsten Tönen. Der Plan sei die mit Abstand größte Investitionsoffensive für die Infrastruktur in Deutschland. Es sei auch der ökologischste Plan, den es je gegeben habe. Kurz: der BVWP 2030 hält das Land an der Spitze bei Wachstum und Wohlstand, so der Minister. Gute Noten gab's auch vom Koalitionspartner. SPD-Fraktionsvize Sören Bartol beteuerte, man habe ehrlich gerechnet, wo die Milliarden am sinnvollsten hinfließen sollen. "Das Wünsch-dir-was gehört endgültig der Vergangenheit an." Gebaut werde nicht mehr nach Himmelsrichtung oder Proporz, sondern dort, wo Leute tagtäglich im Stau stünden.

Ganz anders die Opposition. Die verkehrspolitische Sprecherin der Linken, Sabine Leidig, bezeichnete das Gesetz als umwelt- und gesundheitsschädlich, ja undemokratisch. Sie warf Dobrindt vor, den Autoverkehr zu fördern, statt Alternativen zu schaffen. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter beklagte, mit Zukunftsfestigkeit habe der Entwurf nichts zu tun. "Die Betonmischer in der Regierung haben sich durchgesetzt", sagt Valerie Wilms, die Nachhaltigkeitsbeauftragte der Öko-Partei. Umweltministerin Barbara Hendriks habe lange für die Berücksichtigung von Klima- und Umweltschutz gekämpft, am Ende habe die SPD-Ministerin aber auf ganzer Linie verloren. "Dobrindt ist weiter auf verkehrspolitischer Geisterfahrt", warnen die Bundes-Grünen.

Auch bei Umweltschützern fällt der Plan durch. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat bei der EU-Kommission Beschwerde gegen den BVWP-Kabinettsbeschluss eingereicht. Die nach europäischem und deutschem Recht verlangte Alternativenprüfung fand bei einigen Schienenprojekten, jedoch bei keinem einzigen der fast 1300 Straßenprojekte statt, bemängelt der BUND. "Man muss schon bis in das Jahr 1971 zurückgehen, um einen Fernstraßenplan zu finden, der sämtliche Umweltziele so dreist ignoriert wie Dobrindts Vorhaben", meint der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger.

Winfried Hermann will mehr Güter auf Zügen und Schiffen

So wird das nichts, sagt auch Winfried Hermann. "Wenn wir Mobilität und Transport dauerhaft sichern wollen, müssen wir einen Teil vor allem auch des Güterverkehrs verlagern und die Zuwächse stärker auf die verkehrsfreundlichen Verkehrsträger bringen", so der Grüne. Er bezieht sich auf die Umwelt- und Klimaziele, zu denen sich Deutschland international verpflichtet hat, um die globale Erwärmung auf zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Um dies zu erreichen, sollen die klimarelevanten Emissionen in Deutschland um mindestens 40 Prozent bis 2020 und um 80 bis 95 Prozent bis 2050 gegenüber dem Jahr 1990 sinken, so das Ziel der Bundesregierung.

Doch statt weniger, dampfen immer mehr Klimagase aus hiesigen Auspuffen. Der Verkehr ist der einzige Sektor, der seine Emissionen seit 1990 nicht mindern konnte: Anders als im Energie- oder Industriebereich stiegen sie zuletzt (bis 2014) um 0,6 Prozent. "Weil immer mehr Güter auf der Straße transportiert werden und der Trend zu mehr PS und schwereren Fahrzeugen geht, haben die sparsameren Motoren dem Klimaschutz wenig genützt", erklärt Maria Krautzberger, Präsidentin des Umweltbundesamts. Derzeit verursacht Verkehr rund 18 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland, größter Emittent ist noch die Energiewirtschaft mit 39 Prozent.

"Es muss eindeutig mehr Geld in die Schiene investiert werden", verlangt deshalb Landesverkehrsminister Hermann ein Umsteuern im BVWP. Gerade weil der Sanierungs- und Modernisierungsbedarf im Schienenbereich enorm hoch sei. Was Dobrindt in die Schiene pumpen will, lande in Baden-Württemberg an falscher Stelle, sagt Hermann. Nämlich vor allem bei den Mega-Bahnprojekten: der Neubaustrecke Stuttgart-Ulm und dem Ausbau der Rheintalbahn. Für attraktive Zugverbindungen zwischen den Oberzentren, insbesondere im ländlichen Raum, wie die Hochrheinbahn, die Bodenseegürtelbahn, die Zollernbahn oder die Brenzbahn bleibe nichts mehr übrig, kritisiert er. Zudem sind Streckenausbauten auf der Gäubahn von Stuttgart nach Singen mit Ziel Zürich sowie auf der Murrbahn von Stuttgart nach Nürnberg auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertagt, da in der nachgeordneten Kategorie "Potenzieller Bedarf" gelistet.

Ganz anders die Situation im Straßenbau. "Hier hat der Bund fast alles in den vordringlichen Bedarf aufgenommen", so Hermann. Rund 9,5 Milliarden Euro sind in Dobrindts Plan für laufende Straßenbauprojekte und Projekte des "Vordringlichen Bedarfs" im Land aufgeführt, im weniger dringlichen "Weiteren Bedarf" sind es nur 700 Millionen Euro. Zudem findet sich mit Nordostring ein umstrittenes Projekt im Bundesverkehrswegeplan, dessen Aufnahme das Land gar nicht beantragt hatte (<link http: www.kontextwochenzeitung.de politik auf-crashkurs-mit-dem-verkehrsminister-3622.html external-link-new-window>Kontext berichtete). Der versprochene Geldsegen macht Hermann indes nicht glücklicher. "Aus baden-württembergischer Sicht erschwert dies eine sinnvolle Prioritätensetzung bei der Planung und Umsetzung der wirklich wichtigen Projekte", erläutert er. Auf hiesige Verkehrs- und Straßenplaner rollt eine riesige Planungswelle zu, ohne dass sie wüssten, in welcher Reihenfolge die Projekte zur Baufreigabe anstehen.

Besonders verärgert hat im hiesigen Ministerium, wie Dobrindt die Stuttgarter Schienenwunschprojekte vom Tisch wischte. Bei den meisten der 250 abgelehnten Projektvorschläge, die bereits durchweg in der "Grobbewertung" ausschieden, bemühten sich Dobrindts Beamte nicht einmal um eine Begründung. Bei etlichen verloren sie nur wenige Standardsätze. Etwa beim Antrag, die Zugstrecken zwischen den Oberzentren zu ertüchtigen. Hier sieht sich der Berliner Bundesminister nicht zuständig, da auf diesen Relationen angeblich nur lokale Züge verkehrten. Diese seien folglich aus anderen Töpfen zu finanzieren. Dagegen fördert der Bund geflissentlich den Ausbau von Bundesstraßen, die parallel zu diesen Schienenachsen verlaufen, empörte sich Hermann in einem Schreiben an Dobrindt im vergangenen Mai. "Die Ausbauverpflichtung nach dem Grundgesetz umfasst jede Eisenbahninfrastruktur des Bundes, unabhängig von der Nutzung", protestierte er.

Hermann vermutet Bevorzugung der Deutschen Bahn

Auch für den Ausbau des kombinierten Güterverkehrs im Südwesten bedeutet der BVWP in der vorgelegten Fassung einen Rückschlag. Denn darin scheiterten in der Grobbewertung Anmeldungen für drei neue Umschlagterminals im Land. Die geplanten Anlagen, zwei im Südosten von Stuttgart, eine in Lahr im Rheintal, seien "keine Investition in die Schienenwege der Eisenbahnen des Bundes", so die Begründung. An anderer Stelle im BVWP wird dagegen der Ausbau der bestehenden Terminals in Mannheim, Karlsruhe, Kornwestheim, Ulm und Basel ausdrücklich erwähnt. Stuttgarts Verkehrsminister vermutet darin eine versteckte Bevorzugung der Deutschen Bahn, der die bestehenden Terminals gehören. Die drei Neubauten wollen hingegen private Unternehmen realisieren. "Es würde die Chance vertan, der Güterverkehrsverlagerung auf die Schiene einen wichtigen Schub zu geben", so Hermann.

Dabei wäre genau das dringend geboten. Aktuelle Gutachten prognostizieren, dass das Transportaufkommen mit Start oder Ziel in Baden-Württemberg bis zum Jahr 2025 auf 13 Millionen Tonnen steigen wird. Dies wäre gegenüber dem Basisjahr 2010 eine Erhöhung um 67 Prozent. Zusätzlich wurde eine Gütermenge von weiteren rund acht Millionen Tonnen ermittelt, die bei optimierten Umschlagmöglichkeiten vom Lkw auf Bahn und Binnenschiff verlagert werden könnten.

Noch ist nicht abschließend entschieden, was an Straßen und Schienenwegen tatsächlich in den nächsten fünfzehn Jahren neu- oder ausgebaut wird. Ende Oktober wird der Verkehrsausschuss des Bundestags über die Projekte beraten. Noch in diesem Herbst soll das Plenum Projekte und Prioritäten mit den sogenannten Ausbaugesetzen final bestimmen. Ein positives Signal gibt es immerhin: Die Bahnstrecke Stuttgart - Zürich könnte in den "Vordringlichen Bedarf" hochgestuft werden. Dafür hatte der Stuttgarter CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhardt massiv in Berlin interveniert.

Zugreisende dürfte das freuen: Die Reisezeit zwischen den beiden Metropolen würde sich durch Zubau von zweigleisigen Streckenabschnitten und dem Einsatz von Neigetechnikzügen um 19 Minuten verkürzen. Durch bessere Anschlussverbindungen sind sogar Fahrtzeitgewinne von einer halben Stunde möglich. Derzeit benötigen Intercitys auf dieser Strecke knapp drei Stunden zwischen Abfahrts- und Zielbahnhof. Ein Gutachten der Landesregierung ergab, dass sich die Gäubahn zu Kosten von maximal 285 Millionen Euro beschleunigen ließe. Zum Vergleich: Der Tiefbahnhof Stuttgart 21 und die Schnellfahrstrecke nach Ulm sollen die Fahrt vom Neckar an die Donau um 28 Minuten verkürzen. Für die Projekte werden mittlerweile Gesamtkosten von bis zu 12,9 Milliarden Euro veranschlagt. 


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


9 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 28.06.2019
    Antworten
    Geist – Geist-Reich  Nebenan der Artikel vom 28.09.2016 Schönrechnen für Fortgeschrittene

    Nun ist offenbar der aus der "CSU" stammende, und ihr verpflichtete, ein "Einheits-Mann"
    Kennse einen, kennse alle | Missfits 1996

    18.06.2019 EuGH kippt geplante deutsche Infrastrukturabgabe: Die Maut…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!