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Im Eunuchen-Stadl

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Noch hat der heiße Wahlkampf nicht begonnen, schon verheddert sich der Südwestrundfunk (SWR) im politischen Gestrüpp. Wer darf vor die Kamera und wer nicht? Wie hält man's mit der AfD, die nicht mehr rechtspopulistisch heißt? Manege frei für die Kraftlosen.

Winfried Kretschmann und Nils Schmid haben sich festgelegt. Mit ihnen ist nicht zu verhandeln. Wenn der SWR darauf besteht, auch den Bundes- und Landessprecher der rechtspopulistischen "Alternative für Deutschland" (AfD), Jörg Meuthen, zur Elefantenrunde im "Dritten" einzuladen, platzt die Debatte. Massenpublikum hin oder her. "Ich setze mich mit rassistischen Hetzern und Ausländerfeinden nicht auf ein Podium", verkündete der SPD-Landeschef. In dieser Haltung sei er sich mit dem Ministerpräsidenten einig.

Kretschmann hat ohnehin noch eine alte Rechnung offen mit jenen Funkhaus-Hierarchen, die 2011 meinten, genau anders herum entscheiden zu müssen. Vor fünf Jahren hatten die Grünen die Sozialdemokraten in den Umfragen längst überflügelt. Dennoch gab der SWR dem SPD-Spitzenkandidaten in der Auseinandersetzung mit Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) den Vorzug. Mit einer Begründung, die inzwischen keinen Bestand mehr hat. "Die Frage aller Fragen beim Duell lautet: Wer ist die stärkste Regierungspartei - und wer stärkste Oppositionspartei?", so der mittlerweile pensionierte Michael Zeiß, damals Chefredakteur Fernsehen. Diese Stärke bemesse sich "nicht anhand von Umfragen, sondern sie lässt sich eindeutig an Wahlergebnissen festmachen".

Die Angst vor Klagen lässt den SWR zittern

Zeiß nahm für sich in Anspruch, auf sicherer "juristischer Grundlage" zu argumentieren. Fünf Jahre danach sieht sich die Abteilungsleiterin "Baden-Württemberg Information", Uschi Strautmann, ebenfalls an die Vorgaben des hauseigenen Justiziars gebunden. Die lauten inzwischen genau anders herum. Weil die aktuellen Umfragen die AfD bei acht Prozent sehen, befürchtet der öffentlich-rechtliche Sender, Meuthen könnte sich einklagen. Eine Gefahr, vor der anno 2010 offenbar niemandem bange war, als Kretschmann zur Debatte stand.

Aber schon damals hätte ein Blick zurück Klarheit bringen können: Im Herbst 2002 wollte FDP-Spitzenkandidat Guido Westerwelle vor der Bundestagswahl unbedingt mit Gerhard Schröder und Edmund Stoiber im gemeinsamen Studio von ARD und ZDF auftreten. Die Öffentlich-Rechtlichen lehnten ab. Westerwelle klagte - und verlor. Die Richter am Kölner Verwaltungsgericht waren der Ansicht, aus dem Recht der Parteien auf Chancengleichheit sei keineswegs automatisch ein Anspruch auf Gleichbehandlung abzuleiten in dem Sinne, dass sie alle in gleichem Umfang zu Wort kommen müssten.

Auch deshalb hatte der SWR im März 2011 mit Roland Hamm den Spitzenkandidaten der außerparlamentarischen "Linken" zum Schlagabtausch mit Mappus, Schmid, Kretschmann und Ulrich Goll (FDP) geladen. Zeitgleich sah sich der Sender außerdem mit einer einstweiligen Anordnung des Verwaltungsgerichts Stuttgart konfrontiert, die rechtsgerichteten Republikaner in der allgemeinen Wahlberichterstattung ausreichend zu berücksichtigen. "Mit Ausnahme der kommunistischen 'Linken' kommen die Nicht-Landtagsparteien im SWR praktisch nicht vor", hatte Rep-Landeschef Ulrich Deuschle bemängelt. Allerdings ging es gar nicht in die traditionelle Elefantenrunde, sondern um eine den "Parteien ÖDP, PBC oder Piraten vergleichbare Darstellung". Tatsächlich wurde am 25. März, zwei Tage vor der Wahl, im "Dritten" um 21.45 Uhr ein entsprechender Beitrag über die "Republikaner" ausgestrahlt, die am Ende bei 1,1 Prozent landeten.

Mit einem Grün-Rot-Blindfleck ist schlecht zu sehen

Von Kretschmann jedenfalls hat nie jemand vernommen, dass er auch nur auf die Idee gekommen wäre, sich ins Duell einzuklagen. Die damalige Grünen-Landesvorsitzende Silke Krebs reagierte auf den Grün-Rot-Blindfleck des Senders ebenfalls gelassen und forderte die Parteibasis auf, einfach die SWR-Mail-Postfächer zu bestücken. Und als sie nach dem Wahlsieg als Medienministerin in die Villa Reitzenstein einzog, wusste sie ihre Möglichkeiten zu nutzen: Die Freiburgerin ist hauptverantwortlich für jene Novelle des Staatsvertrags, die die Reform der längst überholten Gremienzusammensetzung eingeleitet hat, eine Quote zur Beseitigung des Männerüberhangs eingeführt und ein Redaktionsstatut für mehr Mitbestimmung verankert hat. Auch tagt der Rundfunkrat neuerdings stets öffentlich. Interessierten Kreisen ermöglicht das, (Vor-)Urteile dem Praxistest zu unterziehen. Zum Beispiel jenes, dass beim SWR ausgerechnet in der öffentlich-rechtlichen Kernkompetenz der politischen Berichterstattung zu viele Eunuchen das Sagen hätten. Genau deshalb, heißt es in den Reihen der internen Kritiker, gebe es in sensiblen Einschätzungsfragen so viele Pannen.

Der Wackelkurs eines Hauses, in dessen Leitbild das Thema Politik praktisch nicht vorkommt, führte über die Jahre zu einer schleichenden Akzentverschiebung. Kochen und Schunkeln haben Vorrang. Erst die neue Struktur mit der halbstündigen "Landesschau aktuell" um 19.30 Uhr gebot dieser Entwicklung ein wenig Einhalt. Dabei hatte Intendant Peter Boudgoust, unter Lothar Späth und Erwin Teufel Beamter im Staatsministerium, im Spätherbst 2010 ein ehrgeiziges Selbstverständnis formuliert: "Hinter die Politisierung durch die Schlichtung", sagte der Intendant damals in einem Zeitungsinterview, werde der Sender nicht zurückfallen. Der SWR hatte die S-21-Schlichtung live übertragen und in Harald Kirchner einen so kundigen wie kritischen Reporter.

"Lieber ein bisschen Politik an viele Leute bringen"

Das alles jedoch fand vor dem Regierungswechsel statt. Danach schien oberstes Ziel, keinesfalls in den Verdacht unbotmäßiger Grün-Rot-Nähe zu kommen. Die Liste einschlägiger Beispiele ist überlang. Als Fritz Kuhn im Oktober 2012 zum ersten grünen Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt gewählt wurde, lief im SWR das Sonntagabend-Standardprogramm, mit dem Hinweis, über die Grenzen Stuttgarts hinaus interessiere das Ereignis kaum. Abteilungsleiterin Strautmann übersetzte die Boudgoust-Vorgabe mit minimaler Ambition: "Lieber ein bisschen Politik an viele Leute bringen, statt eine Sendung zur Primetime unter Ausschluss der Öffentlichkeit anzubieten."

Wenn das Drumherum mehr zählt als der Kern, können Ideen reifen, die sich eigentlich verbieten müssten. Wie jene, anstelle des Duells vor dem Wahlgang im März 2016 ein "Triell" zu veranstalten - mit CDU-Herausforderer Guido Wolf, mit Kretschmann und Schmid. Dass letzterer gar nicht nach dem Amt des Ministerpräsidenten greift, war den Verantwortlichen offenbar entgangen. Nach ein paar bewegten Wochen und viel Spott in Fachkreisen musste das in Deutschland bis dahin noch nie realisierte Projekt beerdigt werden.

Der nächste grobe Patzer war der Verzicht auf den Zusatz "rechtspopulistisch" für die AfD in allen Nachrichtensendungen des SWR. "CDU und SPD bekommen bei uns ja auch kein Etikett", lautete Strautmanns Rechtfertigung. In der öffentlichen Sitzung des Rundfunkrats Anfang Dezember sah Boudgoust während seiner Rundum-Eloge auf die Anstalt insgesamt keinen Anlass, von sich aus auf das Thema zu kommen. Erst der SPD-Landtagsabgeordneten Sascha Binder stieß eine Debatte an. Landessenderdirektorin Stefanie Schneider fiel nicht Besseres ein, als die Verantwortung auf die zuständigen Redaktionen abzuwälzen und das Dekret im Übrigen klein zu reden.

Nach dem Kontext-Artikel kommt der Konter aus Baden-Baden

Dabei war die Aufregung intern erheblich. Schon wenige Stunden nach Erscheinen der Kontext-Berichterstattung "SWR - ganz elastisch" schwirrten zahlreiche Mails durch die Gegend, viele davon mit kritischer Stoßrichtung. Arthur Landwehr, Chefredakteur Hörfunk mit Sitz in Baden-Baden, teilte unverzüglich mit, er sei "mehrfach angesprochen worden", und an der Berichterstattung in seinem Beritt "ändert sich nichts". Weiter: "Wir hatten und haben den Grundsatz, dass charakterisierende Begriffe für Parteien und Organisationen immer dann gesetzt werden, wenn das nach journalistischen Gesichtspunkten sinnvoll ist."

Das Schlimmste ist, dass der Südwestrundfunk, bedingt durch fehlendes Gespür, den Rechten immer neue Steilvorlagen liefert. In einschlägigen Portalen im Netz finden sich überreichlich Häme und Hohn für die Kritiker des Senders, die sich über den Umgang mit der AfD wundern. Pauschal wird auf die "Lügenpresse", auf die Öffentlich-Rechtlichen, auf die Politikkaste und die Demokratie insgesamt eingedroschen, Aufrufe zum Wahlboykott inklusive. "Es heißt ja auch 'Elefantenrunde', verteidigt ein einziger einsamer Rufer in der Wüste Kretschmanns und Schmids Haltung, "da hat eine rechte Splitterpartei nichts verloren." Natürlich wird er sogleich niedergekübelt.

Und schon jetzt steht fest, dass die aktuelle Aufregung gewiss nicht die letzte ist. Denn eine "finale Entscheidung", ob Meuthen eine Einladung ins Studio erhält oder nicht, wird laut SWR-Sprecher Wolfgang Utz erst im Januar fallen. Zu beachten seien dabei " unter anderem aktuelle Umfrageergebnisse, das Abschneiden bei vorangegangenen Wahlen auf EU-, Bundes- und Landesebene sowie die Verankerung der Parteien in der Parteienlandschaft". Vom politischen Instinkt der Verantwortlichen im Funkhaus ist keine Rede.

Info:

Interessant zu lesen auch die Analyse des Chefredakteurs des Mediendienstes "Kress report", Bülend Ürük, der sich ebenfalls mit der SWR/AfD-Frage beschäftigt. Zum Artikel geht es <link https: kress.de news detail beitrag _blank external-link>unter diesem Link.


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7 Kommentare verfügbar

  • Barolo
    am 22.12.2015
    Antworten
    Sehe ich auch wie Eraasch. Informationsgehalt ist leider auch bei den weniger schlechten manchmal unterirdisch.
    Nettelbeck, wo macht Maaßen denn Werbung für die AfD?
    Den NSU schützt er eigentlich nicht, nur das NSU Märchen. Aber das machen ja alle: Ziercke, Range, KDF als von Merkel…
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