Das Bundeskartellamt hingegen verweist darauf, dass sein kritisierter Leitfaden nur das Energiewirtschaftsgesetz konkretisiere. Es handle sich eben nicht um bloßes Gewohnheitsrecht, das auf Gerichtsurteilen beruhe. Deshalb gab es Ende Januar nach fast dreijährigem Verfahren bekannt: <link http: www.bundeskartellamt.de shareddocs meldung de pressemitteilungen _blank>Die Netzvergabe von Titisee-Neustadt war "missbräuchlich" und muss "neu und diskriminierungsfrei" durchgeführt werden.
Bürgermeister Armin Hinterseh hat gegen diese Verfügung Beschwerde eingelegt. Schließlich ist der Netzübergang längst erfolgt, eine Rückabwicklung wäre sehr aufwendig. Er hält die Verfügung für "fast schon unanständig", da sie nicht abwartet, wie das höchste deutsche Gericht entscheidet. Die vom Kartellamt angeführten Gerichtsurteile seien ja gerade die Grundlage für die Verfassungsbeschwerde. Die Aussage, dass der umstrittene Leitfaden nur das Energiewirtschaftsgesetz konkretisiere, bezeichnet Hinterseh als "grundfalsch". "Mit dem Energiewirtschaftsgesetz könnten wir und alle anderen Kommunen hervorragend leben", sagt der Bürgermeister. Der Leitfaden stehe der expliziten Absicht der CDU/CSU-FDP-Bundesregierung entgegen, die mit einer Gesetzesnovelle von 1998 das kommunale Selbstverwaltungsrecht erhalten wollte.
Gegen eine faktische Aushöhlung des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung wandte sich im vergangenen Herbst schon ein vom Berliner Senat ausgerichteter Kongress, an dem nach Selbstdarstellung "mehr als 120 Fachleute aus kommunaler Praxis, Wissenschaft und Politik" teilnahmen. Ihre Mahnung: "Die Kommunen in Deutschland erwarten vom Bundesgesetzgeber unverzüglich mehr Rechtsklarheit für die Konzessionsvergabe für Energienetze."
Ideologische Debatte im Bundestag
Dass es derzeit keine Rechtssicherheit gibt, wurde auch am 19. März im Bundestag deutlich. Die Linke hatte zum zweiten Mal innerhalb von zwei Monaten einen Antrag zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung bei der Energienetzvergabe gestellt. <link http: dipbt.bundestag.de doc btp _blank>Die dazugehörige Debatte wurde von der CDU vor allem ideologisch geführt. Mehrere ihrer Abgeordneten geißelten die "Staatswirtschaft", die Die Linke wolle. Das sei doch seit 1989 diskreditiert, vielmehr brächten Wettbewerb und Gewinnstreben "Wachstum, Innovation und langfristig Wohlstand für alle", behauptete der baden-württembergische CDU-Abgeordnete Thomas Bareiß. Wiederholte Argumente der Unions-Abgeordneten: Beim Netzbetrieb könnten Verluste auftreten, die die Kommune dann andernorts kompensieren müsste; und die Netze bräuchten teils beträchtliche Investitionen, die vielleicht nicht alle Gemeinden tätigen wollten.
Änderungsbedarf beim Energiewirtschaftsgesetz sehen CDU und CSU trotzdem. Die Regulierung der Netzübergabe ist unzureichend – und darunter leiden nicht nur Kommunen, sondern auch Firmen, die ein Netz übernehmen. Einig sind sich alle Bundestagsfraktionen in folgender Diagnose: Firmen, die die Netzkonzession verlieren, ziehen die Übergabe oft durch Klagen und andere Tricks in die Länge. Wenn das Ganze länger als ein Jahr dauert, haben sie manchmal das Recht, die Konzessionsabgabe nicht mehr zu zahlen, solange das Netz nicht tatsächlich übergegangen ist. Auch die Datenübergabe ist nicht gut geregelt. Für all das soll nun Rechtssicherheit geschaffen werden. Zudem soll das Vergabeverfahren verbessert werden.
Hauptgegenspieler von CDU und CSU in der Bundestagsdebatte war der Grünen-Abgeordnete Oliver Krischer. Er sprach den CDU-Abgeordneten Bareiß direkt an und unterstellte ihm, anlässlich der Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes 2011 diese Rechtsunsicherheit gewollt zu haben, "weil Sie nämlich nicht wollten, dass die Kommunen frei entscheiden können. Sie wollten, dass das bei den Konzernen verbleibt." Wie beim Netzübergang der Kaufpreis errechnet wird, sei damals ebenfalls "bewusst unklar gelassen" worden, sagte Krischer, weil dies viele Kommunen davon abschrecke, eine Netzkommunalisierung anzugehen, aus Angst vor den Konzernen. Die Grünen stehen voll hinter dem Antrag der Linken, der den Kommunen tatsächliche Wahlfreiheit geben soll. "Es gibt viele Studien, die zeigen, dass gerade die kleinen, kommunalen Anbieter die Netze mindestens genauso gut betreiben können wie die großen", hielt Oliver Krischer fest. "Mehr noch: Es gibt eine Studie aus Baden-Württemberg, die belegt, dass kommunale Verteilnetzbetreiber die Netze effizienter betreiben als große."
In der Union gehen kommunale und nationale Interessen auseinander
Die CDU musste sich von der Opposition fragen lassen, wie sie ihre Haltung ihren Bürgermeistern erklären wolle. Eine Antwort hatte der erwähnte Abgeordnete Thomas Bareiß schon gegeben: "Beim Thema Verteilnetze stehen die Interessen der Kunden und nicht die kommunalen Interessen im Mittelpunkt." Bareiß ist Abgeordneter des Wahlkreises Zollernalb-Sigmaringen. Seine Ansagen zeigen den bestehenden CDU-internen Konflikt am Beispiel Baden-Württembergs auf. Denn nicht nur gibt es in Titisee-Neustadt, nur ein paar Wahlkreise weiter, einen CDU-Bürgermeister, der gegen eine von der CDU-Bundestagsfraktion verteidigte Politik vors Verfassungsgericht zieht. Bareiß hat zudem den Städtetag des Landes gegen sich, der auch viele CDU-geführte Kommunen vertritt – und dessen erwähnte Chefin Gudrun Heute-Bluhm Mitglied im Bundesvorstand der CDU ist.
Noch vor der Sommerpause, so die Ankündigung, soll der Entwurf für die Neufassung des Energiewirtschaftsgesetzes vorliegen. Unklarer ist, wann das Bundesverfassungsgericht über die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde entscheiden wird. Da gebe es keine Frist, erklärt der Freiburger Anwalt Holger Weiß, der an der Beschwerde mitgearbeitet hat. Das Gericht habe sich für so eine Aufgabe bis zu einem Jahr Zeit genommen.
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Amtsenthebungsverfahren
am 29.04.2015(*so geschehen wegen unangenehmer…