"Jeder Mensch trifft täglich 20 000 Entscheidungen", posaunte Wolf am Wahlsonntag im Netz hinaus und forderte die Bürgerinnen und Bürger auf, an der Urne die eine richtige zu treffen. Hirnforscher halten die Zahl für eine sich per Google verbreitende Fehlinformation. Aber das ist eine andere Geschichte, die bestenfalls ein schlechtes Licht auf die PR-Gehilfen des 53-Jährigen wirft. Wichtiger ist, dass der Absender der Frohbotschaft selbst versagte, denn er selber hätte eine richtige Entscheidung treffen müssen. So etwa gegen halb sieben, als feststand, dass der CDU-Absturz um satte zwölf Prozent keine Fata Morgana der 18-Uhr-Prognosen war und die neue Baden-Württemberg-Partei mit über 30 Prozent die Grünen waren.
Stattdessen flüchteten sich die Schwarzen, unter tätiger Mithilfe von Landeschef Thomas Strobl, in einen seltsamen Jubel darüber, das Grün-Rot keine Mehrheit mehr besaß. Und einige Größen in der Ahnenreihe des schwarzen Erfolgs machten sich auf, an der Basis unverzüglich unerfüllbare Hoffnungen zu nähren: Es ließe sich ja womöglich doch die Villa Reitzenstein zurückerobern. Erwin Teufel und Günther Oettinger, die Hausherren von ehedem, aber auch der amtierende Landesvorsitzende stachelten Wolf an, auf SPD und FDP bauend doch noch nach dem Amt des Regierungschefs zu greifen. Inzwischen wollen sie es nicht gewesen sein. Oettinger rudert rückwärts mit dem unsinnigen Argument, seine Partei habe "die rechnerische Chance, den Regierungschef zu stellen, erst ausloten müssen". Dabei hätte er mit dem Weitblick des Brüsseler Kommissars mühelos erkennen können, dass die SPD nicht springen würde.
Der Vorgang steht für die desaströse Konfusion. Denn um die Sozialdemokraten von den Grünen loszueisen, dafür wäre Wolf gut genug gewesen und damit logischerweise zehnter Regierungschef – hätte die Operation funktioniert. Seit die SPD diese Option ausgeschlagen hat, werden die Forderungen nach Wolfs Abgang orchestriert. Seit Tagen gibt es immer neue Wortmeldungen von Jungunionisten und emeritierten Ministern, verteilt übers ganze Land. Und es gehört nicht viel Phantasie zu der Vorstellung, dass die Liste noch länger wird.
Das Wolfsche Ich stößt sauer auf
Denn der frühere Tuttlinger Landrat, in dem viele, auch in der Parteispitze, das geeignete Gegengift zum Landesvater Kretschmann gesehen hatten, hat kurz vor, am und nach dem Wahltag vieles falsch gemacht. Ohne Not schloss er per SWR-Interview eine grün-schwarze Koalition aus und ließ erkennen, dass nicht Inhalte, Projekte, die Zukunft Baden-Württembergs im Zentrum seiner Überlegungen standen, sondern seine persönlichen Ambitionen. Nachdem er schon am Wahlabend seine Verantwortung nicht übernommen und Konsequenzen gezogen hatte, versemmelte Wolf seine zweite Chance am Montag danach, als der Landesvorstand der SPD einstimmig beschloss, für die Deutschland-Koalition nicht zur Verfügung zu stehen.
5 Kommentare verfügbar
Mari Deutsch
am 04.04.2016Kurt Tucholsky
Wenn ich heute die politische Elite sieht vergeht mir die Lust mich politisch zu engagieren. Ich kann keinen Politiker nennen dem ich vertrauen würde. Das ist gerade in unserer Krisenzeit das Drama. Deshalb gehe ich auch nicht…