KONTEXT:Wochenzeitung
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Unter Wölfen

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Wer wählt eigentlich die AfD, und was treibt sie im Land? Bei ihren Veranstaltungen trifft man ganz normale Leute. Solche, die mal bei der CDU, der SPD und der FDP waren, aber auch solche, die schon immer rechtsaußen standen. Ein Streifzug durch dunkle Gegenden.

Öschelbronn bei Böblingen ist ein Ort, in dem morgens um neun alte Männer in Schaffkitteln auf Spaten lehnen und ratschen. Wo es Pferde mitten im Ort gibt und Traktoren auf der Straße. Und jetzt Plakate. "Papa, Telefon! Papa, Telefon!", quäkt es aus Rudi Groms Hosentasche. Den Klingelton hat seine Tochter eingesprochen. Grom ist Sprecher der AfD Böblingen, Informatiker, ein freundlicher Typ, früher charismatischer Christ, heute nur noch evangelisch. Gewählt hat er bisher eher Kleinparteien, wie die PBC oder auch mal die ÖDP. Er hat für einen großen US-Computerkonzern gearbeitet, Politikwissenschaft in Tübingen studiert und war lange mit dem Rucksack unterwegs. In Pakistan, im Iran, zwei Monate in Ägypten. Eigentlich müsste er doch einer sein mit Weitblick. "Ja. Wer diese Länder bereist hat, versteht, wie die Moslems ticken", sagt er.

Kurz darauf braust Miguel Klauß in die Einbuchtung an der Hauptstraße, Leiter und Plakate im BMW-Kombi, 29 Jahre alt, ledig, klein, schnieke, irgendwie unbedarft. "Ohne mein Pfefferspray gehe ich nicht mehr aus dem Haus", sagt er, der AfD-Bewerber für Leonberg-Herrenberg. Was passieren kann, sehe man ja in Köln. Er käme auf seinem Weg zur Arbeit an drei Flüchtlingsheimen vorbei. Tatsächlich gibt es zwei davon noch gar nicht. "Freier Warenverkehr ja, freier Menschenverkehr nein", seine Meinung. Habe man ja gesehen bei Paris.

Als sich Klauß zum Landtagskandidaten hatte aufstellen lassen, hatte die AfD gerade mal ein paar Prozent. "Ich dachte, ich mach halt mal Wahlkampf." Jetzt kandidiert er für Deutschlands skurril-rechte Newcomer-Partei. Mehr als elf Prozent der Baden-Württemberger würden nach jüngsten Umfragen AfD wählen, inzwischen hat sie 2800 Mitglieder im Land, 300 Anträge lägen noch. "Der Ansturm ist riesig", sagt die Frau in der Landeszentrale. Viele Christen, viele Lehrer und sehr viele, die noch nie politisch aktiv waren, sagt Grom, "die aber das Elend nicht mehr mitansehen können".

Miguel Klauß kommt aus dem Nachbarort Jettingen, arbeitet in Baden-Württembergs Prestigeunternehmen mit dem Stern und entstammt einem SPD-Haushalt. Sein Vater sei Arbeiter gewesen, immer gewerkschaftsnah, wie sein Sohn. Aber als die Eurokrise kam und die SPD auch mit seinem Steuergeld Griechenland gerettet habe, war's aus mit den Genossen. "Die sind eine Katastrophe", schimpft Klauß und schnaubt das Wort "Solidarität" durch die Nase. Solidarisch sei er mit Haiti, Nepal oder Japan, Leuten, die unverschuldet im Dreck steckten, aber nicht mit solchen, die sich selber reingeritten haben. In all seinem Ärger tauchte plötzlich die AfD auf.

Seine Eltern seien anfangs entgeistert gewesen. "Was machen wir denn, wenn das im Flecken rauskommt?", habe seine Mutter gefragt. Aus Angst, dass dem Sohn was passiert, sagt der. Und vermutlich auch ein wenig aus Scham. Zur AfD läuft man nicht einfach so über. Sie ist eine ganzheitliche Geisteshaltung. Um Mutter und Vater zu beweisen, dass die Presse lügt in der Berichterstattung über seine neue Partei, hat er sie mitgenommen. Vor ein paar Wochen erst ins wenige Kilometer entfernte Nagold, zum Vortrag von Jörg Meuthen, Landessprecher und baden-württembergischer Spitzenkandidat. "Na, wo sind die ganzen Nazis hier?", fragte er dort seine Mutter.

Meuthen, der Bundes- und Landessprecher, in Nagold

Das sei wieder mal typisch, dass man der AfD nur diese Minihalle zur Verfügung stellt, giftet einer, "die wollen uns unterdrücken." Vermutlich aber gibt es in Nagold kaum einen hübscheren Ort für eine Abendveranstaltung als die kleine Seminarturnhalle. Ein schöner Saal, Fachwerk mit Balken und gemütlich knarrendem Holzboden. Auf einem Tisch liegen Zeitungsstapel der "Jungen Freiheit", hat die Redaktion gespendet, damit man sich mal kennenlernt, Flyer über "Das große Tabu – Deutschenfeindliche Ausländer-Gewalt". Am Rande gibt's Honig als Gastgeschenk. Es ist knallvoll, im Foyer stehen sie um kurz nach sieben bis an die Tür.

Jörg Meuthen steht am Rednerpult, die Baden-Württemberg-Fahne hinter ihm knittert schon. Er habe fünf afrikanische Patenkinder. Ihn einen Rassisten zu nennen sei ja wohl lächerlich. "Wir kämpfen nicht gegen Ausländer. Es gibt genug, die funktionieren und wunderbar mitlaufen. Wir kämpfen für die Wiederherstellung von Recht und Ordnung!", sagt er und schickt einen Gruß auf die Empore, dort sitzt die Polizei zum Schutz gegen die Antifa.

"Wir müssen damit leben, dass man uns bekämpft, und uns standhaft durchsetzen", sagt Meuthen, dass seine Partei "diffamiert" wird, die Partei, die sich aus gestandenen Leute speist, nicht aus alimentierten Berufspolitikern wie bei den "Kartellparteien", sondern solche mit richtigen Berufen! Das ausgerechnet Shootingstar Frauke Petry ihren Job zum Jahreswechsel aufgegeben hat und nur noch Politik machen möchte, bleibt unerwähnt. Der Saal lacht herzhaft, als Meuthen gegen Ende "Ich sage immer noch Studenten und nicht Studierende, ich bin noch nicht durchgegendert" sagt und keiner merkt, dass das nichts zu tun hat mit Gender-Mainstreaming, sondern nur mit Frauenabwertung. 

Ein Mann mit rotem Schal sagt, die AfD habe ein Problem mit Björn Höcke, wie man das zu lösen gedenke. Höcke war der, der Afrikanern ein ausuferndes Sexualverhalten unterstellt hat, und auch nur einer, der beispielhaft steht für die zahlreichen rassistischen Ausfälle an der Parteispitze. "Höckes Äußerungen sind nicht jedermanns Sache", antwortet Meuthen, aber der ganz rechte Rand sei eben auch im Meinungsspektrum der AfD enthalten, das dürfe so sein. Eine Frau, früher bei der FDP, sagt, über die Medien erfahre man nichts über die AfD, wie die Strategie sei, das zu ändern? "Mit Geduld, Aufrichtigkeit und Authentizität", sagt Meuthen. Vor allem über soziale Netzwerke wie Facebook. Parteivize Beatrix von Storch hat jüngst mit ihrem Posting zur Erschießung von Frauen und Kindern an der Grenze gezeigt, wie grandios man das versauen kann.

Am Rande der Veranstaltung steht ein 30-Jähriger. Er hat eine kleine Tochter und erfahren, dass auch in seinem Ort Flüchtlinge untergebracht werden. "Ich kann die doch nicht jeden Tag in die Schule begleiten, damit ihr nichts passiert", sagt der Mann. Er ist sauer. Einem Flüchtling begegnet ist er noch nie, aber von Flüchtlingsgewalt hat er gehört, von Köln, der vermeintlich entführten 13-jährigen Lisa, vor allem aus den russischen Medien, die deutsche Presse sei korrupt. Landtagskandidat Klauß aus Jettingen wird später sagen, der "Schwarzwälder Bote" habe einen unverschämten Text über den Abend geschrieben. Seine Mutter sei entsetzt gewesen, wie falsch da berichtet würde. Aber auch erleichtert, denn Rechte habe sie keine gesehen.

Früher am rechten Rand der CDU, heute AfD

In der Nagolder Seminarturnhalle sei ein Zuhörer auf ihn zugekommen und habe erzählt, dass er bisher immer NPD gewählt habe. Aber die sei so national geworden. Jetzt sei die AfD seine neue Heimat. Thomas Roller schaut gewinnend, das Beispiel sollte ein positives sein.

Roller ist 55 Jahre alt, ein drahtiger Typ mit spitzer Nase, blütenweißem Hemd und beiger Leinenhose. Außen an der Tür zu seiner Wohnung hängt das Kehrwochenschild für diese Woche, innen eröffnet sich durch die Fensterfront ein Postkarten-Panorama – Burg, Stadt im Tal, Schwarzwald drum herum und obendrüber strahlende Sonne. Wenn er morgens aufsteht und ins Bad geht, läuft er auf seine Fotosammlung an der Wand zu: Roller mit Angela Merkel, Roller mit Günther Oettinger, Roller mit Erwin Teufel. Seine Leidenschaft hänge man schon mal an die Wand, bei ihm sei das die Politik. "Bismarck, Adenauer, Kohl", sagt er strahlend.

Er war jahrzehntelang der rechte Rand der CDU, das sagt er von sich selbst, bis zum ersten Euro-Rettungspaket. Da ist er ausgetreten, habe die AfD entdeckt und 2013 an der Raststätte Hegau-West mit einem Mann aus Oberschwaben und einem aus Baden den Landesverband Baden-Württemberg gegründet. Und groß gemacht.

Einer, der maßgeblich dabei geholfen hat, ist Gabriel Stängle, der Petent, der vor zwei Jahren die Petition gegen den grün-roten Bildungsplan eingereicht hat. Er lebt nur ein paar Kilometer Luftlinie weit weg, man kennt sich, man sei ja "thematisch auf einer Linie". "Ich brauche keine dritte Toilette, kein drittes Klo-Zelt für geschlechtsneutrale Flüchtlinge. Diese ganze Genderdiskussion ist der letzte Schwachsinn", sagt Roller.

Aber genau der hat den Boden bereitet für die AfD. Stängle habe einen enorm breiten Mailverteiler in die evangelikalen Szene, sagt Roller und grinst. Und als dann die "Demo für alle", organisiert unter anderem von Hedwig von Beverfoerde, rechter Arm der AfD-Europaabgeordneten Beatrix von Storch, auf den Plan trat, ist es erst richtig gut angelaufen mit der jungen Partei. Die Demo-Reihe ist sozusagen die Tea-Party der AfD. Roller grinst sehr breit bei dem Gedanken. Die Strategie findet er immer noch grandios gut. Wo sonst könnte die AfD so blühen wie in Schwaben, fragt er. Im "fragmentierten Baden-Württemberg", in den Dörfern, in der Peripherie der Metropölchen, alle schwarz wie die Nacht, "nahezu pietistisch!", Roller hört sich begeistert an.

Auch Öschelbronn, ein paar Kilometer Luftlinie von Rollers schickem Appartment entfernt, ist so ein Dorf. Wo jetzt Flüchtlinge und Asylbewerber in die gewohnte Idylle einbrechen, aus der viel raus-, in die aber kaum etwas Neues reinkommt. Hier wählt man Leute und keine Parteien.

"Was heute passiert, zerstört unser Land", sagt Ralf Egeler und kneift die Augenbrauen zusammen. Egeler hat die letzten Jahre Republikaner gewählt, weil die anderen Parteien nicht für das Volk da seien, sagt er spitz. Kurz darauf hängt ein "Genug abGEZockt, wehren Sie sich" an der Hauptstraße von Öschelbronn. Egeler zahlt seine GEZ-Gebühren seit einem Monat nur noch bar, erzählt er, und weil das nicht geht, eben gar nicht. Er kichert. Barzahlung sei nach Paragraf 14 des Bundesbankgesetzes das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel. Momentan laufe dazu ein Präzedenzfall, auf die Entscheidung warte er noch. Wobei, fällt ihm da ein, in die Justiz habe er auch kein Vertrauen mehr. Die sei auch gleichgeschaltet.

Frauke Petry in Sulz am Neckar

Es ist wahnsinnig voll in Sulz am Neckar zum Neujahrsempfang der AfD. Mehr als 500 Leute sind gekommen, junge, alte, Damen mit Perlen im Ohrläppchen und Föhnwelle, Männer mit Hüten, mit Glatzen, Strickpullis und Anzügen. Vor allem Männer, die AfD scheint eine Männerpartei.

Kürzlich, sagt einer der Redner auf der Bühne, sei er durch eine Stadt gefahren, das sah es aus wie im Maghreb. "Diese Leute setzen sich hier fest und zwingen uns ihre Kultur auf", sagt er. "Aber wir geben hier die Kulturnormen vor, nicht die anderen!" Bravo!, ruft einer. Dann stehen alle auf für eine Gedenkminute für die Toten von Istanbul. Charlie Hebdo sei lang in den Medien gewesen, aber um die Toten von Istanbul, normale deutsche Urlauber, kümmere sich kein Mensch.

Auch Meuthen ist wieder da an diesem Abend, Einheizer für Frauke Petry: "Stellen Sie sich mal vor, man würde die Grenze zwischen den USA und Mexiko abbauen. Heißa, da wär was los in Kalifornien!", sagt der Professor aus Kehl, dessen Hochschule seine Lehrtätigkeit mittlerweile mit dem Slogan "Weltoffene Hochschule – Gegen Fremdenfeindlichkeit" kontert.

Petry hätte eigentlich im November schon mal in dieser Halle sprechen sollen. Die AfD-Fraktionsvorsitzende im sächsischen Landtag war damals kurzfristig vom Wahlprüfungsausschuss geladen worden und habe ihr Flugzeug verpasst. Das sei Absicht gewesen, war man sich damals und ist man sich heute noch sicher in Sulz. Ein geplantes Komplott von CDU und Linken.

Um da anzuknüpfen, hat Petry einen aktuellen Skandal in der Tasche: Gestern habe man ihr in Münster den Raum abgesagt, weil AfD-Gegner die Partei wieder mal diffamiert hätten. Dagegen müsse man sich jetzt mal mit juristischen Mitteln wehren. "Auch Gastwirte müssen lernen, dass man sich solchen Leuten nicht beugt!" Die Justiz sei dabei nicht unabhängig. Die AfD habe Merkel wegen des Schleuserparagrafen angezeigt, aber nichts sei passiert, ruft Petry: "Unter einer anderen Regierung würden diesen Staatsanwälten Konsequenzen drohen!"

Wie könne sich der AfD-Wähler gegen Wahlmanipulation durch die Antifa schützen, fragt einer in der Diskussion. "Gute Frage", lobt Petry, man drucke gerade Flyer dazu – "ABC der Wahlbeobachtung". Jeder sei aufgerufen, in Wahllokale zu gehen und zu schauen, was da gezählt und, vor allem, was da an Zahlen durchgegeben würde.

"Wie schafft es die Partei, zu Rechtsradikalen eine deutliche Distanzierung zu gewinnen?", fragt ein anderer. "Es dürfen keine Flüchtlingsheime mehr angezündet werden und keiner hat das Recht, Flüchtlinge anzupöbeln", sagt er. "Haben Sie den Eindruck, hier seien Rechtsradikale?", fragt Jörg Meuthen. "Nein, nein, so war das doch nicht gemeint", sagt der Mann und wird ganz klein. "Eben", sagt Meuthen von der Bühne herunter.

Ganz hinten steht ein alter Mann mit grünem Pulli, Jahrgang 41. "Toleranz ist Schlabber", sagt er und spuckt dabei. Eine Gesellschaft brauche klare Regeln. "Sollen doch die ganzen Toleranten nach Syrien verschwinden, da ist ja jetzt Platz. Warm ist es da auch, das mögen die doch." 200 Millionen von diesen Asylanten würden nach Deutschland kommen. "Und dann sind wir platt." Er habe immer national gewählt, immer. Jetzt wählt er AfD.


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21 Kommentare verfügbar

  • Thomas Roller
    am 10.02.2016
    Antworten
    ...kleiner HInweis noch in dieser Sache:
    Von Redaktion kann ja keine Rede sein, es
    könnte höchsten heißen, Frau Hunger bleibt
    bei Ihrer Darstellung.
    Außer Ihr und mir war bei dem Interview
    ja niemand dabei.
    Im "Kontext"ihrer von vornherein negativen
    Einstellung gegenüber der AfD war
    die…
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