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Titisee gibt nicht auf

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Titisee-Neustadt hat es gewagt. Die Schwarzwaldkommune hat sich wegen der Beschneidung ihrer Rechte bei der Ausschreibung von Energienetzen ans höchste deutsche Gericht gewendet. Das hat nun abgelehnt, in der Sache überhaupt zu entscheiden. Der Kampf geht nun zunächst im Bundestag weiter.

Die Schwarzwaldkommune hatte im Dezember 2014 eine Verfassungsbeschwerde eingereicht. Seit März 2012 lief nämlich ein Prüfverfahren des Bundeskartellamts gegen sie. Titisee-Neustadt hatte sein Stromnetz an ein mehrheitlich kommunales Unternehmen vergeben. Eine im Vergabeverfahren unterlegene Tochterfirma des Stromkonzerns EnBW klagte das als politisch motiviert an. Das sah das Kartellamt dann genauso. Im Januar 2015 entschied es: Titisee-Neustadt muss ein neues Vergabeverfahren durchführen.

Das Bundeskartellamt möchte – wie übrigens auch einige Gerichte bis hin zum Bundesgerichtshof – vor allem der Gefahr begegnen, dass Kommunen aus politischen Gründen ein Energienetz vergeben. Deshalb gibt es strenge Regeln für so ein Vergabeverfahren – zu streng, urteilen mittlerweile so einige Fachleute und gerade auch viele Kommunen. Die <link https: dejure.org gesetze gg external-link-new-window>grundgesetzlich garantierte Selbstbestimmung der Kommunen werde untergraben, so die Kritik. Lokale Wertschöpfung und Einfluss der Gemeinde auf die Netzbetreiberin seien als Vergabekriterien nicht zugelassen. Stattdessen herrsche ein "kartellrechtliches Regime", wie es auch Titisee-Neustadts Bürgermeister Armin Hinterseh (CDU) nennt. Gerade der Bundesgerichtshof sei mit seiner Rechtsprechung auch nach eigener Darstellung ausdrücklich über <link https: dejure.org gesetze enwg external-link-new-window>Paragraf 46 des Energiewirtschaftsgesetzes hinausgegangen und habe so selbst Recht gesetzt, kritisiert die Kommune in ihrer Verfassungsbeschwerde.

Das Bundesverfassungsgericht sieht das anders. Durch die kritisierte Rechtsprechung sei kein eigenes Recht geschaffen worden, also sei auch keine Verfassungsbeschwerde dagegen möglich. Allenfalls könnten Gerichte das Energiewirtschaftsgesetz dem Verfassungsgericht zur Prüfung vorlegen, wenn sie der Auffassung sind, dass sie auf seiner Grundlage nicht grundrechtskonforme Urteile fällen können. Deshalb befasst sich das höchste deutsche Gericht nicht inhaltlich mit der Angelegenheit. Die Beschwerde wird also aus eher formalen Gründen nicht zugelassen. Bürgermeister Hinterseh widerspricht in seiner Pressemitteilung vom 12. September: Die Grundsatzentscheidungen des Bundesgerichtshofs von Dezember 2013 seien prägend, alle anderen Gerichte hätten sich seitdem danach gerichtet. Er äußert zudem den Verdacht, dass sich das Verfassungsgericht mit dieser Haltung weitere solcher Fälle vom Leib halten will.

"Die Arbeitsbelastung des Bundesverfassungsgerichts ist in der Tat sehr hoch", sagt dazu der Freiburger Anwalt und Honorarprofessor Dominik Kupfer, der die Beschwerde eingereicht hatte. Daher sei diese ablehnende Entscheidung nachvollziehbar. Schließlich würden "immer mehr kommunalrechtlich bedeutsame Rechtsbereiche" durch den Leitfaden einer Behörde geregelt (bei Energienetzen ist das ein Leitfaden von der Bundesnetzagentur). Dieser wird damit nachträglich, wenn eine Kommune dagegen klagt, durch Gerichte praktisch in Gesetzesrang gehoben. Das Gericht hätte also wohl weitere Verfassungsbeschwerden gegen solche Leitfäden und das daraus folgende Richterrecht zu erwarten gehabt, wenn es die von Titisee-Neustadt angenommen hätte.

Doch wie kann es nun weitergehen, wenn nicht einmal das Bundesverfassungsgericht sich inhaltlich mit dem Thema auseinandersetzen will? Laut Anwalt Kupfer hat das Gericht empfohlen, auf die derzeitige Reform des Energiewirtschaftsgesetzes einzuwirken und dann gegebenenfalls gegen das neue Gesetz Verfassungsbeschwerde einzulegen. Auf die Gesetzesreform hat Kupfer schon ein bisschen Einfluss genommen: Am 1. Juni trat er in einer Bundestagsanhörung als Sachverständiger auf. Interessanterweise hielten dort noch <link https: www.bundestag.de dokumente textarchiv kw22-pa-wirtschaft-energie external-link-new-window>zwei weitere Juristen fest, dass die Regierung mit ihrer nach wie vor kommunenkritischen Haltung im Widerspruch zur Konzessionsrichtlinie der EU stehe. Auch ein Vertreter des Deutschen Städtetages forderte, den Kommunen die Auftragsvergabe ans eigene Stadtwerk zu erleichtern.

Auch andere Städte und Gemeinden sind mit dem geltenden Recht in Sachen Energienetzvergabe unzufrieden. Schon 2015 wurde offenbar, dass die Konfliktlinie vor allem zwischen Basis und Regierung verläuft, weniger stark zwischen den Parteien. Nicht nur das CDU-regierte Titisee-Neustadt, sogar der von einem CDU-Vorstandsmitglied geführte Städtetag Baden-Württemberg sprach sich für eine Ausweitung der Rechte der Kommunen aus. Die Fachpolitiker der CDU im Bundestag wehrten gleichzeitig entsprechende Anträge der Opposition ab.

Seit anderthalb Jahren arbeitet die Regierungskoalition an der im Koalitionsvertrag versprochenen Reform des Energiewirtschaftsgesetzes. Auch sie weiß, dass die aktuelle Lage unhaltbar ist. Denn die Umstände einer Netzausschreibung und die Netzübergabe selbst sind unzureichend geregelt. Selbst Privatfirmen können so in Mitleidenschaft gezogen werden – das Gesetz wird also nicht nur reformiert, um die Kommunen ruhigzustellen.

Da der Gesetzentwurf der Koalition den Kommunen im Wesentlichen nicht weiterhelfe, hat Titisee-Neustadts Anwalt Dominik Kupfer zusammen mit dem Ökostrom-Anbieter EWS einen <link https: www.ews-schoenau.de ews presse pressemeldungen kommunalfreundlicher-entwurf-zur-konzessionsneuvergabe external-link-new-window>"kommunalfreundlichen Entwurf" erarbeitet. EWS ist an dem mehrheitlich kommunalen Unternehmen "Energieversorgung Titisee-Neustadt" beteiligt, welches das Stromnetz nun betreibt.

Der alternative Gesetzentwurf sieht vor, dass eine Kommune selbst wählen kann, ob sie ein Energienetz alleine betreibt – was sie alle 20 Jahre neu begründen müsste –, ob sie eine öffentlich-private Kooperation ausschreibt oder ob sie das Netz an eine Privatfirma übergibt. Wenn die Gemeinde ein öffentlich-privates Mischunternehmen beauftragen möchte, soll es ausreichen, einen Partner dafür zu suchen. Eine gesonderte Ausschreibung der Netzkonzession soll nicht nötig sein. "Dies entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs", lautet die Begründung. Wenn die Kommune ein Privatunternehmen als alleinigen Betreiber sucht, "kann auf ein ausgefeiltes und europarechtskonformes Rechtssystem zurückgegriffen werden", heißt es mit Hinweis auf das EU-Vergaberecht.

Allerdings hat solch ein Ansinnen mächtige Gegner, und nicht nur im Bundestag. Andreas Mundt und Jochen Homann, die Leiter von Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur, "vertreten das ordnungspolitische Leitbild 'Privat vor Staat'", sagt Oliver Wagner. Der Sozialwissenschaftler arbeitet in der Forschungsgruppe "Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik" des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt und Energie, wo er sich seit Jahren mit dem Kampf um die deutschen Energienetze beschäftigt. Die Stromkonzerne klammern sich an die Netze, weil die sichere Renditen bringen. Das verspricht in Zeiten defizitärer Großkraftwerke nicht nur Linderung für die Unternehmensbilanz, sondern aufgrund der steigenden Bedeutung der Netze in einem computerisierten Stromsystem auch eine gute Grundlage für weitere Geschäfte mit dezentralen Anlagen. Von den schätzungsweise 20 000 Netzkonzessionen in Deutschland waren im Jahr 2013 nach Zählung des Wuppertal-Instituts 11 600 in der Hand von Firmen, die Eon, RWE oder EnBW gehörten. Die Betreiberfirmen werden vom aktuellen Netzvergaberecht bevorteilt. Ihnen kommt die Abwehr von kommunenfreundlichen Reformen seitens der Bundesregierung entgegen. Obwohl rund 60 Prozent der Energienetze im Endeffekt von drei Konzernen betrieben werden, prüfen Kartellamt und Netzagentur nicht, ob da eine marktbeherrschende Stellung vorliegt. Gegenüber Kleinstädten, die Netze vergeben, sind diese beiden Behörden viel kritischer.

Aktuell ist Titisee-Neustadt gezwungen, sein Stromnetz neu auszuschreiben. Die Klage gegen die entsprechende Verfügung des Bundeskartellamts wird im Januar vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf verhandelt. Zum Vorteil der Stadt war bisher nur eine Gerichtsentscheidung: Das Landgericht Mannheim urteilte auf Klage des unterlegenen ehemaligen Netzbetreibers "Energiedienst", dass das Netz nicht sofort zurückgegeben werden muss.


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2 Kommentare verfügbar

  • Bernhard Meyer
    am 22.09.2016
    Antworten
    "Privat vor Staat"

    Dass dies hier ohne schamrot zu werden als Vergaberegel hochgehalten werden kann, macht mich fassungslos. Es zeigt, dass dieses Land nicht im Interesse aller Bürger regiert wird, sondern VORRANGIG im Interesse von Investoren, also den 1%.

    In den Siebzigern hat man mal auf…
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